Syrischer Rebellenführer: Wahlen erst in mehreren Jahren
Es war das erste Mal, dass sich Sharaa seit dem Sturz von Präsident Bashar al-Assad und der jahrzehntelangen Diktatur zu einem möglichen Zeitplan für Wahlen äußerte. Sharaa kündigte an, dass seine Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) im Rahmen eines nationalen Dialogs aufgelöst werden solle. In Bezug auf die künftigen Auslandsbeziehungen betonte Sharaa, dass Syrien strategische Interessen mit Russland habe. Russland hat Militärstützpunkte in Syrien, war ein enger Verbündeter Assads im Bürgerkrieg und hat dem vor den Rebellen geflohenen Diktator Asyl gewährt.
Sharaa äußerte zudem die Hoffnung, dass die künftige US-Regierung des designierten Präsidenten Donald Trump ihre Sanktionen gegen Syrien aufheben werde. Ranghohe US-Diplomaten hatten Sharaa nach einem Besuch in Damaskus und Gesprächen mit der neuen Führung als "pragmatisch" bezeichnet. Zudem erklärten sie, dass die Regierung in Washington beschlossen habe, das auf den HTS-Anführer ausgesetzte Kopfgeld zu streichen.
Die HTS-Miliz hatte früher Verbindungen zur Islamisten-Organisation Al-Kaida und wird von den Vereinten Nationen, den USA und der EU bisher als Terrororganisation eingestuft. Sharaa hatte unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Golani die Al-Nusra-Front geführt, einen Al-Kaida-Ableger, der zwischenzeitlich auch Verbindungen zur Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) hatte. Später sagte er sich von IS und Al-Kaida los und gründete 2017 die HTS - die "Organisation zur Befreiung Syriens". Diese Schritte wurden aber auch als Fassade gewertet, um die Macht und den Einfluss von HTS auszubauen.
Die versuchte Aufarbeitung von Verbrechen aus der Regierungszeit Assads läuft unterdessen wohl weiter. Sicherheitskräfte der Übergangsregierung hätten dabei landesweit mehr als 300 Verdächtige festgenommen, teilte die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Darunter seien Ex-Offiziere, Sicherheitsleute und Informanten, die an Festnahmen, Misshandlungen und Folter unter Assad beteiligt gewesen sein sollen. Der Libanon übergab demnach zudem rund 70 ebenfalls verdächtigte Syrer an Sicherheitskräfte an der gemeinsamen Grenze.
Auch die gefürchteten Sicherheitsbehörden der Assad-Regierung sollen aufgelöst und neu strukturiert werden. Das sagte der neu ernannte Geheimdienst-Chef Anas Khattab laut einer Mitteilung der Nachrichtenagentur Sana. Der Schritt solle "dem Volk, seinen Opfern und seiner langen Geschichte dienen", sagte Khattab demnach. Dem gestürzten Machthaber Assad warf er vor, die Syrer mit Hilfe der Sicherheitsbehörden ungerecht behandelt und unterdrückt zu haben.
Die Bevölkerung während der Regierungszeit Assads und seines Vaters Hafez al-Assad wurde mehr als 50 Jahre lang mit oft brutalsten Methoden unterdrückt. Dazu zählten willkürliche Tötungen und Verschwinden, schwerste Formen von Folter und unmenschliche Strafen in den Gefängnissen des Landes. Zehntausende wurden unrechtmäßig inhaftiert.
Israels Luftwaffe griff unterdessen nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten unterdessen mutmaßlich erneut Ziele in Syrien an und tötete dabei mindestens elf Menschen. Die meisten davon seien Zivilisten, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. An einem Waffenlager nahe Damaskus, das Truppen der gestürzten syrischen Regierung gehöre, sei es zu einer schweren Explosion gekommen. Vermutlich handle es sich erneut um israelische Luftangriffe. Die israelische Armee äußerte sich zunächst nicht.
Zusammenfassung
- Ahmed al-Sharaa, der Anführer der HTS, schätzt, dass es bis zu vier Jahre dauern könnte, bis Wahlen in Syrien abgehalten werden, da die Ausarbeitung einer neuen Verfassung bis zu drei Jahre in Anspruch nehmen könnte.
- Über 300 Verdächtige, darunter Ex-Offiziere und Sicherheitsleute, wurden von den Sicherheitskräften der Übergangsregierung festgenommen, die mit Verbrechen während Assads Regierungszeit in Verbindung stehen.
- Israels Luftwaffe hat mutmaßlich erneut Ziele in Syrien angegriffen, wobei mindestens elf Menschen, hauptsächlich Zivilisten, getötet wurden, so die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.