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Nehammer plädiert für Vielfalt und gegen Zentralismus in EU

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat sich gegen Zentralismus und für Vielfalt in der EU ausgesprochen. "Wir werden niemals in einem schablonenhaften System wie die Vereinigten Staaten zusammenpassen", sagte Nehammer Donnerstag bei einem Festakt anlässlich des Europatags im Parlament in Wien. Der Kanzler sprach sich auch gegen mehr EU-Mehrheitsentscheidungen aus. EU-Kommissar Johannes Hahn forderte dagegen einen "stärkeren Zug zum Tor" für europäische Lösungen.

Die europäischen Gründerväter seien sich bewusst gewesen, "dass Europa Vielfalt bedeutet", sagte Nehammer, der sich selbst als "glühenden Europäer" bezeichnete. Gleichzeitig sei er auch ein "leidenschaftlicher Kämpfer" für Subsidiarität, so der Kanzler. Dies müsse auch im Vordergrund stehen, "damit gebe ich Europa eine Chance" zu wachsen. Das Ringen um Konsens sei in der EU schwierig, so Nehammer. Dies sei aber "der Mehrwert von Demokratie und Vielfalt".

Hahn kritisierte in seiner Rede eine zu zögerliche Herangehensweise der EU-Staats- und Regierungschefs in vielen Bereichen wie Migration, Klima und Sicherheitspolitik. "Die nationalen Vertreter im europäischen Fußballteam sind sehr darauf konzentriert, defensiv zu spielen", sagte der EU-Budgetkommissar in Richtung seines Parteifreunds Nehammer. Die EU-Mitgliedsstaaten müssten zudem einen Grundkonsens über Europas Rolle in der Welt finden, verlangte Hahn.

Nach Ansicht von Hahn mangelt es den EU-Staats- und Regierungschefs mitunter an Weitsichtigkeit. Der EU-Kommissar zitierte Italiens Ex-Ministerpräsident, Alcide De Gaspari, einen der Gründerväter der heutigen Europäischen Union. "Ein Politiker schaut auf die nächste Wahl, ein Staatsmann schaut auf die nächste Generation." Und Hahn betonte, dass die EU-Staaten, auch Österreich, an allen, viel zitierten "Brüsseler Entscheidungen" beteiligt seien. "Die oft propagierte Angst vor einem schleichenden Souveränitätsverlust ist nichts anderes als risikoscheues Kurzfristdenken."

Dabei mahnte Hahn zu Eile bei EU-Entscheidungen, etwa in der Handelspolitik und dem in Österreich besonders kritisierten Abkommen mit dem südamerikanischen Mercosur-Staatenverbund. In zehn bis 20 Jahren werde die EU nicht mehr dieselbe Verhandlungsmacht haben, warnte der EU-Kommissar. "Wenn wir diese Abkommen mit unseren Standards nicht schließen, dann entwickeln sich weltweit andere Standards. Ich kann Ihnen garantieren, sie sind niedriger."

Im Gegensatz zu Nehammer hält Hahn die Zeit für Mehrheitsentscheidungen in der europäischen Außenpolitik für gekommen. Die Forderung nach einer eigenständigeren EU-Außenpolitik sei absolut richtig. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine habe auch gezeigt, dass es keine Außen- ohne Sicherheitspolitik gebe. Hahn verteidigte die Unterstützung der Ukraine durch die EU und die Russland-Sanktionen trotz Nachteilen für die Europäer. Wenn die territoriale Unversehrtheit der Ukraine nicht verteidigt werde, wäre dies eine Einladung für andere Angriffskriege in der Welt. "Die Ukraine verteidigt unsere Werte." An dem Festakt im Parlament nahm auch der ukrainische Botschafter in Österreich, Vasyl Kymynez, teil.

Nehammer nannte die Europäische Union "mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft, ein Friedensprojekt". Der Kanzler forderte in Hinblick auf Afrika "mehr Kooperation auf Augenhöhe". In Hinblick auf die Ukraine betonte der Kanzler, es sei ein wichtiges Signal an den "Aggressor" Russland und die Welt, dass die Europäische Union dermaßen geeint zusammenstehe. In Hinblick auf die ukrainische EU-Beitrittsperspektive forderte Nehammer Gleichberechtigung für die Westbalkanstaaten. Es dürfe keine Schnellverfahren geben. "Europa ist tatsächlich gut. Es ist viel mehr als ein Wort, als ein Vertrag." Die Europäische Union sei der Beweis, dass Menschen tatsächlich aus der Geschichte lernen können.

In dem Festakt kamen auch Jugendvertreter zu Wort. Emily Usner, Präsidentin des Europäischen Jugendparlaments Österreich, und Fariha Khan, europäische Jugenddelegierte der Bundesjugendvertretung, bemängelten, dass die Politik sich zu wenig für junge Menschen interessiere. Sie plädierten für politische Bildung als Schulfach. Khan rief dazu auf, dass Jugendliche, die in Österreich bereits mit 16 Jahren stimmberechtigt sind, im kommenden Jahr zur Europawahl gehen.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) erinnerte an die multiplen Krisen der heutigen Zeit und neue Herausforderungen für die Demokratie wie Künstliche Intelligenz und Verschwörungstheorien. "Die Demokratie ist die einzige Form, die die Freiheit, den Wohlstand, die Sicherheit und letzten Endes auch den respektvollen Umgang der Menschen miteinander und untereinander auf der Basis einer Rechtsstaatlichkeit garantiert."

Bundesratspräsident Günter Kovacs (SPÖ) betonte, nur ein starkes Europa sei Garant für Frieden. "Die liberale Demokratie muss gegen die Feinde der Demokratie verteidigt werden." EU-Kommissionsvertreter Martin Selmayr erinnerte an den Anlass für den jährlich am 9. Mai begangenen Europatag - den vor 73 Jahren vom damaligen französischen Außenminister Robert Schuman vorgelegten historischen Plan, mit dem die einstigen Kriegsgegner Deutschland und Frankreich Kohle und Stahl unter eine gemeinsame Verwaltung stellten. Damit sei "Erzfeindschaft ersetzt worden durch Partnerschaft" in Europa.

Christoph Leitl, Präsident der Europäischen Bewegung Österreich (EBÖ), forderte laut Aussendung die Abschaffung von Vetomöglichkeiten in der EU. "Da brauchen wir auch in Österreich ein Umdenken", sagte er. "Die Einstimmigkeit ist antieuropäisch und öffnet nur die Tore für nationalpopulistische Reflexe."

ribbon Zusammenfassung
  • "Wir werden niemals in einem schablonenhaften System wie die Vereinigten Staaten zusammenpassen", sagte Nehammer Donnerstag bei einem Festakt anlässlich des Europatags im Parlament in Wien.
  • Der Kanzler sprach sich auch gegen mehr EU-Mehrheitsentscheidungen aus.
  • In Hinblick auf die ukrainische EU-Beitrittsperspektive forderte Nehammer Gleichberechtigung für die Westbalkanstaaten.
  • "Da brauchen wir auch in Österreich ein Umdenken", sagte er.