Englands einmalige EM-Titel-Chance im Wembley-Stadion
Schon für das Halbfinale am Mittwoch gegen Dänemark kehren die "Three Lions" in ihr Heimstadion zurück. "Es wird unglaublich. Was für ein Moment für uns als Team, als Nation. Viele von uns werden so eine Gelegenheit bei einem großen Turnier in Wembley nicht noch einmal bekommen", sagte Starstürmer Harry Kane. "Wir müssen diese Chance mit beiden Händen greifen und genießen. Hoffentlich können wir die Energie am Mittwoch noch einmal nutzen."
Bis zu 67.500 überwiegend englische Anhänger werden die Mannschaft von Trainer Gareth Southgate gegen die Dänen nach vorne brüllen, dänische Anhänger können aufgrund der Corona-Pandemie kaum in der Arena sein. Wann also, wenn nicht jetzt? Das Halbfinale soll für die Engländer nur ein Zwischenschritt sein.
"Wir waren noch nie in einem EM-Finale. Das ist die nächste Gelegenheit für uns, Geschichte zu schreiben", sagte Southgate. "Es ist wunderschön, Teil von diesem Spiel sein zu können. Als Team in Wembley zu spielen ist besonders, in einem Halbfinale noch mehr. Wir wollen gewinnen, wir spielen zuhause und haben eine großartige Chance."
Wie eine perfekt geölte Maschine rollt seine Mannschaft bisher durch dieses Turnier, das sie nach dem kurzen Rom-Ausflug im Viertelfinale nun zurück nach London führt. Southgate hat ein Team entwickelt, das aufgrund seines Sicherheitskonzepts eher selten begeistert, aber funktioniert: Noch immer haben die "Three Lions" nicht ein Gegentor bei der EM kassiert.
EM-übergreifend sind sie nun sogar seit sieben Partien ohne Gegentreffer, was zuvor noch nie einem englischen Team gelungen ist. Aber nicht nur die Abwehr überzeugt, auch der hochkarätig besetzte Sturm kommt in der entscheidenden Phase des Turniers immer besser in Schwung. Der in der Gruppenphase noch torlose und stark kritisierte Kane steht nach zwei K.o.-Spielen bei drei Treffern.
Gegen die Ukrainer erzielte der 27-Jährige einen Doppelpack, für die weiteren Treffer sorgten Abwehrchef Harry Maguire und der kurz zuvor eingewechselte Jordan Henderson. Sogar Jadon Sancho durfte erstmals bei der EM von Beginn an spielen.
Der kurz vor einem Wechsel zu Manchester United stehende Sancho dient gewissermaßen als Sinnbild für das Offensivpotenzial der Engländer, auch wenn er im Viertelfinale weitgehend unauffällig blieb. Weitere Top-Spieler wie Phil Foden oder Jack Grealish wurden dagegen nicht einmal eingewechselt, Bukayo Saka stand leicht angeschlagen nicht im Kader. Southgate kann aus einem riesigen Pool schöpfen, was sein Team auch für die bisher so starken Dänen schwer ausrechenbar macht.
Aber wen auch immer Southgate aufstellt: England wird gegen Dänemark an seine Grenzen gehen müssen. Nach dem Drama um Spielmacher Christian Eriksen, der im ersten EM-Spiel zusammengebrochen war und wiederbelebt werden musste, sind die Dänen zu einer scheinbar unerschütterlichen Einheit zusammengewachsen. "Sie reiten auf einer Welle der Emotionalität nachdem, was mit Christian passiert ist", sagte Southgate.
Diese Welle soll England aber nicht stoppen. Im Gegenteil: Mit der Energie der bis zu 67.500 Fans in Wembley soll nach Jahren der Titel-Sehnsucht nun auch der letzte Schritt gelingen. "Wir hatten großartige Nächte, aber auch schmerzhafte Nächte. Wir haben daraus gelernt", sagte Southgate auch mit Blick auf das bittere Halbfinal-K.o. bei der WM 2018 in Russland. Das wollen die Engländer diesmal mit aller Macht verhindern. Oder wie Abwehrchef Maguire sagt: "Wir sind nicht zufrieden mit dem Halbfinale. Wir wollen weiter kommen."
Zu Ende ist die Reise hingegen für die Ukraine. Schon die erstmalige Viertelfinal-Teilnahme der Osteuropäer war überraschend - in der Gruppenphase gegen Österreich verdienter 0:1-Verlierer, kam man als Dritter weiter und überwand im Achtelfinale Schweden. Gegen England hingegen hatten die Ukrainer nicht den Funken einer Chance.
Dennoch war Teamchef Andrij Schewtschenko zufrieden. "Ich bin wirklich glücklich mit der Leistung der Mannschaft, ich möchte mich bei meinen Spielern für ihre Einstellung bedanken", sagte der 44-Jährige. "England ist als Team sehr stark. Sie haben pragmatisch gespielt und unsere Fehler ausgenutzt."
Schewtschenko kündigte Gespräche mit dem ukrainischen Verband über seine Zukunft als Nationalcoach an. "Wir werden nach Kiew fliegen und Bilanz ziehen", sagte er. "Der Verband muss eine Entscheidung treffen, aber das hat keine Eile."
Unterdessen gab es Lob vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. "Ihr habt bewiesen, dass ihr mit den Besten kämpfen könnt, dass ihr einen stählernen Charakter habt, dass ihr das ganze Land inspirieren und um euch vereinen könnt", schrieb Selenskyj nach dem Aus in Rom. "Vielen Dank für dieses Turnier."
Weniger euphorisch zeigten sich die Medien des Landes. "Sie haben uns nach allen Regeln der Fußballkunst fertiggemacht", urteilte das Portal "UA-Futbol". "Es war, als wären wir daran erinnert worden, dass wir unerlaubt hoch geklettert waren. Und je höher du aufsteigst, desto schmerzhafter ist es, zu fallen."
Die Staatsagentur Ukrinform schrieb von einem "ruinierten Abschied" von der EM: "Mit dem Ziel aufs Feld zu gehen, für einen Sieg Risiken einzugehen, oder mit dem Ziel aufs Feld zu gehen, würdevoll zu verlieren - das sind zwei verschiedene Arten von Fußball. Am Ende hat es nicht mal zum würdevollen Verlieren gereicht und unsere Nationalmannschaft verlässt die EM 2020 mit der Last einer schweren Niederlage", berichtete Ukrinform.
Zusammenfassung
- Der 4:0-Spaziergang ins Halbfinale der Fußball-EM lässt England von einer einmaligen Gelegenheit schwärmen, die Zeitungen träumen schon vom ganz großen Coup.
- "Noch zwei Spiele vom Ruhm entfernt", titelte der "Sunday Express" nach dem lockeren Viertelfinal-Sieg am Samstag in Rom gegen die überforderte Ukraine.
- 55 Jahre nach dem WM-Gewinn im eigenen Land hofft eine ganze Nation mehr denn je auf eine erneute Krönung im Wembley-Stadion am 11. Juli.