EU und USA bilden "transatlantische Front" gegen Russland
Blinken und Borrell hätten über die laufenden Vorbereitungen "für abschreckende Maßnahmen und eine robuste internationale Reaktion mit massiven Konsequenzen für Russland im Fall einer weitere Aggression gegen die Ukraine" gesprochen, hieß es in der Mitteilung weiter. Washington und Brüssel seien offen für einen Dialog mit Russland, "aber niemals auf Kosten der Freiheit, Souveränität und Unabhängigkeit von Mitgliedern der transatlantischen Gemeinschaft und ihrer Partner". So hätten Borrell und Blinken auch die russische Initiative zurückgewiesen, "in Europa wieder Einflusssphären aufzubauen".
Russland hatte zuvor Vorwürfe der USA als "haltlos" zurückgewiesen, dass mutmaßlich russische Agenten eine Spezialoperation im Osten der Ukraine planten. Wie so oft würden von US-Seite vermeintliche Sensationsnachrichten gestreut, ohne dass es dafür eine Grundlage gebe, teilte die russische Botschaft in Washington am Samstag mit. Im Konflikt zwischen Russland und dem Westen sondiert die US-Regierung laut Insidern indes mit Energiekonzernen Notfallpläne für Gaslieferungen nach Europa.
Die US-Regierung hatte Russland vorgeworfen, einen Vorwand für einen möglichen Einmarsch in die Ukraine zu schaffen. "Wir haben Informationen, die darauf hindeuten, dass Russland bereits eine Gruppe von Agenten aufgestellt hat, um eine Operation unter falscher Flagge im Osten der Ukraine durchzuführen", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Freitag. Die Informationen deuteten darauf hin, dass diese außerdem damit beginnen würden, in Medien "Provokationen zu fabrizieren", um eine russische Intervention zu rechtfertigen und Spaltungen in der Ukraine zu säen.
Nach US-Angaben könnten die von Russland in die Spur gesetzten Agenten unter ukrainischer Flagge gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine vorgehen, damit dann wiederum Moskau einen Grund hätte, in der Konfliktregion Donbass einzumarschieren. Russland warnt immer wieder vor einem Angriff von ukrainischer Seite auf die moskautreuen Kräfte in dem Gebiet.
Die russische Botschaft in der US-Hauptstadt forderte die US-Seite auf, den "Informationsdruck" zu beenden und zu sachlicher Arbeit überzugehen. "Russland ist gegen Krieg. Wir sind für eine diplomatische Lösung aller internationalen Probleme." Wie üblich würden keine Beweise für die Anschuldigungen vorgelegt.
Die Spannungen im Ukraine-Konflikt hatten zuletzt stark zugenommen. Der Westen kritisiert einen russischen Truppenaufmarsch in der Nähe der ukrainischen Grenze und befürchtet einen möglichen Überfall. Diese Woche gab es auch deshalb auf verschiedenen Ebenen Gespräche. Erstmals seit zweieinhalb Jahren berieten die 30 NATO-Staaten und Russland wieder miteinander. Darüber hinaus gab es eine Sitzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien. Bereits zum Wochenauftakt hatten sich Vertreter Russlands und der USA in Genf getroffen. Greifbare Ergebnisse gab es nicht.
Laut Branchen- und Regierungskreisen in den USA sprachen Vertreter des Außenministeriums mit den einschlägigen Firmen über Kapazitäten für höhere Gasliefermengen, für den Fall, dass russische Gaslieferungen in EU-Länder unterbrochen werden. Dabei sei auch eine Verschiebung von Wartungsarbeiten erörtert worden, um die Gasproduktion hoch zu halten. Die Unternehmen hätten erklärt, dass ein Ausfall großer Mengen aus Russland schwer zu ersetzen sei und dabei auf die weltweit knappen Gasvorräte verwiesen. Welche Konzerne angesprochen worden seien, wurde zunächst nicht bekannt. Die Europäische Union bezieht rund ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Russland. US-Sanktionen gegen Russland könnten die Lieferungen beeinträchtigen.
Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA wollte sich nicht zu den Gesprächen äußern. Er bestätigte aber, dass eine Notfallplanung im Gange sei. Eine Sondierung von Auswirkungen möglicher Maßnahmen sei gängige Praxis. Dies zeige die Entschlossenheit der USA, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen.
Russland hat an der Grenze zur Ukraine rund 100.000 Soldaten zusammengezogen. Die Führung in Moskau streitet Invasionspläne ab. Stattdessen gehe es Russland um Sicherheitsgarantien. So fordert Präsident Wladimir Putin unter anderem eine Zusage der NATO, dass die Ukraine nicht in das transatlantische Militärbündnis aufgenommen wird. Dies lehnt die Allianz mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine und souveräner Staaten an sich kategorisch ab.
Russland fordert einen überhaupt Stopp der Ausbreitung der NATO gen Osten. Die Ukraine möchte der NATO beitreten. Russlands Vize-Außenminister Sergej Rjabkow hatte am Donnerstag nach mehreren Gesprächsrunden mit westlichen Staaten vor einer Sackgasse gewarnt. Er begründete dies damit, dass die US-Regierung und deren Verbündete den Forderungen nach Sicherheitsgarantien Russlands nicht nachkommen wollten. Russland werde nun "andere Maßnahmen und Techniken" im Verhältnis zum Westen anwenden.
Die ukrainischen Behörden hatten am Freitag einen massiven Cyberangriff gemeldet. Betroffen gewesen seien etwa die Seiten des Außenministeriums, des Kabinetts, des Sicherheits- und Verteidigungsrates, sowie des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft. Kiew deutete schon am Freitagabend nach Moskau. Am Samstag präzisierte der Vizesekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Serhij Demedjuk, die Urheber dürften im Umfeld belarussischer Geheimdienste sein. Die eingesetzte Schadsoftware ähnle aber Programmen, die Hacker aus der Umgebung russischer Geheimdienste nutzten. "Wir glauben vorläufig, dass die Gruppe UNC1151 in diesen Angriff involviert sein könnte", erklärte Demedjuk in einer schriftlichen Stellungnahme. "Dies ist eine Cyber-Spionage-Gruppe, die mit den Spezialdiensten der Republik Belarus verbunden ist."
Der ukrainische Geheimdienst SBU erklärte, insgesamt seien 70 Webseiten der Regierung angegriffen worden. In zehn Fällen sei es zu "unbefugten Eingriffen" gekommen, aber der Inhalt sei nicht verändert worden und es habe keine Weitergabe personenbezogener Daten gegeben. Auf der Webseite des Außenministeriums waren vorübergehend die Worte "Habt Angst und rechnet mit dem Schlimmsten" in ukrainischer, russischer und polnischer Sprache zu lesen. Auch der EU-Außenbeauftragte Borrell hielt es für "denkbar", dass Russland hinter dem Cyberangriff steckt.
Der staatliche ukrainische Energiekonzern Naftogaz warnte unterdessen erneut vor einer Inbetriebnahme der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee unter Umgehung der Ukraine als Transitland. Es handle sich für die Ukraine um eine Frage der nationalen Sicherheit, sagte Naftogaz-Chef Jurij Witrenko der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Dabei verwies er auf den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze. Wenn Gas durch die Ukraine fließe, sei es für den russischen Präsidenten Wladimir Putin schwieriger, einen Krieg anzufangen, weil dann Gaslieferungen betroffen wären, sagte Witrenko. "Ich bin mir sicher: Wenn Nord Stream 2 in Betrieb geht, dann wird kein russisches Gas mehr durch die Ukraine nach Europa geleitet."
Zusammenfassung
- Europa und die USA schließen angesichts der befürchteten russischen Aggression gegen die Ukraine die Reihen.
- Russland werde nun "andere Maßnahmen und Techniken" im Verhältnis zum Westen anwenden.