Ukraine-Krise: Riskante Kommunikationsstrategie der USA
Erklärtes Ziel dieses Vorgehens ist, Russland von einem Einmarsch in die Ukraine abzuhalten. Die Strategie ist Experten zufolge äußerst riskant für die USA - könnte aber aufgehen.
Inszenierung eines Vorwands
Mit detaillierten Angaben zu einem möglichen russischen Einmarsch in die Ukraine sorgen die USA seit Wochen für Furore. Im Zentrum steht dabei die Befürchtung, dass Russland einen Vorwand erfinden könnte, um einen Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen.
Unter Berufung auf US-Geheimdienstinformationen sagte Pentagon-Sprecher John Kirby Anfang Februar, Russland plane die Produktion eines Propagandavideos, das einen inszenierten Angriff der Ukraine auf Russland oder russischsprachige Menschen in der Ukraine zeigen solle. "Wir haben solche Aktivitäten der Russen bereits in der Vergangenheit gesehen", sagte Kirby.
Wie genau Russland nach US-Einschätzung bei einem Angriff auf die Ukraine vorgehen würde, legte am Donnerstag US-Außenminister Antony Blinken dar. Vor dem UNO-Sicherheitsrat sagte er, Moskau würde zunächst einen "Vorwand für einen Angriff" schaffen. In einem zweiten Schritt würde die russische Regierung "theatralisch zu Krisentreffen" zusammenkommen und erklären, Moskau müsse "russische Bürger oder ethnische Russen in der Ukraine verteidigen", sagte Blinken. Dann werde der russische Angriff starten - mit Raketen- und Luftangriffen, Cyberattacken und dem Vormarsch russischer Soldaten und Panzer auf "Schlüsselziele, die bereits identifiziert wurden".
Bisher hat Russland weder ein Video eines angeblichen ukrainischen Angriffs noch sonstige "Belege" vorgelegt, die als vermeintliche Rechtfertigung für eine russische Reaktion dienen könnten. Für US-Diplomaten und Geheimdienstvertreter ist aber gerade das ein mögliches Zeichen dafür, dass ihre Kommunikationsstrategie aufgeht. Indem Washington eigentlich vertrauliche Geheimdienstinformationen transparent mache, nehme es möglichen russischen Desinformationskampagnen frühzeitig den Wind aus den Segeln, so die Theorie.
Informationen als politisches Instrument
Als "hilfreich" bezeichnete US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nach einem NATO-Treffen in Brüssel am Donnerstag die derzeitige US-Kommunikationsstrategie. "Wir teilen alles, was wir wissen", betonte er.
"Letztlich ziehen die USA mit Blick auf die Nutzung von Informationen zur Gestaltung von Ereignissen mit ihren Rivalen - darunter Russland und Wikileaks - gleich", schrieb kürzlich der ehemalige CIA-Agent Douglas London im Politik-Magazin "Foreign Affairs". Mit dieser Strategie gehe Washington ein großes Risiko ein. So laufe die US-Regierung Gefahr, wertvolle Informanten oder Informationskanäle preiszugeben. Auch drohe ein Glaubwürdigkeitsverlust der USA, sollten die Szenarien, vor denen sie warnen, nicht eintreten.
Drohender Glaubwürdigkeitsverlust
Auf die Verächtlichmachung der US-Informationen setzt Russland. Russische Regierungsvertreter zogen die US-Warnungen vor einem russischen Einmarsch in die Ukraine in den vergangenen Tagen ins Lächerliche und erinnerten süffisant an die Rede des damaligen US-Außenministers Colin Powell 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat, in der er von "Beweisen" für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak sprach und damit die US-Invasion im Irak begründete. Die nachweisliche Nicht-Existenz dieser Massenvernichtungswaffen schadete dem Ansehen der USA nachhaltig.
Ex-CIA-Agent London verwies gleichwohl darauf, dass die USA auch in der Vergangenheit schon vertrauliche Geheimdienstinformationen wirksam eingesetzt hätten. Als die USA 2021 CIA-Erkenntnisse zur mutmaßlichen Verwicklung des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in die Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi veröffentlichten, machten sie damit laut London deutlich, wie gut sie über die Vorgänge im Königshaus informiert sind - eine klare Warnung an Riad.
Im Fall der Ukraine-Krise wollen die USA nun durch das Bloßstellen der Kreml-Pläne einen russischen Angriff auf das Nachbarland verhindern, wie US-Regierungsvertreter betonen. "Das wäre das bestmögliche Ergebnis", heißt es in ranghohen Regierungskreisen. "Damit würden wir tausende Leben retten."
Zusammenfassung
- In ungewöhnlicher Offenheit teilen die USA in der Ukraine-Krise Erkenntnisse ihrer Geheimdienste mit der Weltöffentlichkeit.
- Erklärtes Ziel dieses Vorgehens ist, Russland von einem Einmarsch in die Ukraine abzuhalten. Die Strategie ist Experten zufolge äußerst riskant für die USA - könnte aber aufgehen.