Wiener Antifa-Prozess: Alle 14 Angeklagten freigesprochen

14 Angeklagte sind am späten Dienstagnachmittag im Wiener Antifa-Prozess von sämtlichen wider sie erhobenen Vorwürfen freigesprochen worden. Für das Landesgericht für Strafsachen waren die inkriminierten Tatbestände - versuchte Sprengung einer Versammlung, versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte schwere Körperverletzung - nicht erfüllt. Die Freisprüche sind nicht rechtskräftig.

14 Angeklagte sind am späten Dienstagnachmittag im Wiener Antifa-Prozess von sämtlichen wider sie erhobenen Vorwürfen freigesprochen worden. Für das Landesgericht für Strafsachen waren die inkriminierten Tatbestände - versuchte Sprengung einer Versammlung, versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte schwere Körperverletzung - nicht erfüllt. Die Freisprüche sind nicht rechtskräftig.

Den Aktivisten war angekreidet worden, sie wären im Herbst 2018 mit Gewalt gegen eine auf der Freyung angemeldete Kundgebung der Identitären Bewegung vorgegangen, hätten dabei eine Sperrkette der Polizei durchbrechen wollen und einen Beamten mit einem gezielten Wurf mit einem abgebrochenen Schirm in Verletzungsgefahr gebracht. Für all das fand Einzelrichterin Hannelore Bahr nach drei Verhandlungstagen keine Beweise. Vielmehr stünde bei einem Gutteil der Angeklagten nicht einmal fest, ob sie zur fraglichen Zeit überhaupt am Tatort waren, meinte Bahr.

Die Richterin übte in ungewohnt deutlichen Worten scharfe Kritik am staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren. Ungeachtet eines "äußerst überschaubaren Tatvorwurfs" habe dieses 16 Monate in Anspruch genommen. In diesem Zeitraum sei von 18 infrage kommenden Zeugen aber nur ein einziger vernommen worden. Die restlichen habe sie zur Hauptverhandlung laden müssen, wo sie erstmals formell befragt wurden, führte Bahr im Großen Schwurgerichtssaal aus.

Mit Ausnahme des Videomaterials, das die Identitären der Polizei zur Verfügung gestellt hatten, hätten sich Polizei und Staatsanwaltschaft nicht um andere Videos bemüht, obwohl Unbeteiligte ebenfalls gefilmt hatten. Sie habe dieses Material in Eigenregie beischaffen und auswerten lassen müssen, konstatierte Bahr: "Das ist eigentlich Ermittlungstätigkeit der Polizei." Man habe außerdem im Vorverfahren einige Zeugen gar nicht ermittelt und vernommen, "obwohl klar war, dass sie relevant sind". Auch das habe sie in der Hauptverhandlung nachholen müssen.

Weiters habe der Abschlussbericht der Polizei Widersprüche aufgewiesen, bemängelte die Richterin. So sei darin etwa davon die Rede, die Antifa-Aktivisten wären hauptsächlich vermummt aufgetreten, was sich nicht mit den Videos decke. "Eine Kappe, eine Sonnenbrille, eine Kapuze ist keine Vermummung", bekräftigte die Richterin.

"Wenn nicht sorgfältig bei den Ermittlungen gearbeitet worden ist, kann ich das nicht zulasten der Angeklagten werten", meinte Bahr. Bei etlichen sei nicht feststellbar, ob sie überhaupt auf den Videos zu sehen sind: "Es ist nicht im Geringsten eine Zuordnung möglich, wer wer ist."

Grundsätzlich sei das Vorgehen der Gegendemonstranten gegen die Identitären aber "nicht tatbestandsmäßig" gewesen. Selbst bei einer nicht genehmigten Gegenveranstaltung sei die bloße Anwesenheit zur Bekundung einer politischen Willensbildung nicht strafbar, stellte Bahr fest. Beim Versuch, die polizeiliche Sperrkette zu durchbrechen, sei kein aktiver Widerstand geleistet worden: "Der Gewaltbegriff wurde nicht erfüllt." Vielmehr sehe man auf den Videos, wie Polizeibeamte gegen die Demonstranten drücken und einigen von ihnen Schirme wegnehmen, welche die Manifestanten mit Parolen gegen die Identitären versehen hatten.

Die Person, die einen abgebrochenen Schirm in Richtung eines Polizisten geworfen und den Beamten knapp verfehlt hatte, befand sich nach Ansicht des Erstgerichts eben so wenig unter den Angeklagten wie jene, die einem Identitären einen Bodycheck versetzt haben soll. Beide wurden nicht ausgeforscht, wie ein Vertreter des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) am Vormittag als Zeuge eingeräumt hatte. Er habe zwar gesehen, wie "ein komplett Vermummter" dem Identitären "einen Rempler" verpasst habe, der darauf "ins Straucheln" geraten sei. Aber dem Verdächtigen sei es gelungen, sich unbehelligt vom Tatort zu entfernen, teilte der Beamte mit.

Die Antifa-Aktivisten hätten sich "wie auf Kommando zu einem Block formiert" und wären "mitten in Richtung der Identitären vorgegangen", hätten "die Uniformierten nicht sehr rasch reagiert und eine Sperrkette gebildet", gab der LVT-Beamte zu Protokoll. Damit habe man "massive Störungen" verhindern können.

Für einen Chefinspektor, der den Einsatz geleitet hatte, kam das Auftreten der Antifa-Aktivisten "überraschend", wie er im Zeugenstand mitteilte. Den Aktivisten sei es "um eine gezielte Störaktion" gegangen, setzte der Polizist fort. Auf die Frage der Richterin, worin die Störung bestand, antwortete der Zeuge: "Mit Parolen". Auf Nachfrage, was die Gegendemonstranten denn gerufen hätten, bemerkte der Chefinspektor: "Da ich so viele Demos mache, kann ich mich an den Wortlaut nicht erinnern." Möglicherweise sei "Nazis" gerufen worden.

Dagegen konnte sich der Chefinspektor an die orangen Schirme mit Parolen gegen rechtsextremes Gedankengut erinnern. Diese Schirme hätten die Aktivisten vor Polizeibeamten auf- und zugespannt: "Ich hätte das schon als Gewalt gesehen."

ribbon Zusammenfassung
  • Für das Landesgericht für Strafsachen waren die inkriminierten Tatbestände - versuchte Sprengung einer Versammlung, versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte schwere Körperverletzung - nicht erfüllt.
  • Vielmehr stünde bei einem Gutteil der Angeklagten nicht einmal fest, ob sie zur fraglichen Zeit überhaupt am Tatort waren, meinte Bahr.
  • Weiters habe der Abschlussbericht der Polizei Widersprüche aufgewiesen, bemängelte die Richterin.