Dutzende Tote im Sudan - Angst vor Bürgerkrieg wächst
Bei Gefechten am Samstag und Sonntag in der Hauptstadt Khartum und anderen Orten starben Dutzende Zivilisten und Soldaten, Hunderte wurden verletzt. Panzer, Kampfflugzeuge und Artillerie waren in dicht besiedelten Stadtteilen im Einsatz. Bis Sonntagnachmittag blieb unklar, welche Seite die Oberhand hat, weltweit wächst die Sorge vor einem Bürgerkrieg.
Eine sudanesische Ärzteorganisation teilte Sonntag früh über Twitter mit, es gebe mindestens 56 zivile Todesopfer zu beklagen und Dutzende getötete Soldaten. Außerdem seien in Krankenhäusern und anderen Versorgungsstellen knapp 600 Verletzte gezählt worden, von denen Dutzende in Lebensgefahr schwebten.
UNO fordert Ende der Gewalt
Der UNO-Sicherheitsrat forderte alle Konfliktparteien in seltener Einigkeit auf, das Blutvergießen zu beenden und Gespräche zur Beendigung der Krise aufzunehmen. Außerdem müssten humanitäre Helfer sicheren Zugang bekommen und UNO-Mitarbeiter geschützt werden, forderte das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen. Auch UNO-Generalsekretär António Guterres, US-Außenminister Antony Blinken, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock forderten ein sofortiges Ende der Gewalt im Sudan.
Der Friedens-und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union beriet am Sonntagnachmittag über die "beunruhigenden Situation im Sudan. Der Vorsitzende der AU-Kommission, Moussa Faki Mahamat, hatte zuvor bereits dringend einen Waffenstillstand, Dialog und den Schutz der Zivilbevölkerung gefordert. Auch die Zwischenstaatliche Behörde für Entwicklung (IGAD) in Ostafrika beraumte am Sonntag ein außerordentliches Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs an.
Besonders umkämpft war in der Hauptstadt Khartum am Sonntag das Gebäude des Hauptkommandos des Militärs, Teile davon gerieten in Brand. Die RSF teilten mit, bestimmte Bereiche des Hauptquartiers unter Kontrolle zu haben. Das sudanesische Militär wies dies als Falschmeldung zurück. Stattdessen teilte die Armee mit, der Brand sei gelöscht. Es habe keine Verletzten gegeben. Augenzeugen berichten jedoch, dass die Kämpfe dort unvermindert weitergingen. Dabei sollen schwere Artillerie und Kampfjets eingesetzt worden sein. Auch in anderen Teilen des Landes wie in den Provinzen Darfur und Nord-Kordofan soll es zu Kämpfen gekommen sein. Schwere Gefechte wurden auch aus der Stadt Merowe im Norden des Landes gemeldet.
Hintergrund des Gewaltausbruchs ist ein erbitterter Machtkampf zwischen dem sudanesischen Machthaber General Abdel Fattah al-Burhan und seinem Stellvertreter Mohamed Hamdan Dagalo (Daglo) - auch bekannt unter dem Namen Hemedti -, dem Anführer der RSF. Der Konflikt in dem Land mit 46 Millionen Einwohnern eskalierte am Samstag, binnen weniger Stunden kam es zu heftigen Gefechten. Aus Khartum wurde unter anderem Artilleriebeschuss gemeldet, außerdem gab es Berichte über Luftangriffe der sudanesischen Luftwaffe auf RSF-Stützpunkte. Wer in Khartum aktuell die Oberhand hat, ist unklar.
Eine sudanesische Ärzteorganisation teilte Sonntag früh über Twitter mit, es gebe mindestens 56 zivile Todesopfer zu beklagen und Dutzende getötete Soldaten. Außerdem seien in Krankenhäusern und anderen Versorgungsstellen knapp 600 Verletzte gezählt worden, von denen Dutzende in Lebensgefahr schwebten.
Machtkampf entbrannt
Seit dem Sturz des Langzeitmachthabers Omar al-Bashir 2019 und einem weiteren Putsch gegen eine daraufhin eingesetzte - faktisch aber vom Militär kontrollierte - Zivilregierung 2021 hat die Armee die Kontrolle im Sudan. Die RSF und das sudanesische Militär hatten bei beiden Machtübernahmen Hand in Hand gearbeitet. Im Zuge des für April geplanten Übergangs zu einer zivilen Regierung sollten die Paramilitärs in die Streitkräfte eingegliedert werden. Das führte zu einem Machtkampf zwischen den einstigen Verbündeten. Dagalo warf Burhan vor, sein Amt als De-Facto-Staatschef nicht aufgeben zu wollen und sich entgegen aller Absprachen an die Macht zu klammern.
Die RSF behaupteten am späten Samstagabend bei Twitter, 90 Prozent der vom Militär kontrollierten Gebiete im Sudan erobert zu haben und in die Kommandozentrale der Armee eingedrungen zu sein. Die Armee wies auch dies als falsche Behauptung zurück.
Die Eskalation der Gewalt löste weltweit Besorgnis aus. UNO-Generalsekretär Guterres forderte die Konfliktparteien auf, "die Feindseligkeiten unverzüglich einzustellen, die Ruhe wiederherzustellen und einen Dialog zur Lösung der aktuellen Krise einzuleiten". Guterres telefonierte am Samstag mit RSF-General Dagalo.
Wenig Hoffnung auf Frieden
Die Rhetorik der Kontrahenten machte hingegen wenig Hoffnung auf ein schnelles Ende der Gewalt: Burhan hatte den RSF am Samstag in einem Interview mit dem Fernsehsender Al-Jazeera Angriffe auf strategische Ziele und auf sein Haus vorgeworfen. RSF-Anführer Dagalo forderte, Burhan und seine Verbündeten vor Gericht zu stellen. Sein Rivale sei schuld an dem Konflikt und werde entweder gefangen genommen "oder wie ein Hund sterben", sagte Dagalo zu Al-Jazeera. Das Militär verbreitete eine Stellungnahme über Facebook, in der es hieß, Verhandlungen mit den RSF werde es nicht geben, die Gruppe müsse sich auflösen.
Die RSF hatten vor wenigen Tagen ihre Einheiten mobilisiert, nachdem das Militär die Ernennung eines Premierministers und damit die Machtübergabe erneut verzögert hatte. Beobachter werteten die Mobilisierung als Drohgebärde Dagalos gegen Oberbefehlshaber Burhan. Zuletzt hatte Dagalo einen schnellen Übergang zu einer Zivilregierung gefordert und sich damit gegen Burhan gestellt.
Die RSF hatten sich 2013 aus Milizen im westlichen Bundesstaat Darfur zusammengeschlossen. Bei dem jahrzehntelangen Konflikt dort galten sie als brutal agierende Unterstützer der arabisch dominierten Regierung, die gewaltsam gegen die afrikanische Minderheit vorgingen. Die Gruppe und ihr Anführer Dagalo wurden für Massenvergewaltigungen und andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht. Nach dem Sturz von Machthaber Bashir 2019 galt Dagalo als mächtigster Mann im Sudan. Die Regierungsgeschäfte übernahm aber Burhan, der Generalinspekteur der Streitkräfte. Dagalo wurde später Burhans Stellvertreter im regierenden Übergangsrat.
Zusammenfassung
- Erbitterte Kämpfe zwischen Streitkräften und einer einflussreichen paramilitärischen Gruppe im Sudan haben das nordostafrikanische Land in eine schwere Staatskrise gestürzt.
- Sudanesischen Ärzten zufolge gab es bis Sonntag schon Dutzende Tote und Hunderte Verletzte zu beklagen - Tendenz weiter steigend.
- Mehr als 24 Stunden nach Beginn der Gefechte konnten bis Sonntagmittag scheinbar weder das Militär noch die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) die Oberhand gewinnen.
- Der UNO-Sicherheitsrat forderte alle Konfliktparteien in seltener Einigkeit auf, das Blutvergießen zu beenden und Gespräche zur Beendigung der Krise aufzunehmen.