Modell für ganz Österreich
Familiennachzug: Kinder sollen in Orientierungsklassen
Ähnliche Modelle gibt es schon in Wien und Vorarlberg, im Ministerrat wurde am Mittwoch die Ausarbeitung eines bundesweiten Modells beschlossen.
Seit 2023 sind über den Familiennachzug vermehrt Kinder von Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten nach Österreich gekommen, die wegen ihrer Fluchterfahrung samt Aufenthalten in Lagern in der Türkei oder im Libanon nur wenig oder gar keine schulische Vorerfahrung hatten.
In Wien kamen dadurch allein im Schuljahr 2022/23 rund 4.000 Kinder zusätzlich in die Volksschulen, zuletzt waren die Zahlen stark rückläufig. Neben Deutschkenntnissen fehlten ihnen auch soziale Grundkompetenzen, sie waren nur teilweise oder gar nicht alphabetisiert. Viele waren zusätzlich traumatisiert. Von dem Thema betroffen seien alle Ballungsräume im Land, heißt es in einer Unterlage aus dem Bildungsministerium.
Orientierungsklassen in ganz Österreich
Besucht diese Gruppe von Tag eins weg eine Regel- oder Deutschförderklasse, "überfordert das die Kinder und Jugendlichen und überfordert das Schulsystem", betonte Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS) im Foyer nach dem Ministerrat. Deshalb hätten Wien und Vorarlberg eigene Versuche gestartet, Orientierungsklassen einzuführen.
Nun soll über eine Gesetzesänderung mit kommendem Schuljahr auch die Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden.
Mit den Orientierungsklassen soll diesen Kindern und Jugendlichen der Einstieg ins österreichische Schulsystem erleichtert werden, indem sie dort bis zu einem Semester lang in einem eigenen, jahrgangsübergreifenden klassenartigen Verband eine erste Orientierung erhalten.
Im Zentrum stehen dabei erste Deutschkenntnisse, für den Schulbesuch notwendige Grundfertigkeiten wie Stifte halten oder mit der Schere schneiden, aber auch "das Vermitteln relevanter Werte und Grundsätze für das Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft (wie Respekt, Gleichberechtigung, Toleranz, Verantwortung und Selbstbestimmung)". Im Rahmen der Orientierungsklassen sollen auch die Eltern über Regeln und Pflichten in der Gesellschaft und im Schulkontext informiert werden.
Erstes Orientierungsgespräch
Welche Quereinsteiger mit unzureichender Schulerfahrung und Deutschkenntnissen eine Orientierungsklasse besuchen, soll nach einem Orientierungsgespräch entschieden werden. Dabei werden schulische Vorerfahrung der Kinder, deren Alphabetisierungsgrad und weitere für den Schulalltag wichtige Informationen erhoben.
Wie viele solcher Klassen im nächsten Schuljahr notwendig sein werden, konnte Wiederkehr am Mittwoch noch nicht einschätzen.
Zur Umsetzung des Konzepts wurden im Bildungsministerium bereits inhaltliche Materialien, etwa ein Lehrplan und weitere Unterrichtsbehelfe, erarbeitet. Zusätzlich können Schulpsychologie und Integrationsangebote eingebunden werden. In der Regierung wird nun an einem gemeinsamen Gesetzesentwurf für die gesetzliche Verankerung des Modells gearbeitet.
Video: Was die Menschen über Familiennachzug-Stopp denken
Politische Reaktionen
Für die FPÖ wird durch die Orientierungsklassen nichts gegen eine Überforderung der Schulen durch Schüler, die weder Deutsch noch Lesen und Schreiben können, getan. Statt "bloßer Symptombekämpfung" müssten der Familiennachzug und "illegale Masseneinwanderung" gestoppt werden, forderte FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz per Aussendung.
Die Grüne Bildungs- und Integrationssprecherin Sigrid Maurer sah in einer Aussendung hingegen einen wichtigen Schritt, um neu in Österreich angekommene Schülerinnen und Schüler gezielt zu unterstützen und für die Schule vorzubereiten.
"Klar ist aber auch: Ohne zusätzliche Ressourcen bleiben Orientierungsklassen ein schönes Konzept auf dem Papier." Wichtig sei, dass über die konkrete Umsetzung schulautonom entschieden wird und dass es genug Personal gibt, um ausreichende Begleitung sicherzustellen und Schulen und Lehrpersonal tatsächlich zu entlasten.
Zusammenfassung
- Österreich plant die Einführung von Orientierungsklassen für Kinder, die über Familienzusammenführung ins Land kommen, um ihnen erste Deutschkenntnisse und Grundfertigkeiten zu vermitteln.
- Im Schuljahr 2022/23 kamen in Wien rund 4.000 Kinder zusätzlich in die Volksschulen, viele davon mit wenig oder keiner schulischen Vorerfahrung.
- Die FPÖ kritisiert das Modell als unzureichend, während die Grünen es als wichtigen Schritt sehen, aber zusätzliche Ressourcen fordern.