Wechsel von Hauptschule auf NMS verbesserte Leistungen nicht
In der Publikation der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB) haben Bildungswissenschafterinnen und -wissenschafter etwa untersucht, wie sich die Lehrpraktiken durch die Umstellung auf die NMS verändert hat. Signifikante Verbesserungen bei der Lernunterstützung gab es laut dem Beitrag von Christoph Helm und Claudia Schreiner nur im Deutschunterricht. In Englisch fiel sie nur geringfügig aus, in Mathematik ging die Unterstützung in den ersten Jahren nach Einführung der NMS sogar zurück, zeigte der Vergleich von Daten aus den Bildungsstandardüberprüfungen der Jahre 2009 bis 2018. Dabei versuchten Lehrerinnen und Lehrer an Schulen, die von vielen Jugendlichen mit nicht-deutscher Muttersprache und aus niedrigeren sozialen Schichten besucht wurden, in allen Fächern und zu allen Erhebungszeitpunkten stärker auf den Bedarf der Jugendlichen einzugehen.
Die Umstellung hat auch nur teilweise zu mehr Chancengerechtigkeit geführt. Zwar hat sich bei NMS-Schülern das Kompetenzniveau etwa in Englisch stärker verbessert als bei AHS-Schülern und das noch einmal stärker bei Schülern mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Familien. Gleichzeitig sind aber am Übergang von der Volksschule die sozialen Unterschiede laut einer Analyse von Mario Steiner in der letzten Dekade - und damit während der Etablierung der NMS - noch gewachsen. Schüler mit Migrationshintergrund sind noch öfter an den NMS und noch seltener an AHS-Unterstufen zu finden als davor. Die Chancen, nach einer NMS in eine AHS-Oberstufe oder BHS zu wechseln, sind zwar gestiegen, vor allem für Schüler mit Migrationshintergrund. Allerdings brechen immer mehr Schüler mit einer NMS-Vorbildung die maturaführende Schule auch wieder ab.
"Keine Erfolgsgeschichte" ist laut den Forschern auch die veränderte Notengebung in der NMS: Die überlappende Notenskala mit de facto sieben Noten auf den Niveaus "grundlegend" oder "vertiefend" ab der 3. Klasse könne "mit den gesetzlichen Notendefinitionen nicht mehr sinnvoll in Verbindung gebracht werden", heißt es in der Analyse von Ferdinand Eder und Georg Hans Neuweg. Dieses Problem bleibe auch nach der Umstellung der Neuen Mittelschule auf die Mittelschule 2020, die die Wiedereinführung auch dauerhafter Leistungsgruppen ab der 2. Klasse und eine ebenfalls siebenteilige Benotung auf den Niveaus "Standard" und "Standard AHS" gebracht hat. Die Beurteilung nach "vertiefendem Niveau" bzw. "Standard AHS" ist Voraussetzung, um nach dem Abschluss ohne Aufnahmeverfahren an eine AHS-Oberstufe oder BHS zu wechseln.
"Sehr irritierend" ist für die Forscher auch, dass an den Gymnasien für die gleiche Note "spürbar mehr" geleistet werden muss als im eigentlich gleichgesetzten "vertiefenden Niveau" der NMS. Dort seien die Leistungsstandards - außer beim "Sehr gut" - massiv und grundlegend abgesenkt worden, so ihr Befund. Beim "grundlegenden Niveau" seien die Leistungsstandards unterdessen gleich geblieben oder sogar verschärft worden.
Die Neue Mittelschule war ein Prestigeobjekt von SPÖ-Bildungsministerin Claudia Schmid, die damit eigentlich einen Schritt in Richtung Gesamtschule machen wollte. Das scheiterte allerdings am Festhalten der ÖVP an der AHS-Unterstufe. 2008/09 wurde die NMS zunächst als Pilotprojekt eingeführt, 2012/13 nach durchwachsenen Evaluierungsergebnissen schließlich flächendeckend umgesetzt. Das neue System sah u.a. unter dem Titel Teamteaching in Deutsch, Mathe und Englisch gemeinsamen Unterricht zweier Lehrer im Umfang von sechs Wochenstunden vor. Ab 2015 konnten die Zusatzstunden auch für andere Fördermaßnahmen (Begabtenförderung, Förder- oder Leistungskurse etc.) verwendet werden. Mit dem Schuljahr 2020/21 wurde die NMS unter Türkis-Blau wieder zur "Mittelschule" umbenannt.
(S E R V I C E - Livia Jesacher-Rößler, David Kemethofer (Hg.): "10 Jahre Regelschule - die (Neue) Mittelschule", Beiträge zur Bildungsforschung herausgegeben von der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB), Band 10, 372 Seiten, 39,90 Euro. https://go.apa.at/bcAtq1r2 )
Zusammenfassung
- Eine Studie zum zehnjährigen Bestehen der Neuen Mittelschule (NMS) zeigt, dass die Reform die Bildungsleistungen nicht durchgängig verbessert hat und die Bildungsungleichheit nicht verringerte.
- In Mathematik verschlechterte sich die Lernunterstützung nach Einführung der NMS, während die Chancengerechtigkeit nur teilweise stieg und soziale Unterschiede am Übergang von der Volksschule sogar zunahmen.
- Die veränderte Notengebung in der NMS wird kritisiert, da sie nicht sinnvoll mit gesetzlichen Notendefinitionen verbunden werden kann und die Leistungsstandards, außer beim 'Sehr gut', abgesenkt wurden.