Israel weitete Militäroffensive auf Gaza-Süd stark aus
Die israelische Armee teilte am Montag mit, sie ergreife "aggressive" Maßnahmen gegen die "Hamas und andere terroristische Organisationen" in der Stadt und dem Flüchtlingslager Khan Younis im südlichen Gazastreifen. Der Vorstoß der israelischen Verbände habe zur Folge, dass nördlich und östlich von Khan Younis Zivilisten nicht mehr auf der Salaheddin-Straße reisen könnten.
Diese wichtige Verkehrsachse verbindet den Norden und Süden des Palästinensergebiets. Die Salaheddin-Straße sei ein "Schlachtfeld", es sei "sehr gefährlich, sich dorthin zu begeben", warnte die israelische Armee. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur AFP, dutzende israelische Militärfahrzeuge seien auf der Höhe von Khan Younis in den Gazastreifen gefahren. Die israelischen Panzer erreichten diesen Berichten zufolge die Salaheddin-Straße.
"Sie halten die Salaheddin-Straße auf beiden Seiten besetzt und schneiden sie nun zwischen Deir al-Balah (im Zentrum des Gazastreifens) und Khan Younis ab", berichtete der 34-jährige Moas Mohammed. Dabei feuerten die israelischen Soldaten "Kugeln und Panzergranaten auf Wagen und Leute, die sich durch das Gebiet zu bewegen versuchen".
Wochenlang hatten sich die durch den Hamas-Überfall auf Israel vom 7. Oktober ausgelösten israelischen Angriffe auf den Norden des Gazastreifens konzentriert. Bereits am Wochenende war aber auch der Süden stark unter Beschuss genommen worden, darunter das Gebiet um Khan Younis.
Das Militär forderte die Bevölkerung am Montag über den Kurznachrichtendienst X auf, weitere Teile der Stadt zu räumen. Die Kriegsziele Israels im nördlichen Gazastreifen seien "fast erreicht", sagte Brigadegeneral Hisham Ibrahim im israelischen Armee-Rundfunk. "Wir fangen an, die Bodenoffensive auf andere Teile des Streifens auszuweiten, mit einem Ziel: die Terrorgruppe Hamas zu stürzen."
Zugleich beteuerte die israelische Armee am Montag zudem, die palästinensische Zivilbevölkerung nicht aus dem Gazastreifen vertreiben zu wollen. "Wir versuchen nicht, irgendjemanden zu vertreiben", sagte Armeesprecher Jonathan Conricus.
Vielmehr habe das Militär alle Zivilisten aufgefordert, sich aus den Kampfgebieten zurückzuziehen - und dafür eigens eine "humanitäre Zone innerhalb des Gazastreifens" eingerichtet. Dabei handelt es sich um ein kleines Küstengebiet um den Ort Al-Mawasi. Dem israelischen Militär sei "durchaus bewusst, dass der Platz und der Zugang begrenzt" seien, sagte Conricus.
Rund zwei Monate nach Beginn des neuen Nahost-Kriegs sind im Gazastreifen nach Angaben des UNO-Palästinenserhilfswerkes UNRWA fast 1,9 Millionen Menschen auf der Flucht. Dies seien mehr als 80 Prozent der Bevölkerung, teilte UNRWA am Montag mit. Fast eine Million Binnenflüchtlinge würden sich in 99 Einrichtungen im Zentrum des Küstengebietes sowie in Khan Younis und Rafah im Süden aufhalten. Im Gazastreifen leben mehr als 2,2 Millionen Menschen - auf einer Fläche, die kleiner als jene Wiens ist.
Israel setzte auch seine Angriffe im Norden des Gazastreifens fort. Dabei seien in der Nacht zum Montag ein Eingang des Krankenhauses Kamal Adwan nördlich der Stadt Gaza getroffen und mehrere Menschen getötet worden, meldeten die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA und die Hamas. Die israelische Armee reagierte zunächst nicht auf eine AFP-Anfrage dazu, ob das Krankenhaus gezielt beschossen worden sei. Israel wirft der Hamas vor, Stellungen unter Krankenhäusern installiert zu haben.
Am Freitag war eine siebentägige Feuerpause abgelaufen, die zur Freilassung von insgesamt 105 Geiseln aus den Händen der Hamas genutzt worden war. Zugleich wurden 240 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freigesetzt. Nach israelischen Angaben hat die Hamas noch 137 Geiseln in ihrer Gewalt. Als Geiseln zählen die israelischen Behörden allerdings nicht nur Lebende, sondern auch Tote, deren Leichname nicht übergeben wurden. Am Montag teilte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu mit, im Gazastreifen befänden sich die Leichname von 15 Israelis. Es handle sich um elf Zivilisten und vier Soldaten.
Der Krieg zwischen Israel und der Hamas dauert inzwischen bereits mehr als acht Wochen an. Am 7. Oktober waren hunderte Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas vom weitgehend abgeriegelten Gazastreifen nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1.200 Menschen getötet und rund 240 Menschen als Geiseln verschleppt.
Als Reaktion begann Israel mit den massiven Angriffen auf Ziele im Gazastreifen. Nach jüngsten Angaben der Hamas wurden seitdem fast 15.900 Menschen in dem Palästinensergebiet getötet, die meisten von ihnen Zivilisten. Etwa 42.000 Menschen seien verletzt worden, teilte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am Montag mit. Tausende Menschen würden zudem weiter vermisst. Am Sonntag hatte die Behörde noch von mehr als 15 500 Toten gesprochen. Die Opferzahlen lassen sich gegenwärtig nicht unabhängig überprüfen, die Vereinten Nationen und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten. Es handelt sich den Angaben nach um die mit Abstand höchste Zahl getöteter Palästinenser während eines Kriegs in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts.
Zusammenfassung
- Im Krieg gegen die militante Palästinenser-Organisation Hamas hat Israel seinen Truppeneinsatz im südlichen Gazastreifen deutlich ausgeweitet.
- Dutzende Panzer, Truppentransporter und Bulldozer drangen laut Augenzeugen am Montag dort ein.
- Die israelische Armee erklärte, sie gehe "aggressiv" im südlichen Gazastreifen vor.
- Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1.200 Menschen getötet und rund 240 Menschen als Geiseln verschleppt.