Nord-Gaza: Menschen auf Tierfutter angewiesen
Israels Armee hat Augenzeugen zufolge trotz internationaler Warnungen Ziele in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens angegriffen.
Bei Angriffen aus der Luft auf zwei Häuser sollen am Samstag mehr als 20 Menschen getötet worden sein, hieß es aus medizinischen Kreisen. Auch der Bürgermeister der Stadt im Süden des Küstengebiets, Mohammed al-Sufi, bestätigte der Deutschen Presse-Agentur die Opferzahl.
Warnung vor Kriegsverbrechen
Der österreichische UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk warnt währenddessen davor, dass Israels Angriffe den Rahmen einer "engen Militäroperation" überspannt. Seit Oktober habe sein Büro weitreichende Zerstörung der zivilen Infrastruktur dokumentiert.
Dadurch würden Gemeinden mit dem Effekt vertrieben, dass Rückkehr unmöglich gemacht werde. "Ich erinnere die Behörden, dass erzwungene Vertreibung von Zivilist:innen ein Kriegsverbrechen darstellen könnte", heißt es in einer Stellungnahme.
Im Jänner hatte der Internationale Gerichtshof einem Verfahren Südafrikas gegen Israel stattgegeben. Das Hauptverfahren bezüglich des Völkermord-Vorwurfs wird Jahre dauern, so Beobachter. Der Gerichtshof hatte Israel aber schon bei der Entscheidung über den Antrag Sofortmaßnahmen auferlegt: Israel müsse alles tun, um einen Völkermord in Gaza zu verhindern und Aufstachelung dazu zu bestrafen. Zivile Hilfe müsse ermöglicht werden.
Weniger Hilfskonvois
Währenddessen spitzt sich die katastrophale Lage in Gaza weiter zu: Im Norden des Gaza-Streifens, berichtet die "BBC", geht den Menschen das Essen aus. Es gibt kaum Hilfslieferungen mehr, auch Kinder müssten tagelang ohne Essen auskommen, so das britische Medium. Mittlerweile würde Tierfutter zermahlen werden, um so Essen zuzubereiten.
Laut der UN-Hilfsorganisation OCHA gibt es aktuell im Gaza-Streifen keine Elektrizität. 1.7 Millionen der 2.2 Millionen Menschen in Gaza seien mittlerweile innerhalb des Küstenstreifens vertrieben worden. Viele Palästinenser flüchteten in den Süden des Gaza-Streifens, dort werden die israelischen Militärvorstöße allerdings immer intensiver.
Auch Hilfsorganisationen umstritten
Seit bekannt wurde, dass Mitarbeiter:innen des Palästinenser-Hilfswerk UNRWA am Hamas-Massaker vom 7. Oktober bei dem mehr als 1.100 Jüd:innen brutalst ermordet wurden, beteiligt waren, kämpft die UNO um ihre Glaubwürdigkeit und Finanzierung in der Region. Das Ausmaß der Beteiligung wird ermittelt, ursprünglich war von rund 10 Mitarbeitern die Rede, es dürfte sich - so Medienberichte - um weitaus mehr gehandelt haben.
Gleichzeitig gibt es aktuell keine Hilfsorganisation, die die Arbeit von UNRWA im Gaza-Streifen übernehmen könnte. Viele Staaten, darunter auch Österreich, haben ihre Zahlungen auf Eis gelegt. Die Organisation selbst warnt vor "katastrophalen" Folgen des Zahlungsstopps.
Israelische Soldaten bombardierten außerdem ein Fahrzeug der Hamas und töteten dabei drei Personen, darunter den Chef des Polizeigeheimdienstes der islamistischen Hamas sowie dessen Stellvertreter, wie es am Samstag aus Polizeikreisen und von Augenzeugen hieß. Die Angaben ließen sich allesamt zunächst nicht unabhängig überprüfen. Israels Militär äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht.
Operation in Süd-Gaza
Es waren nicht die ersten Berichte über Angriffe auf Ziele in der Stadt nahe der Grenze zu Ägypten. In der vergangenen Wochen hatte das israelische Militär dort Augenzeugen zufolge häufiger Stellungen von Hamas-Mitgliedern attackiert. Den Angaben nach waren die Angriffe am Samstag aber die bisher intensivsten. Rafah ist der einzige Ort im gesamten Küstenstreifen, in dem die Hamas noch die Kontrolle ausübt.
Derzeit sind in der Stadt noch keine israelischen Bodentruppen im Einsatz. Rafahs Bürgermeister Al-Sufi warnte vor einem Vorstoß der Armee in den Ort. "Jeder Militäreinsatz in der Stadt, in der mehr als 1,4 Millionen Palästinenser leben, wird zu einem Massaker und einem Blutbad führen."
Netanyahu bereitet Offensive vor
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte zuvor der Armee den Befehl erteilt, eine Offensive auf Rafah vorzubereiten. In der Stadt gebe es noch immer vier verbleibende Hamas-Bataillone. Demnach soll die Militärführung die Evakuierung der Zivilistinnen und Zivilisten in dem Ort planen.
Eine Million Zivilisten in Rafah
Eine Militäroffensive in Rafah gilt als hochproblematisch. In dem Ort, der vor dem Krieg rund 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner hatte, sollen sich inzwischen weit mehr als eine Million Palästinenserinnen und Palästinenser aufhalten. Die meisten von ihnen flohen vor dem Krieg aus anderen Teilen des Gazastreifens dorthin, zum Teil auf Anordnung des israelischen Militärs.
UNO-Generalsekretär António Guterres hatte bereits zuvor vor einer humanitären Katastrophe und Folgen für die gesamte Region gewarnt. Die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens sei in Rafah zusammengepfercht und könne nirgendwo anders hin. Auch die US-Regierung hatte sich in den vergangenen Tagen deutlich gegen ein militärisches Vorgehen in Rafah ausgesprochen.
Warnung vor Katastrophe
Auch Saudi-Arabien warnte Israel vor einem Militäreinsatz im Süden des Gazastreifens. Das Königreich wies auf die schwerwiegenden Folgen hin und betonte seine kategorische Ablehnung der Zwangsumsiedlung von Hunderttausenden Zivilistinnen und Zivilisten, wie aus einer Erklärung des Außenministeriums vom Samstag hervorging. Riad forderte eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats, um "Israel daran zu hindern, eine drohende humanitäre Katastrophe zu verursachen".
Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober im Süden Israels verübt hatten. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive.
Zusammenfassung
- Israels Militäroffensive im Süden des Gaza-Streifens weitet sich aus.
- Laut Angaben des lokalen Bürgermeisters kamen bereits 20 Menschen ums Leben.
- Die humanitäre Lage in Gaza wird zunehmend katastrophaler: Weil weniger Hilfskonvois Nord-Gaza erreichen, ernähren sich die Menschen laut Berichten von zerriebenem Tierfutter.