APA/dpa/Julian Stratenschulte

Ausgangslage vor der Wahl

Drohen in Deutschland österreichische Verhältnisse?

Heute, 18:23 · Lesedauer 5 min

Deutschland wählt einen neuen Bundestag. Die Ausgangslage ist laut Umfragen ganz klar: AfD und CDU dürften die großen Wahlsieger sein. Nicht so klar ist, wie es nach der Wahl weitergeht. Bei der Regierungsbildung drohen österreichische Verhältnisse.

Selbst in der Kleinstadt Stahnsdorf gibt es Protest, wenn die AfD auftritt. 

Im Rathaus der 16.000-Einwohner-Stadt im Landkreis Potsdam-Mittelmark, unweit von Berlin, luden vergangenen Montag mehrere AfD-Lokalpolitiker zum "Bürgerdialog". Draußen versammelten sich rund 100 Personen, um gegen diese Veranstaltung zu demonstrieren.

"Nazis raus", wurde gerufen. "Demokratie ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, die es zu verteidigen gilt", stand auf einem Schild. Ein Teilnehmer schwenkte eine Fahne der "Antifaschistischen Aktion". 

Demonstration vor der Gemeinde in StahnsdorfKonstantin Auer / PULS 24

Demonstration vor der Gemeinde in Stahnsdorf

Drinnen waren die Rufe und das Pfeifen zu hören, bis man sich entschied, die Fenster zu schließen. Laut den Teilnehmer:innen am Bürgerdialog seien die Demonstranten alle bezahlt. Von wem auch immer. Und sie seien sowieso alle aus Berlin angereist. Reden hielten draußen unter anderem Lokalpolitiker:innen von CDU, SPD und Grünen. Auch Vertreter der Kirche waren anwesend. 

Die in Teilen rechtsextreme AfD dürfte der große Gewinner der deutschen Bundestagswahl am Sonntag werden. Laut Umfragen könnte sie im Vergleich zur letzten Bundestagswahl 2021 ihr Ergebnis verdoppeln. Die Partei von Alice Weidel könnte das beste bundesweite Ergebnis, das die AfD je hatte, einfahren und erstmals in der Geschichte Platz 2 erreichen. 

Regieren wird die AfD wohl dennoch nicht. Denn wie in Stahnsdorf bei der Demo sind auch auf Bundesebene alle Parteien gegen die AfD. Eine Koalition mit den Blauen schlossen alle anderen Parteien aus, auch wenn Friedrich Merz (CDU) das nach der gemeinsamen Abstimmung im Bundestag umso vehementer betonen musste. 

Die AfD scheint das nicht groß zu stören. Zumindest erzählt man das vor Anhänger:innen im Rathaus von Stahnsdorf, um nicht den Anschein zu erwecken, eine Stimme an die eigene Partei sei eine verschwendete. 

Kickls "Notbremse"

Alexander Tassis, Direktkandidat der AfD im Wahlkreis 61, in dem er gegen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) antritt, bezeichnete beim "Bürgerdialog" FPÖ-Chef Herbert Kickl als "genial".

Dieser habe in den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP die "Notbremse" ziehen müssen. So sei das auch mit der Union: "Mit dieser CDU" sei keine Koalition möglich, sagte Tassis auf Nachfrage eines Anhängers, der sich eine Annäherung der beiden Parteien wünschte.

Denn ohne die CDU wird es wohl nicht gehen: Auch, wenn Scholz das am Samstag beim Wahlkampf in seiner Heimat Potsdam noch nicht glauben wollte und auf die vielen Unentschlossen hoffte: Friedrich Merz wird laut Umfragen ziemlich sicher Platz 1 belegen.

Damit er daraus etwas machen kann, um Kanzler zu werden, muss er allerdings erst eine Koalition schmieden. Die meisten Beobachter:innen gehen jedenfalls – wie in Österreich – von langen und schwierigen Koalitionsverhandlungen aus.

Die spannendste Frage am Wahlabend wird sein, ob denn nun Linke, FDP und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die Fünfprozenthürde knacken und in den Bundestag einziehen. Davon hängt ab, ob Merz eine oder zwei Parteien als Koalitionspartner brauchen wird. 

Merz und Söder beim Wahlkampffinale in München.AFP

Merz und Söder beim Wahlkampffinale in München.

Dabei machen es Merz selbst Freunde nicht leicht: Beim Wahlkampffinale der Union im Münchner Löwenbräukeller sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder am Samstagnachmittag abermals, dass er eine Koalition mit den Grünen ablehne. 

"Keine Koalition mit den Grünen"

Wirtschaftsminister und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck verfolge eine Politik, die der Autobranche schade, sagte Söder. "Damit ist es klar: Keine Koalition mit den Grünen, liebe Freunde", rief Söder und erhielt dafür Jubel und Applaus des Publikums.

  • Über die aktuellen Ereignisse am Wahltag informieren wir im Liveblog.

Merz lehnte eine Koalition mit den Grünen entgegen seines ehemaligen parteiinternen Widersachers nie ab. Zuletzt sahen einige Umfragen allerdings die Union unter der symbolisch wichtigen 30-Prozent-Marke. Kommt Merz nicht darüber, könnten die Stimmen aus Bayern noch lauter werden. 

Für die Zusammenarbeit mit den Grünen spricht, dass diese laut Umfragen als einzige Ampel-Partei wenig Verluste zu befürchten haben. Anders als die SPD. "Ich glaube nicht an Wunder, sondern an einen Wahlsieg", sagte Scholz noch am Samstag. Laut Umfragen könnte er allerdings das historisch schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten einfahren. 

Scholz in PotsdamAFP

Scholz in Potsdam

Egal, ob mit Grünen oder SPD: Inhaltlich müsste Merz bei beiden Parteien große Gräben überwinden. Nicht nur, was die Migration angeht, haben die beiden Ampel-Partner andere Ansichten als die Union. Scholz betonte immer wieder, dass er dem CDU-Kanzlerkandidaten seit der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD nicht mehr vertraue. 

AfD sieht "Zeitenwende"

In der Union spekuliert man aber ohnehin, ob Scholz nach einem schwachen Ergebnis an der SPD-Spitze nicht Geschichte sein könnte. Auch das erinnert an die Debatte um den österreichischen SPÖ-Chef Andreas Babler. 

Beim AfD "Bürgerdialog" in Stahnsdorf schien man genau auf solche Verhältnisse zu hoffen. Mehrmals sprach man von einer "Zeitenwende". Die Zeit der AfD sei gekommen, das sehe man in den USA, in Ungarn und in Österreich. Wenn nicht bei dieser Wahl, dann halt bei der nächsten. 

Diese Themen beschäftigen Deutschland

"Standard"-Journalist Eric Frey im Interview.

Zusammenfassung
  • Deutschland wählt einen neuen Bundestag. Die Ausgangslage ist laut Umfragen ganz klar: AfD und CDU dürften die großen Wahlsieger sein.
  • Nicht so klar ist, wie es dann weitergeht. Bei der Regierungsbildung drohen österreichische Verhältnisse.
  • Und auch bei der AfD nimmt man sich Herbert Kickl als Vorbild.
  • Alexander Tassis, Direktkandidat der AfD im Wahlkreis 61, in welchem er gegen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) antritt, bezeichnete beim "Bürgerdialog" FPÖ-Chef Herbert Kickl als "genial".
  • Dieser habe in den Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP die "Notbremse" ziehen müssen. So sei das auch mit der Union: "Mit dieser CDU" sei keine Koalition möglich, sagte Tassis.