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Weißer Ring kritisiert Defizite bei Verbrechensopfergesetz

Betroffene von Gewalt im öffentlichen Raum wissen oft nicht um die ihnen zur Verfügung stehende Unterstützung Bescheid. Denn anders als bei Betroffenen von häuslicher Gewalt haben Hilfseinrichtungen bei "situativer" Gewalt nicht die Möglichkeit, an die Opfer, etwa jene des Terroranschlages, heranzutreten, kritisierte Natascha Smertnig, Geschäftsführerin des Weißen Ring im APA-Gespräch. Ändern soll sich das durch die Reform der Strafprozessordnung.

"Ein Terroranschlag ist die äußerste Form von situativer Gewalt, also die schrecklichste, die wir uns vorstellen können", sagte Smertnig. Zwar hatten die Opfer des Anschlags und Hinterbliebene der Getöteten über das Verbrechensopfergesetz Ansprüche auf Unterstützung. Bei Betroffenen von situativer Gewalt, also jener, bei der Opfer in keinem Verhältnis zum Täter standen, werden die Daten der Betroffenen aber nicht an Hilfseinrichtungen weitergegeben. "Es ist verständlich, dass sich die Opfer des Anschlags alleingelassen fühlten, wenn ihnen niemand Hilfe anbietet". Keine Handhabe habe man aber auch etwa bei Banküberfällen oder Übergriffen im öffentlichen Raum, sofern die Betroffenen nicht auf die Einrichtung zukommen.

Abhilfe geschafft werden soll dem durch die geplante Reform der Strafprozessordnung (StPO), deren Begutachtungsfrist nach Kritik von mehreren Seiten bis Ende Juli verlängert wurde, heißt es aus dem Justizministerium zur APA. Diese sieht unter anderem die Einführung der Möglichkeit für Opfer, die Übermittlung ihrer personenbezogenen Daten an eine Opferschutzeinrichtung ihrer Wahl zu verlangen, vor. Dadurch könnten Betroffene leichter an Unterstützung, etwa die Übernahme der Kosten von medizinischen Behandlungen oder Psychotherapie kommen. "Die Therapie ist eigentlich der wichtigste Baustein des Verbrechensopfergesetzes", betonte Smertnig.

Dass dieser "Zugang zum Recht" bislang unterschiedlich geregelt ist, rührt daher, dass man durch die Unterstützungsleistungen für Betroffene von häuslicher Gewalt weitere Übergriffe desselben Täters vermeiden wollte, für die die Gefahr ja etwa bei einem Terroranschlag nicht gegeben ist. Dadurch erhielten aber auch viele Menschen, die vom Anschlag in Wien 2020 körperliche oder psychische Spuren davontrugen, nicht die nötige Unterstützung. "Aus der Situation, dass ich als Opfer selbst tätig werden muss, ergibt sich dieses subjektive Gefühl, dass mir nicht geholfen wurde", so Smertnig.

Ähnlich ist die Situation auch für Hinterbliebene von Opfern von häuslicher Gewalt. Mord ist eines der Delikte, dem in Österreich häufiger Frauen als Männer zum Opfer fallen, bei den allermeisten Femiziden war der Täter der (Ex)Partner der Frau oder ein Verwandter oder Bekannter. Auch die Angehörigen haben Ansprüche auf Übernahme von Begräbnis- oder Therapiekosten, müssen dafür aber erst den Weg dorthin finden, weil sie wie Opfer von situativer Gewalt nicht kontaktiert werden können.

Da die Entschädigungen aus dem Verbrechensopfergesetz oft zu niedrig seien, schaffte die Republik Österreich den rund 3,5 Millionen Euro schweren Terroropferfonds, um unbürokratisch helfen zu können. Abgewickelt wurde dieser vom Weißen Ring, insgesamt erhielten 160 Personen Geld daraus. Vielen Menschen sei damals aber gar nicht bewusst gewesen, dass sie unter dem Erlebten leiden: "Wenn ich immer erschrecke, wenn ich laute Geräusche höre, wenn mir Menschen Ansammlungen unangenehm sind oder ich schlecht schlafe, ja, dann wäre das ein Zeichen, dass ich mir, dass es gut wäre, wenn ich Hilfe bekomme".

Eingerichtet wurde der Fonds auch, um den Gang vors Gericht für Betroffene zu vermeiden. Die Mutter einer vom Attentäter getöteten Frau hatte im Mai 2021 eine Amtshaftungsklage eingebracht, und erreichte vergangene Woche einen Teilerfolg. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass die Ansprüche wegen Behördenfehlern geprüft werden müssen. Die ersten beiden Instanzen in dem Amtshaftungsverfahren hatten die Prüfung der Ansprüche der Hinterbliebenen abgelehnt.

Neben der Unterstützung von Verbrechensopfern forscht und publiziert der Weiße Ring auch zum Thema. Erst vor wenigen Tagen wurde Band 11 der Schriftreihe "Viktimologie und Opferrechte" mit dem Titel "Hilfe und Unterstützung von Terroropfern" präsentiert. Darin werden die rechtlichen Grundlagen in der Opferrechte-Richtlinie, der Terrorismusbekämpfung-Richtlinie und im Strafprozessrecht beleuchtet und untersucht welche Möglichkeiten der staatlichen Entschädigung für Terroropfer bestehen. Auch zeigt ein Erfahrungsbericht des Weißen Rings, wie es gelingen kann Terroropfer zu unterstützen und welche Herausforderungen bestehen.

ribbon Zusammenfassung
  • Die geplante Reform der Strafprozessordnung soll Opfern situativer Gewalt ermöglichen, ihre Daten an eine Opferschutzeinrichtung weiterzugeben, um Unterstützung zu erhalten.
  • Ein 3,5 Millionen Euro schwerer Terroropferfonds wurde eingerichtet, um unbürokratisch zu helfen. Insgesamt erhielten 160 Personen Geld daraus.
  • Die Begutachtungsfrist der Reform wurde bis Ende Juli verlängert. Die Mutter eines Terroropfers erzielte einen Teilerfolg in einer Amtshaftungsklage.