Afghanistan: Taliban wollen andere an Macht beteiligen
Die militant-islamistischen Taliban wollen auch weitere politische Kräfte an der Macht in Afghanistan beteiligen. Das sagte der langjährige Sprecher der Islamisten, Zabihullah Mujahid, bei seiner ersten öffentlichen Pressekonferenz in Kabul am Dienstag. "Wenn die Regierung gebildet ist, dann wird jeder einen Teil daran haben." Die Islamisten seien nicht für Macht hier, sondern um eine islamische Regierung aufzubauen. Österreich schickt unterdessen ein Krisenteam nach Kabul.
Nach ihrem rasanten Eroberungszug und der Flucht des Präsidenten Ashraf Ghani haben die Taliban am Sonntag faktisch die Macht im Land übernommen. Viele Afghanen befürchten nun eine Rückkehr der Schreckensherrschaft der Islamisten der 1990er-Jahre, während der etwa Frauen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen waren und die Vorstellungen der Islamisten mit barbarischen Strafen durchgesetzt wurden. Viele, die für die Regierung, Streitkräfte oder Ausländer tätig waren, haben auch Angst vor möglichen Racheaktionen der Islamisten.
Taliban versichern allgemeine Amnestie
Taliban-Sprecher Mujahid schlug bei der Pressekonferenz weitere versöhnliche Töne an und versuchte derartige Bedenken offenbar zu zerstreuen. Die Taliban hätten mit niemandem Feindseligkeiten. Er versichere seinen Landsleuten, auch jenen, die in Opposition zu den Islamisten gestanden hätten, dass eine allgemeine Amnestie gelte. Diese umfasse auch ehemalige Übersetzer von ausländischen Streitkräften. Man habe auch alle Soldaten begnadigt, die in den vergangenen Jahren mit ihnen gekämpft hätten.
Laut Nahost-Experte Thomas Schmidinger streben die Taliban nach "internationaler Anerkennung".
Mujahid versicherte zudem, dass die Sicherheit von Botschaften und der Stadt Kabul gewährleistet sei. Niemandem würde in Afghanistan etwas passieren. Die Taliban setzten sich auch für die Rechte von Frauen im Rahmen der islamischen Scharia ein. Frauen könnten in den Bereichen Gesundheit, Bildung und anderen Bereichen tätig sein. Auch Medien sollten sich keine Sorgen machen. Sie müssten unparteiisch bleiben und Inhalte sollten nicht islamischen Werten entgegenstehen. Auf eine Frage nach dem Tod vieler unschuldiger Zivilisten sagte er, das sei ohne Absicht passiert.
Wie genau in Zukunft das Land geführt werden soll, wie eine Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll, ist noch unbekannt. Laut Sprecher Mujahid arbeitet die Taliban-Führung gerade "ernsthaft" daran.
So regierten die Taliban vor 20 Jahren
Frauen durften nicht mehr arbeiten und nur noch verschleiert mit einer Burka und in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds das Haus verlassen. In der Öffentlichkeit war für sie lautes Sprechen oder Lachen verboten. Das Fotografieren und Filmen von Frauen war untersagt. Mädchen wurden vom Schulunterricht ausgeschlossen. Männer mussten Turban und langen Bart tragen. Die Sittenpolizei verprügelte diejenigen auf offener Straße, die gegen diese Regeln verstießen.
Taliban bauen in Afghanistan radikalen Gottesstaat auf
Die Willkürherrschaft in Afghanistan kannte keine klaren Gesetze und einklagbaren Rechte. Vergehen wurden mit Auspeitschungen geahndet, Dieben die Hand abgehackt. Homosexuelle wurden gesteinigt. Mörder wurden von den Verwandten ihrer Opfer exekutiert. Afghanen, die zu einer anderen Religion wechselten oder diese propagierten, konnten hingerichtet werden. Die Taliban untersagten den Gebrauch des Internets - etwa weil dort Obszönitäten, Unmoral und Propaganda gegen den Islam verbreitet würden, wie es hieß. Auch Fernsehen, Musik und Tanzen waren verboten.
Die Milizen verfolgten ihre Gegner rigoros. Der frühere Präsident Mohammed Najibullah etwa wurde nach der Eroberung Kabuls aus einem UN-Gebäude verschleppt und öffentlich hingerichtet.
Andere Religionen und Kulturen hatten keinen Wert
Andere Religionen und Kulturen hatten für die Taliban keinen Wert: Ein UN-Report von 1998 berichtete etwa von Massenhinrichtungen von schiitischen Hasara, einer ethnischen Minderheit, dazu brutale Folterungen und Vergewaltigungen. Die Hindu-Minderheit im Land wurde zum Beispiel gezwungen, ein gelbes Kennzeichen auf der Brust zu tragen - angeblich um nicht mehr von der Sittenpolizei wegen zu kurzer Bärte und fehlender Turbane belästigt zu werden.
In Erinnerung bleibt auch die Zerstörung zweier berühmter, in den Fels gehauener Buddha-Statuen im März 2001. Die 55 und 38 Meter hohen Bildnisse aus vor-islamischer Zeit in der Bamian-Provinz hatte die UNESCO als einzigartiges Gut des Welterbes eingeschätzt. Für den Obersten Rat der Taliban waren sie unislamisch.
Es ist unklar, ob die Taliban heute gleich regieren werden, wie damals. Sie besprechen derzeit, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben und wer sie führen wird. Bisher unterließen es ihre Offiziellen, konkrete Aussagen zu machen. Insgesamt geben sie sich jüngst sehr versöhnlich. Frauen sind auch nach ihrer faktischen Machtübernahme in der Hauptstadt in den Straßen unterwegs, sie sind auch weiter in Fernsehsendungen zu sehen. Taliban-Offizielle riefen auch explizit Frauen dazu auf, ihre Arbeit in den Regierungsstellen wieder aufzunehmen. Beobachter zweifeln, ob diese weiche Linie bleibt.
Zusammenfassung
- Die militant-islamistischen Taliban wollen auch weitere politische Kräfte an der Macht in Afghanistan beteiligen. Das sagte der langjährige Sprecher der Islamisten, Zabihullah Mujahid, bei seiner ersten öffentlichen Pressekonferenz in Kabul am Dienstag.
- Die Taliban hätten mit niemandem Feindseligkeiten. Er versichere seinen Landsleuten, auch jenen, die in Opposition zu den Islamisten gestanden hätten, dass eine allgemeine Amnestie gelte.
- Viele Afghanen fürchten trotzdem eine Rückkehr der Schreckensherrschaft der Taliban wie vor 20 Jahren.
- In Afghanistan haben die militant-islamistischen Taliban ab Mitte der 1990er einen islamischen Gottesstaat errichtet.
- Frauen durften nicht mehr arbeiten und nur noch verschleiert mit einer Burka und in Begleitung eines männlichen Familienmitglieds das Haus verlassen.
- Mädchen wurden vom Schulunterricht ausgeschlossen. Männer mussten Turban und langen Bart tragen. Die Sittenpolizei verprügelte diejenigen auf offener Straße, die gegen diese Regeln verstießen.