Ein Viertel der Einwohner des Libanons sind Flüchtlinge
"Die Armee nimmt Flüchtlinge ohne Dokumente fest", erzählt Saleh, der so eine Art Bürgermeister in einem Flüchtlingscamp mit 650 Bewohnern in der Bekaa-Ebene, nahe der Grenze zu Syrien, ist, gegenüber österreichischen Journalisten. "Junge Männer unter 45 Jahren schlafen in den Feldern, aus Angst vor einer Festnahme", berichtet er. Immerhin drohe diesen bei einer Rückkehr nach Syrien der Militärdienst. Bis die libanesische Regierung ihre Entscheidung bekannt gebe, werde die Angst noch steigen, glaubt Saleh.
Das Hilfswerk International betreibt in der Nähe des Camps seit 2015 ein medizinisches Erstversorgungszentrum. 2020 wurde ein neues Gebäude bezogen. "Die Leute müssen jetzt nicht mehr so weit reisen, um zu uns zu kommen", sagt Doktor Mashrir, der medizinische Leiter des Zentrums. Die Behandlung sei kostenlos, sowohl für Flüchtlinge, seit dem Beginn der Wirtschaftskrise 2019 auch für Einheimische, sagt der Arzt. "Die Wirtschaftskrise hat auch die Gesundheitsversorgung verschlechtert. Nur wer es sich leisten kann, hat einen uneingeschränkten Zugang", erzählt die Syrerin Naddah. Neben der medizinischen Erstversorgung gibt es aber auch psychologische Betreuung, Lehrerinnen und Sozialarbeiterinnen.
Anfangs war es nicht einfach, erzählt Mireille Karaky vom Hilfswerk International. "Wir mussten Freiwillige unter den syrischen Flüchtlingen ausbilden, die dann die anderen ermutigten, das medizinische Zentrum zu nutzen", berichtet sie. Auch die Männer mussten zuerst überzeugt werden, dass sie es ihren Frauen erlauben zu kommen.
In den Camps seien die Lebensumstände schrecklich. "Zehn Leute schlafen in einem Zelt", sagt Karaky. Die Hygiene zu halten sei sehr schwierig, gerade im Winter sei Feuchtigkeit ein großes Problem und die Brandgefahr aufgrund der Öfen in den Zelten groß. Zudem müssten die syrischen Flüchtlinge, für den Platz, wo ihr Zelt steht, eine monatliche Miete an den Eigentümer zahlen, in Jordanien oder der Türkei komme dafür der Staat auf.
Dennoch ist die Stimmung unter den Frauen im Camp gut. "Wir leben schon so lange hier und sind wie eine Familie", sagt die Syrerin Yazirah. Die großen Probleme gebe es nur, wenn die Männer keinen Job haben und gestresst sind, sagt sie. Nach Syrien wollen sie alle nicht zurück, obwohl die Lebensumstände im Libanon aufgrund der massiven Teuerung zunehmend schwieriger werden.
"Wir haben Angst um unsere Männer, außerdem gibt es in Syrien keine Arbeit und keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung", sagt Ola. Da sei das Leben im Libanon, auch wenn es teuer sei, noch besser. Die Angst vor einer Abschiebung ist dennoch überall präsent. Die Kinder im Camp tauchen nach der Ankunft der Pressedelegation erst langsam auf. Zuvor hatten sie sich versteckt, in dem Glauben, der Journalistenbus hole sie ab, um sie nach Syrien zurückzubringen.
Zusammenfassung
- Kein Staat beherbergt pro Kopf mehr Flüchtlinge als der Libanon.
- Von den geschätzten 6,8 Millionen Einwohnern sind 1,5 Millionen Syrer, 211.000 Palästinenser und knapp 14.000 Flüchtlinge anderer Nationalitäten.
- Offiziell registriert sind laut UNHCR aber nur rund 819.000 Flüchtlinge, davon knapp 815.000 Syrer.
- Nach Syrien wollen sie alle nicht zurück, obwohl die Lebensumstände im Libanon aufgrund der massiven Teuerung zunehmend schwieriger werden.