Van der Bellen: "Es ist mir schon klar, es können sich nicht alle leiden"
Bei seiner Rede vor der Bundesversammlung stellte Van der Bellen einmal mehr die von ihm bekannten Themen Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit in den Vordergrund. Etwas launig rief er anfangs die versammelten Politiker aller Parteien auf: "Sehen Sie ihren Nachbarn, ihre Nachbarin an." Er fügte schmunzelnd hinzu: "Es ist mir schon klar, es können sich nicht alle leiden", trotzdem gelte es, gegenseitig Respekt zu zeigen. Schließlich seien alle Abgeordneten gewählt und würden so einen Teil der Gesellschaft vertreten.
Eine Demokratie zeichne aus, dass trotz gegensätzlicher Ansichten und Überzeugungen am gemeinsamen Ziel des Wohles der Bevölkerung gearbeitet werde. "Wir können das", sagte Van der Bellen. "Wir können auch mit Menschen auskommen, die mit unserer persönlichen Weltsicht sehr wenig zu tun haben", so der Bundespräsident.
"Unseren gewohnten Alltag verändern"
Das Staatsoberhaupt machte aber auch klar, dass aus seiner Sicht nicht alles so bleiben könne, wie es ist. "Wir werden unseren gewohnten Alltag verändern müssen. Denn sonst laufen wir Gefahr, unsere Zukunft abzuschaffen", sagte er. Seinen Wählern dankte er für das Vertrauen: "Ich freue mich, für weitere sechs Jahre Ihr Bundespräsident sein zu dürfen."
Glaube man den aktuellen Umfragen, "so scheint es fast, als hätten wir alles außer der Hoffnung". Doch nicht die Angst dürfe das Bild der Zukunft diktieren, sondern die Zuversicht: "Wir kriegen das hin - das sind keine leeren Worte." Der Bundespräsident erinnerte als Beispiele daran, dass trotz Pandemie und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ("Putin attackiert unsere Art zu leben") die Wirtschaft gewachsen, die Arbeitslosenquote gesunken und die Gasspeicher voll seien. "Wir haben es geschafft", betonte er: "Das waren wir alle gemeinsam."
Noch mehr könne geschafft werden, "wenn wir unsere Demokratie hochhalten und verteidigen". Deren zentraler Baustein sei die gemeinsame Lösung, der Kompromiss. Es müsse gelingen, "über die Grenzen hinwegzusehen und die Fähigkeiten des anderen zu sehen".
Journalist Walter Hämmerle analysiert die Angelobungsrede von Van der Bellen.
"Für intakte Medien und Wahrheit"
Van der Bellen hielt in diesem Zusammenhang ein Plädoyer für eine intakte Medienlandschaft, denn es brauche ein gemeinsames Verständnis über die Beschaffenheit der Wirklichkeit und nicht "alternative Fakten". Dass bestimmte politische Player schlichte Tatsachen oder bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse bestritten, sei bestürzend. "Wenn wir hier nicht klar auftreten und die Dinge beim Namen nennen, steht eines Tages unser gesamtes Gesellschafts- und Wertesystem in Frage."
An die Politik appellierte er, dass sie Orientierung geben und Lösungen vorschlagen müsse, "regieren, nicht nur reagieren" und auch unbequeme Wahrheiten aussprechen müsse. Hier verwies er auf die Klimakatastrophe, wo naturwissenschaftliche Tatsachen von vielen mit "bequemem Geschwätz" geleugnet worden seien. Jahrzehntelang sei die Reduktion der Treibhausgasemissionen versäumt worden. "Wir müssen etwas tun", unterstrich Van der Bellen, der Ausstieg aus der fossilen Energie müsse so schnell wie möglich kommen.
"Nationalsozialismus darf sich nicht wiederholen"
Zum Abschluss bekannte sich der Bundespräsident einmal mehr zur europäischen Solidarität, aber auch "nach bestem Wissen und Gewissen" zum Zusammenhalt innerhalb Österreichs und seiner Institutionen. Unantastbar seien Grund- und Freiheitsrechte, die Menschen- und Minderheitenrechte, die Institutionen der liberalen Demokratie seien zu respektieren. Der verheerende Nationalsozialismus dürfe sich niemals wiederholen. "Und deshalb müssen wir alle sehr genau hinsehen und alles tun, um antidemokratische, die Würde der Menschen verletzende, autoritäre Tendenzen rechtzeitig und entschlossen zu stoppen", sagte er.
Zusammenfassung
- Bei seiner Angelobung als Bundespräsident rief Alexander Van der Bellen die Politik dazu auf, trotz unterschiedlicher Weltsicht respektvoll miteinander umzugehen.
- Außerdem forderte er, dass Politiker ihren Wählern auch unbequeme Wahrheiten nicht vorenthalten und "regieren statt reagieren" sollen.