Bauernbund

Faktencheck: Halten die ÖVP-Argumente gegen Renaturierung?

Der ÖVP-Bauernbund argumentiert laut gegen das "Ja" von Umweltministerin Gewessler für das Renaturierungsgesetz. Der Ministerin wird "Aktivismus" vorgeworfen – nur argumentiert der Bauernbund teilweise selbst abseits der Fakten.

Inhaltlich dreht sich die Diskussion um die EU-Renaturierungsverordnung in Österreich schon lange im Kreis: In der ZIB 2 war am Montagabend Bauernbund-Präsident Georg Strasser zu Gast, er argumentierte gegen die Greenpeace-Vertreterin Ursula Bittner. Seine Argumente als Bauernbund-Vertreter überschneiden sich mit jenen der ÖVP und der Landwirtschaftskammern. Das verwundert nicht, da der Bauernbund einerseits eine ÖVP-Teilorganisation ist, und gleichzeitig die Landwirtschaftskammern dominiert. Es gibt also viele personelle Überschneidungen.

Ein Faktencheck zu den geläufigsten Argumenten der ÖVP und zur Anzeige des Bauernbunds gegen die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler.

1. Steht die Versorgungssicherheit auf dem Spiel?

In einer Aussendung nach der Abstimmung und im Interview betonte der Bauernbund, dass die Versorgungssicherheit durch die Renaturierung gefährdet wäre. So auch der Chef der Europäischen Volkspartei Manfred Weber im Jahr 2022.

Laut Agrarökonomin Maria Burgstaller von der Arbeiterkammer Wien werde die Renaturierungsverordnung die Lebensgrundlagen sichern. Die Expertin kennt keine Studie, die besagt, dass die Verordnung zu Problemen führen würde. "Das Erreichen der Ziele der Renaturierungsverordnung ist überlebensnotwendig", so Burgstaller.

270 Prozent Selbstversorgung bei Weizen

Strasser warnte auch vor der "Exportfalle" – dass Österreich in Zukunft selbst "Lebensmittel zu schlechteren Standards importieren" müsse.

Wenn wir von Ernährungssicherheit sprechen, müssen wir uns nicht nur die Produktionsseite, sondern auch die Verwendung ansehen, so Ökonomin Burgstaller. Aktuell habe Österreich einen Selbst-Versorgungsgrad bei Brotgetreide von zirka 270 Prozent. Das bedeutet, dass von 100 Kilo in Österreich gewachsenem Brotweizen nur rund 40 Kilo tatsächlich in Österreich verspeist und 60 Kilo davon exportiert werden können.

Auch die Details der gesamten Getreidebilanz zeigen eindeutig: Insgesamt käme nur ein geringer Teil des in Österreich produzierten Getreides in Form von Brot, Nudeln auf den Tisch (zirka 20 Prozent), so die Ökonomin.

Ein viel größerer Teil des Getreides werde als Agrotreibstoff im Tank verheizt (rund zehn Prozent) oder in der Industrie verarbeitet und deren Produkte teilweise exportiert. Etwa die Hälfte des Getreides werde an Tiere verfüttert und diene als Grundlage für tierische Produkte. Diese Getreidebilanz zeige, so Burgstaller, dass es mehr Spielraum für eine effizientere Verwendung von Getreide gäbe, um dieses für Ernährung zu verwenden. 

Insgesamt sei die EU einer der wichtigsten Agrar-Exporteure der Welt. Daher ist auch das Argument der drohenden Importe wegen der Renaturierung nicht faktenbasiert, so Burgstaller.

Renaturierung als Versorgungsgarant

Auch der ökologische Ökonom Mathias Kirchner von der Wiener Universität für Bodenkultur sieht die Renaturierungsverordnung als mittel- und langfristige Sicherung der Versorgung. Biodiversität und intakte Natursysteme würden die Resilienz und Fruchtbarkeit von Böden und Pflanzen erhöhen.

Intensivierung der Landwirtschaft ohne Rücksicht auf Biodiversität und Bodengesundheit untergrabe die Nahrungssouveränität und würde zu teureren Lebensmittelpreisen führen.

2. Werden Lebensmittel teurer?

Strasser sprach im Interview auch davon, dass Lebensmittel durch die Richtlinie teurer würden, und dass das auch die EU-Kommission betont hätte. Das ist falsch.

Preistreiber sind, so die Kommission in einem Q&A zum Renaturierungsgesetz, die Coronakrise und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Verschärft wird diese Situation durch schlechte Ernten aufgrund von Extremwetterereignissen. Laut Experteneinschätzungen verbessern Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur die Ernährungssicherheit, so die EU-Kommission in ihren Unterlagen.

Maßnahmen wie eine Senkung der Energie-Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen als Energieträger oder Russland als Lieferant könnten die Preise senken. Generell beschreibt die EU-Kommission die Klima- und Biodiversitätskrise als die größte Bedrohung für die Ernährungssicherheit.

3. Entscheidet Brüssel über die Köpfe der Bauern hinweg?

"Ziele vorgeben von oben herab geht den Menschen auf die Nerven", so Strasser. 

Umgangssprachlich sprechen Politiker:innen vom Renaturierungs"gesetz" - richtiger wäre "Verordnung über die Wiederherstellung der Natur". Das heißt, die EU gibt keine Maßnahmen vor, sondern setzt den Mitgliedsstaaten Ziele bis 2050 und stellt dafür Mittel bereit. Wie diese Ziele erreicht werden, legen die Staaten selbst auf nationaler Ebene fest.

Landwirtschaftsagenden werden in Brüssel nicht vom "Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union" verhandelt, sondern von nationalen Spitzenbeamten aus den Landwirtschaftsministerien im sogenannten "Sonderausschuss Landwirtschaft".

Der Landwirtschaftssektor diktiert in Brüssel als einziger Geschäftsbereich seine Gesetzgebung selbst. Dabei wird also nichts "über die Köpfe" hinweg beschlossen, sondern das seit 37 Jahren in ÖVP-Hand liegende Landwirtschaftsministerium entscheidet direkt mit.

4. Entstehen für Österreich große Kosten?

Ein weiteres Gegenargument sind die hohen Kosten. Dabei wird immer wieder die Zahl von 154 Milliarden Euro genannt. Bei dieser Summe handelt es sich jedoch nicht um die Kosten, die auf Österreich zukommen würden, sondern um eine Hochrechnung der Kommission für die gesamte EU und den Zeitraum bis zum Jahr 2070.

Am Rande des Austrian World Summit sagte Ministerin Gewessler am Donnerstag gegenüber "Ö1", dass einerseits auf europäischer Ebene Mittel für die Biodiversität reserviert seien und es andererseits auch nationale Finanzierungsmittel gebe.

Österreich kassiert in der aktuellen Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU pro Jahr 1.582,4 Millionen Euro.

5. Ist die Artenvielfalt in Österreich nicht ohnehin gut?

"Eine Studie des Ministeriums beweist ja, dass in den letzten 30 Jahren die Insekten in Österreich stabil geblieben sind, trotz Klimawandel", behauptete Strasser in der ZIB 2. Man solle da "am Boden der Wissenschaft bleiben", meinte er. Auch das ist falsch.

Die Studie des Landwirtschaftsministeriums besagt das genaue Gegenteil. In einer Stellungnahme der Autor:innen zu der Studie heißt es: "Die festgestellte höheren Artenzahlen und Individuendichten im Hochgebirge sind vor allem der Klimaerwärmung geschuldet." Dabei werden an Kälte angepasste Arten durch wärmeliebende Arten verdrängt. Weiters: "Die Artenzahl in zuvor artenreichen Standorten nahm österreichweit ab."

Die Zahl der Tiere bleibt zwar teilweise gleich, die Zahl der Arten nimmt aber ab, weil manche komplett aussterben. Die Autor:innen der Studie werten die Abnahme der Artenvielfalt als besorgniserregend. Die Autor:innen sahen diese Stellungnahme als notwendig an, weil die Studie "medial oft einseitig und lückenhaft aufgegriffen wurde", heißt es.

Video: Das bringt das EU-Renaturierungsgesetz

6. Sind "die Bauern" gegen Renaturierung?

Der ÖVP-Bauernbund dominiert die Landwirtschaftskammern und auch das Landwirtschaftsministerium ist seit 37 Jahren ÖVP-geführt. Die ÖVP nimmt für sich daher in Anspruch, mit der Ablehnung des EU-Renaturierungsgesetzes stellvertretend für alle Landwirte in Österreich zu sprechen.

Es gibt aber auch andere Stimmen in der Bauernschaft: So begrüßte die Via Campesina, die Vereinigung der österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innen (ÖBV), das "Ja" von Ministerin Gewessler. 

"Das EU-Renaturierungsgesetz schützt unsere Produktionsgrundlagen und nicht andersherum. Gerade die Starkregenereignisse der letzten Wochen, damit verbundene Überschwemmungen und letztlich Bodenerosion zeigen, wie wichtig ein Umdenken in der Landwirtschaft ist. Das Gesetz ist ein zentrales Instrument im Kampf gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen", sagt Ludwig Rumetshofer, Biobauer und ÖBV-Vorstandsmitglied.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Bauernbund argumentiert laut gegen das "Ja" von Umweltministerin Gewessler für das Renaturierungsgesetz.
  • Der Ministerin wird Aktivismus vorgeworfen – nur argumentiert der Bauernbund selbst abseits der Fakten.
  • Ein Teil der Bauern-Organisationen begrüßt Gewesslers "Ja" zur Renaturierungsverordnung.