Mueller: Keine Zweifel, wer diesen Krieg länger durchhält
Bei der Abstimmung war schon vor Freitag, dem offiziellen Wahlbeginn, klar, dass der Machthaber Putin wiedergewählt werden würde, sagte Historiker Wolfgang Mueller zur Wahl in Russland.
Die Wahlbeteiligung sei höher gewesen als in Vorabumfragen erwartet. Unabhängige Meinungsforschungsinstitute hatten mit zirka 55 Prozent gerechnet, sie lag nun bei 77 Prozent. "Das heißt, diese 20 Prozentpunkte plus, die wären jedenfalls erklärungsbedürftig", so Mueller.
Er sieht drei Möglichkeiten. Russische Bürger:innen seien unter Druck gesetzt worden, um zu wählen - es habe eine Verlosung als Anreiz für ausgefüllte Wahlzettel gegeben.
Wer am Arbeitsplatz nicht wählte, der oder die habe mit negativen Konsequenzen zu rechnen gehabt. Möglich sei auch Wahlfälschung gewesen, vorausgefüllte Stimmzettel hätten massiv eingebracht werden können.
Video: Putin wurde mit 88 Prozent der Stimmen wiedergewählt
Wahrnehmbarer Protest bei Wahl
Putins Position in Russland habe sich durch das Wahlergebnis nicht verändert. Der Machthaber habe bereits davor eine "Sonderstellung in der Elite" gehabt, so Mueller. "Putin muss sich mit niemandem auf Augenhöhe unterhalten."
Putin sei Synonym mit Russland - "Es steht außer Zweifel, dass es sich um ein autoritäres und ein eher repressives monokratisches System handelt, dessen interne Ausprägung sich in den letzten Jahren massiv verschärft hat."
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Am Sonntag gegen Mittag hatten Anhänger des verstorbenen Kreml-Kritiker Alexej Nawalny zur Protestaktion "Zu Mittag gegen Putin" aufgerufen. Dabei hatten sich dann Schlangen vor den Wahl-Lokalen gebildet.
Diese Aktion sei sehr wohl wahrnehmbar gewesen, so Mueller.
NATO hat längeren Atem
Tage vor der Wahl hatte Putin den Westen vor Truppeneinsätzen in der Ukraine gewarnt. Mueller zeigt sich gegenüber angekündigten Eskalationen skeptisch.
"Sogar wenn wir bis 2014 zurückgehen, hat es damals schon in den russischen Staatsmedien derartige Drohungen gegeben, wo gesagt wurde, dass Russland in der Lage wäre, NATO-Länder oder die USA selbst in kürzester Zeit in einen Haufen nukleare Asche zu verwandeln, wie man das damals gesagt hat. "
Aber Russland habe auch seine Kriegsziele in der Ukraine nicht erreicht, auch deshalb denk Russland-Experte Mueller nicht, dass Putin wirklich den Westen angreifen würde.
Gleichzeitig würden aber auch hybride Vorgänge hinter den Vorhängen ablaufen. Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur im Westen und Desinformationskampagnen seien ernst zu nehmen, "auch wenn sie nicht so spektakulär und auch nicht so tödlich wie ein nuklearer Einsatz" sind.
NATO steht hinter Kiew
Zuletzt trübte sich im Westen die Stimmung gegenüber der Ukraine - Beobachter warnten davor, dass dem Gegner Moskaus an der Front Munition und Waffen ausgehen könnten. Nur stehe Kiew im Krieg gegen Putin nicht alleine da.
Die Wirtschaftsleistung der NATO-Staaten sei ungefähr 20 Mal so hoch wie die von Russland. "Das heißt, es sollte hier eigentlich gar kein Zweifel daran stehen bestehen, wer in der Lage wäre, diesen Krieg auch länger durchzuhalten."
Nur ginge es im Krieg nicht nur um die Wirtschaft. Die Widerstandsfähigkeit des Westens wäre oder sei "sicherlich" wesentlich größer, wenn der entsprechende politische Wille und auch die gesellschaftliche Unterstützung vorhanden sei.
Zusammenfassung
- Osteuropa-Experte Wolfgang Mueller ordnet das Ergebnis der Russland-Wahl ein. Für ihn ist ganz klar, dass die NATO den längeren Atem hat.
- Auch den offenen Drohungen des wiedergewählten russischen Machthabers Putin steht er skeptisch gegenüber.
- Er glaubt nicht, dass ein Angriff auf den Westen derzeit wahrscheinlich ist.