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Österreicher in Berlin nach Wahl "ratlos wie noch nie"

23. Feb. 2025 · Lesedauer 3 min

Nur wenige Österreicher kennen die deutsche Hauptstadt Berlin so gut wie der Journalist und Schriftsteller Christian Ankowitsch, der schon seit drei Jahrzehnten in der Metropole an der Spree lebt. Das Ergebnis der Bundestagswahl sieht er mit Sorge und kritisiert diesbezüglich eine "beunruhigende Unfähigkeit zur Introspektion" bei den demokratischen Parteien, wie er am Sonntagabend der APA aus Berlin berichtet. "So ratlos wie jetzt war ich überhaupt noch nie."

Österreich und Deutschland eine, dass die Mitte-Parteien bei der Bekämpfung von rechtspopulistischen Parteien "nichts zusammenkriegen", sagte der Steirer, der ein Kaffee-Spezialitätengeschäft im Westberliner Stadtteil Schöneberg betreibt. Doch seien die gesellschaftlichen Spaltungen in Deutschland "stärker und unversöhnlicher". Dies gelte insbesondere für die Hauptstadt, deren gesellschaftlicher Diskurs sich stark von jenem anderer Teile des Landes unterscheide.

Er selbst lebe zwar in einem relativ homogenen Umfeld, doch müsse man mittlerweile bei allen Treffen "testen", wie das Gegenüber in bestimmten Fragen - etwa dem Nahost-Konflikt - so drauf sei. Orte man Dissens, stehe man vor der Entscheidung, "ob man an diesem Abend die Freundschaft beendet oder lieber die Klappe hält". In Österreich habe er dies nicht so erlebt, sagte der frühere "Zeit"-Autor und langjährige Bachmannpreis-Moderator.

Entsprechend kommentiert Ankowitsch auch die im Bundestagswahlkampf getätigten Aussagen, wonach man "keine österreichischen Verhältnisse" in Deutschland wolle. "Sie sollten sich wünschen, dass sie österreichische Verhältnisse haben", sagte er. Schließlich sehe es so aus, "dass die Österreicher eher die Kurve kriegen als die Deutschen".

Die Brandmauer gegenüber der AfD sieht Ankowitsch auch nach dem massiven Wahlerfolg der rechtspopulistischen Partei intakt. "Dass die AfD in die Regierung kommt, ist nach wie vor undenkbar", sagte er. Für die Unionsparteien wäre es nämlich wegen der klaren Ablehnung der gesamten publizistischen Meinung "ein absolutes Selbstmordkommando", eine Koalition mit der rechtspopulistischen Partei einzugehen, sagte er auf die Frage, ob eine Zusammenarbeit der beiden größten politischen Kräfte nicht dem Wählerwillen entspräche - gerade auch beim Thema Migration.

"Gehe mittelfristig weg"

Ankowitsch kritisierte in diesem Zusammenhang den "Doppeltalk", den er auch bei Kollegen von arrivierten Medien wahrnehme. Die Realität entwickle sich in eine andere Richtung, doch wage der öffentliche Diskurs nicht, dies abzubilden. Ankowitsch verwies diesbezüglich etwa auf die Wohnungsnot von Zugewanderten oder die zahlreichen antisemitischen Gewaltakte. Auf die Frage, ob die AfD wie von ihren Gegnern befürchtet bei der nächsten Bundestagswahl stärkste Kraft sein werde, sagte Ankowitsch: "Aber sicher. Danach kann man die Uhr stellen." Dies gelte insbesondere für den Fall, dass nun eine Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen gebildet werde.

Ob der Wahlberliner angesichts solcher Aussichten ans Wegziehen denkt? Da fällt Ankowitsch ein Gespräch ein, das er vor Jahren mit dem österreichischen Gründer des legendären Restaurants Paris Bar, dem mittlerweile verstorbenen Österreicher Michel Würthle, geführt habe. "Na, wos is: Bleib ma do oder gemma ham?", habe ihn Würthle damals gefragt. Die Antwort war, dass ihm beim Gedanken ans Zurückgehen gleich der Wunsch käme, zu bleiben - und umgekehrt. Nun sei es aber so, "dass ich mittelfristig weggehe", sagte Ankowitsch. Berlin sei nämlich "tendenziell am absteigenden Ast" und "kaputt". Und abgesehen von den wirtschaftlichen Problemen nach mittlerweile drei Jahren Rezession passe im Land "nichts zusammen". Das Land werde an seinen inneren Paradoxien "auseinanderbröseln".

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

Zusammenfassung
  • Er hält eine Regierungsbeteiligung der AfD trotz ihres Wahlerfolgs für undenkbar, da dies einem 'Selbstmordkommando' für die Unionsparteien gleichkäme.
  • Ankowitsch plant, Berlin mittelfristig zu verlassen, da er die Stadt als 'am absteigenden Ast' und 'kaputt' betrachtet, und prognostiziert, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl stärkste Kraft werden könnte.