Weiter Divergenzen zu Impfstoffverteilung in der EU
Italiens Premierminister Mario Draghi kritisierte die Forderung nach zusätzlichen Dosen für Österreich bei der Verteilung von zehn Millionen zusätzlichen Ampullen des BioNTech/Pfizer-Impfstoffes. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich am Freitag "sehr optimistisch", dass ein "solidarischer Ausgleich in Europa" gelinge und auch Österreich zusätzliche Dosen erhalte.
Die Staats- und Regierungschefs hatten am Donnerstag nach stundenlangen Verhandlungen die EU-Botschafter beauftragt, die exakte Verteilung von zehn Millionen Impfdosen aus dem auf das 2. Quartal vorgezogenen Kontingent von BioNTech/Pfizer zu lösen. Basis dafür ist der Verteilschlüssel nach Bevölkerungsgröße. Über die vorgezogene Teillieferung der zehn Millionen Impfdosen soll "im Geiste der Solidarität" weiter verhandelt werden.
"Ein Drittel der Mitgliedsstaaten hat sich vehement für eine gerechtere Verteilung der Impfstoffe ausgesprochen", betonte der Kanzler. Jetzt starte der Verhandlungsprozess auf der Ebene der EU-Botschafter, und es sei klar, dass zunächst jeder eine Maximalposition einnehme, so Kurz. Am Ende des Tages brauche es aber einen Kompromiss, da in der EU das Einstimmigkeitsprinzip herrsche.
Kanzler "optimistisch"
"Was Österreich betrifft bin ich sehr optimistisch, dass wir hier von dieser Lösung auch profitieren", sagte Kurz. Er nannte allerdings keine Zahl, wie viele Dosen Österreich bekommen könnte. Einige der am massivsten betroffenen Länder seien in der Nachbarschaft Österreichs, wie Kroatien und Tschechien, und es wäre auch für Österreich sehr negativ, wenn diese Staaten massiv zurückfallen würden, so Kurz. Er hatte vor dem Gipfel die Hoffnung auf bis zu 400.000 zusätzliche Dosen für Österreich geäußert - doppelt so viel wie dem Land nach dem Bevölkerungsanteil zustünde.
"Auch wir haben Impfstoff-Mängel, Kurz wird keine einzige zusätzliche Dosis erhalten", wurde hingegen Draghi von der römischen Tageszeitung "La Repubblica" (Freitagsausgabe) zitiert. Ähnlich sieht die Lage der EU-Parlamentspräsident David Sassoli. Es sei "verantwortungslos", auf die EU die Ineffizienz einzelner Länder abzuladen. "Streit mit Österreich über die Verteilung der zusätzlichen Dosen", fasste die Tageszeitung "La Stampa" die Lage zusammen.
"Kurz hat sich verzockt"
"Sebastian Kurz hat sich verzockt", sagte laut dpa ein EU-Diplomat. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte, ein Blick auf die Zahlen zeige, dass vor allem Bulgarien, Lettland und Kroatien ein Problem hätten. Denen wolle man helfen. Bei Österreich könne er dies hingegen derzeit nicht erkennen.
Unterstützung erhielt Kurz indes vom slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jansa, dem tschechischen Premier Andrej Babis und vom lettischen Premier Krisjanis Karins. Jansa dankte Kurz via Twitter "für die Koordinierung dringender, notwendiger Anstrengungen, um die gestrigen Schlussfolgerungen des #EUCO in Bezug auf eine faire Impfstoffverteilung im 2. Quartal" Realität werden zu lassen. Die Staats- und Regierungschefs seien sich einig bezüglich "der Achtung des Solidaritätsprinzips" bei der Umverteilung der zusätzlichen Impfstoffe von BioNTechPfizer für jene Staaten, die bisher weniger erhalten haben, schrieb Karins ebenfalls auf Twitter. Es sei gelungen, "ein grundlegendes Versprechen abzugeben. Impfstoffe sind je nach Bevölkerung an einzelne Mitgliedstaaten zu liefern", twitterte Babis.
"Weiterhin an einem Strang ziehen"
"Ich finde es ehrlich gesagt sehr schön, dass sich viele für Solidarität ausgesprochen haben", betonte Kurz. Die Allianz der "Frugalen" (Österreich, Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland) sieht der Bundeskanzler nicht beschädigt. Man werde weiterhin an einem Strang ziehen, so der Kanzler, auch wenn man in manchen Fragen unterschiedlicher Meinung sei. Wichtig sei, dass es zu einem Ausgleich komme, denn die Europäischen Union habe immer versprochen, dass 70 Prozent der Erwachsenen in der EU bis Sommer geimpft werden.
Österreich und fünf östliche EU-Staaten (Tschechien, Slowenien, Bulgarien, Kroatien und Lettland) hatten im Vorfeld des Gipfels eine ungleiche Verteilung der Impfstoffe in der EU beklagt und sich für einen "Korrekturmechanismus" bei der Impfstoffverteilung ausgesprochen. Nicht alle EU-Staaten hatten die ihnen nach Bevölkerungszahl zustehenden Mengen gekauft. Gegen einen Korrekturmechanismus sprachen sich Deutschland, die Niederlande, Schweden und Dänemark aus. Man fürchtete, dass die öffentliche Debatte "die Integrität des Verteilungsmechanismus und des Impfprozesses beschädigt", schrieb der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß nach Angaben der Zeitung "Welt" in einem Bericht.
Zum Austausch mit US-Präsident Joe Biden meinte Kurz er sei sehr froh, dass Biden "ganz klar festgehalten hat", dass "Europa auf die USA im Kampf gegen den Klimawandel zählen kann". Österreich sei die digitale und ökologische Transformation ganz wichtig und es sei gut, dass es nun "ein klares Commitment der USA gibt, hier mit Europa an einem Strang zu ziehen". Zu den Gesprächen der EU-Staats- und Regierungschefs über die Türkei, meinte Kurz, die Kritik aus Ankara, "dass wir Menschenrechtsfragen angesprochen haben", stimme ihn "alles andere als positiv". Er gehe davon aus, dass das Verhältnis zur Türkei ein "sehr forderndes bleiben wird", so Kurz.
Zusammenfassung
- Nach dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs gibt es weiter Divergenzen zur Impfstoffverteilung.
- Italiens Premierminister Mario Draghi kritisierte die Forderung nach zusätzlichen Dosen für Österreich bei der Verteilung von zehn Millionen zusätzlichen Ampullen des BioNTech/Pfizer-Impfstoffes.
- "Was Österreich betrifft bin ich sehr optimistisch, dass wir hier von dieser Lösung auch profitieren", sagte Kurz.