Rathkolb für "neuen Marshallplan" für Europas Wirtschaft
Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Universität Wien fordert eine starke europäische Achse, um die Folgen der Coronavirus-Pandemie in den Griff zu bekommen. Die EU-Staaten müssten sich die Frage stellen, wo in der Turboglobalisierung Fehler passiert sind. "Hier bedarf es vonseiten der Europäischen Union eines strategischen neuen Marshallplans des Aufbaus der Ökonomie in Europa post Corona."
Die EU-Länder müssten sich fragen, inwiefern das Schielen nach dem billigsten Preis auf Kosten der Rationalität gegangen sei. Immerhin zeige sich in der aktuellen Krise die unglaublichen Abhängigkeit Europas im Ökonomischen (von China) und Digitalen (von den USA)."Das ist ein wirklich heikles Thema und hier Lehren zu ziehen wäre gut", so Rathkolb zur APA. Im Kampf gegen das Coronavirus spitze sich außerdem der "digitale Autoritarismus" weiter zu. Europa müsse sich die Frage stellen, inwieweit wir schon digitale gläserne und manipulierbare Menschen geworden sind und wie man weiterhin unser demokratisches System mit Grund- und Menschenrechten gewährleisten könne.
Die Ökonomen sieht Rathkolb aufgerufen, nicht nur nach einem Hochfahren der Wirtschaft zu rufen, sondern auch zu überlegen, wie man die Wirtschaft nach der Krise transformieren kann. "Es bedarf einer vernünftigen und auch selbstkritischen Analyse auf allen Ebenen, was falsch gemacht wurde, dass ein Virus derart katastrophale menschliche, ökonomische und soziale Folgen haben konnte."
Dazu komme die Frage, inwieweit die EU imstande sein werden, trotz hoher Arbeitslosenrate und riesigen Budgetdefizits auch die Ziele beim Klima- und Umweltschutz zu erreichen. "Auch da ist Europa aufgerufen, einen eigenen Weg zu gehen. Das funktioniert derzeit auf globaler Ebene nicht, und wir müssen wenigstens versuchen, unser Haus in Ordnung zu bringen." Nach 1945, als die Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und der Befreiung vom Nationalsozialismus am Boden lag, sei das "außergewöhnlich gut gelungen und das ist auch die Chance 2020 und Folgejahre".
Rathkolb fordert nicht nur eine Task Force, die sich für Österreich strategische Ziele für die kommenden Monate und Jahre überlegt. Auch auf europäischer Ebene müsse es gemeinsame Überlegungen geben, wie in einigen Monaten die Grenzen wieder geöffnet werden können und wie mit gemeinsamen Maßnahmen und Änderungen bestimmter Abläufe die massiven Nachwirkungen der Krise in den Griff bekommen werden können.
"Ökonomisch und politisch schaffen wir das nach der Krise nur gemeinsam oder es zerreißt uns in einer Art und Weise, von der noch unsere Enkel negativ betroffen sein werden", warnt der Historiker. Europa sei nach 1945 nur zu Wohlstand gekommen durch einen gemeinsamen, damals stark von den USA initiierten Wiederaufbau - Stichwort Marshallplan und Europäische Integration und später Wirtschaftsgemeinschaft. Das Gegenmodell sei die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als Europa in isolationistische Nationalstaaten und faschistische diktatorische Regime zerfallen ist.
"Welche Option wählen wir? Die gemeinsame oder die nationalistische, die uns alle in den Abgrund reißt?" fragt Rathkolb. Derzeit seien die EU-Mitgliedsstaaten sich dieser Gefahr nicht bewusst, weil sie wegen der Krise nicht imstande seien, strategisch das Gesamte, das Europäische und das Globale zu denken. "Da nachzurüsten wäre wirklich wichtig und das zentrale strategische Ziel, um aus dieser Krise langfristig herauszukommen."
Zusammenfassung
- Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Universität Wien fordert eine starke europäische Achse, um die Folgen der Coronavirus-Pandemie in den Griff zu bekommen.
- Die EU-Staaten müssten sich die Frage stellen, wo in der Turboglobalisierung Fehler passiert sind.
- "Hier bedarf es vonseiten der Europäischen Union eines strategischen neuen Marshallplans des Aufbaus der Ökonomie in Europa post Corona."