Fachkräftemangel: Wo es die ÖVP Migranten leichter machen will

Die ÖVP will Österreich für Migranten möglichst unattraktiv machen. Entsprechende Wortmeldungen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Doch die Wirtschaft braucht Zuwanderung - in einigen Bereichen lenkt die ÖVP nun ein. Die Rot-Weiß-Rot-Card soll wieder reformiert werden und Wissenschaftsminister Polaschek will nach Ostern einen "Nostrifzierungsgipfel" einberufen.

Während Innenminister Gerhard Karner am Donnerstag bei der Präsentation der Asylbilanz vom "Jahr der Abschiebungen" sprach, will Wissenschaftsminister Martin Polaschek (beide ÖVP) einen "Nostrifzierungsgipfel" einberufen - und es Migrant:innen damit einfacher machen. 

Denn eigentlich sucht Österreich dringend Fachkräfte, vor allem im Gesundheitsbereich. Bis 2050 braucht Österreich etwa 70.000 zusätzliche Pflegekräfte. Qualifizierte Personen aus Drittstaaten müssen allerdings oft lange warten, bis Unis und Fachhochschulen ihre Ausbildung in aufwendigen Verfahren geprüft haben und sie in Österreich in ihrem jeweiligen Fachbereich arbeiten können.

Polaschek räumte gegenüber der  "Kleinen Zeitung" ein, dass die aktuelle Situation "unbefriedigend" sei. Die Verfahren seien kompliziert und lang. 

"Du brauchst eine Menge Motivation"

Das zeigt auch der Fall der Ukrainerin Mariia Chiiachenko. Sie flüchtete 2022 aus Odessa nach Österreich. Derzeit arbeitet sie als Pflegekraft im Salzkammergutklinikum Bad Ischl - ihr abgeschlossenes Medizin-Studium aus der Ukraine wurde in Österreich noch nicht anerkannt. 

Doch selbst ihre jetzige Tätigkeit könne sie nur 25 Stunden in der Woche ausüben - denn damit ihr Studium anerkannt wird, muss sie nebenbei noch Deutsch lernen, Tests und Prüfungen schreiben, wie sie im PULS 24 Interview schildert. Sie sei dankbar und froh, dass sie in Österreich schon jetzt in ihrem Bereich arbeiten könne, doch "es könnte schon leichter sein", sagt sie. 

Sie verliere viel Zeit, außerdem sei das Verfahren kostspielig. "Du brauchst eine Menge Motivation", schildert sie. Die 24-Jährige ist aber überzeugt: "Ich ziehe das durch, ich kriege das hin, ich gebe nicht auf".

Bei allen gelingt das nicht, weiß Mümtaz Karakurt, Geschäftsführer bei der Anerkennungsberatungsstelle "Migrare". Deutsch lernen, Zeugnisse übersetzen lassen und einreichen und parallel dazu Prüfungen machen - die Hürden in Österreich sind für Menschen aus Drittstaaten hoch. Karakurt hat schon viele scheitern gesehen. 

"Das tu ich mir nicht an"

Vor allem bei reglementierten Berufen - dazu zählen etwa medizinische Berufe - sei das Verfahren sehr streng, kompliziert und bürokratisch, sagt er.

Viele würden scheitern, weil sich das Verfahren nicht mit Sorgepflichten für Kinder vereinbaren lasse. Vor allem Menschen, die jahrelange Berufserfahrung haben, würden sich viel schwerer tun als junge Ärztinnen, "die halt vor ein paar Jahren ihre Ausbildung absolviert haben", so Karakurt. Außer in Wien gebe es in Österreich auch kaum begleitende Unterstützung in dem Prozess. 

Nermina Imamovic, Projektleiterin bei "Migrare", schildert, dass viele in den "unqualifizierten Bereich abwandern" würden. "Es gibt Personen, die sagen: `Das tu ich mir nicht an'. Ich habe eine Familie zu ernähren und kann nicht jahrelang warten". Das sei angesichts des Fachkräftemangels besonders "schade". 

Polaschek will zentrale Anlaufstelle

Polaschek will nun jedenfalls eine zentrale Anlaufstelle, die unter Einbindung von Expert:innen das Verfahren bei Bürger:innen aus Nicht-EU-Staaten "qualitätsvoll" abwickeln soll. Mittelfristig solle die Nostrifizierung an Fachhochschulen und Universitäten in der jetzigen Form abgeschafft werden, das würde auch die Institutionen entlasten. Polaschek will das Gespräch mit Wirtschaftsminister Martin Kocher (ebenfalls ÖVP) suchen. 

Beim Tourismus "ins eigene Fleisch geschnitten"

Kocher muss aber auch in anderen Bereich für Erleichterungen für Migrant:innen sorgen. Kürzlich ließ etwa Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler (auch ÖVP) in der "Presse" aufhören. Sie wurde dort gefragt, warum ambitionierte junge Menschen nach Österreich kommen sollen, wenn man sich in Österreich bemühe, das Land möglichst unattraktiv zu machen.

Die Staatssekretrin antwortete: "Genau das ist die Sorge, die viele Touristiker umtreibt. Ich höre ständig aus Gesprächen mit Vertretern aus der Branche, dass wir hier über ideologische Grenzen hinaus die richtigen Anreize stellen müssen. Man hat sich hier aber teils aus politischem Kalkül langfristig ins eigene Fleisch geschnitten". 

Wegen des Mangels im Tourismus, aber auch in anderen Branchen, kündigte Kocher bereits an, die Rot-Weiß-Rot-Karte erneut reformieren zu wollen, um mehr qualifizierte Fachkräfte aus dem EU-Ausland anzuziehen. Gelingen soll dies mit schnelleren Verfahren.  In den kommenden vier Jahren - ausgehend von Ende 2023 - soll die Zahl der Karten von damals 8.079 auf das Doppelte, also auf rund 16.000, steigen. 

ÖVP Tourismussprecher Franz Hörl setzte sich im Zuge der Reform für eine "Freischaltung" der Saisonnierkontingente ein. Die regionalen AMS-Stellen sollen entscheiden, "welche und wie viele Arbeitskräfte benötigt werden."

Grüne wollen keine "Pseudolösungen"

Das bezeichnete hingegen der Grüne Koalitionspartner als "Pseudolösung".  "Es macht keinen Sinn über Pseudolösungen zu diskutieren, wenn die ÖVP nicht bereit ist, echte Lösungen anzugehen, wie das vorhandene Potenzial der Menschen zu nutzen, die bereits hier sind", meinte die grüne Tourismussprecherin und Nationalratsabgeordnete Barbara Neßler. 

Junge Menschen können während ihrer Lehre nach wie vor abgeschoben werden, Schutzberechtigte, die arbeiten wollen, "hindern wir daran", meinte die Tiroler Abgeordnete: "Das ist sowohl ökonomisch als auch menschlich einfach sinnbefreit."

ribbon Zusammenfassung
  • Die ÖVP will Österreich für Migranten möglichst unattraktiv machen. Entsprechende Wortmeldungen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder.
  • Doch die Wirtschaft braucht Zuwanderung - in einigen Bereichen lenkt die ÖVP nun ein.
  • Die Rot-Weiß-Rot-Card soll wieder reformiert werden und Wissenschaftsminister Polaschek will nach Ostern einen "Nostrifzierungsgipfel" einberufen.
  • Eine ukrainische Ärztin erzählt, warum das notwendig ist.