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Demos 2025 in engem Zusammenhang mit Regierungsverhandlungen

Die ersten Tage des Jahres 2025 haben es bereits gezeigt: Es dürfte in Wien zwar weniger Versammlungen geben als 2024 - mit rund 13.000 wurden wie in jedem Wahljahr besonders viele registriert -, einige Demos könnten für die Polizei in der Bundeshauptstadt durchaus herausfordernd werden. "Es wird viel darauf ankommen, wie es mit den Regierungsverhandlungen weitergeht", sagte Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl im APA-Interview.

Bereits der Auftrag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen an FPÖ-Chef Herbert Kickl zur Regierungsbildung am Dreikönigstag rief einige hundert Demonstranten am Ballhausplatz auf den Plan. "Das war auch zu erwarten, da waren wir auch gerüstet und das verlief friedlich", betonte Pürstl. "Und am Donnerstag ist bereits die nächste Demo angekündigt."

Die Zahl der Versammlungen im öffentlichen Raum ist dem Polizeichef zufolge in Wahljahren deshalb so hoch, weil jeder Infotisch als Versammlung angemeldet wird. "Wenn also die Grünen, die Roten, die Schwarzen, die Blauen und die Pinken auf einem Platz mit jeweils einem Tisch stehen, haben wir fünf Versammlungen, die in Wahrheit aber polizeilich nicht relevant sind", erläuterte Pürstl. "Für uns sind aber jene Versammlungen wichtig, wo viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind, wo man mit einem großen sicherheits- und ordnungspolizeilichen Aufgebot einschreiten muss und wo wir aus verschiedensten Gründen entsprechende Gefahrenlagen haben."

"Wir müssen natürlich damit rechnen, dass, wenn sich die Regierungsverhandlungen so fortsetzen, auch das Demonstrationsgeschehen steigen wird", sagte Pürstl. "Aber das schreckt mich nicht." Seine Strategie für die kommenden Wochen: "Ruhe, Erfahrung und Weitsicht, sich die Sachen genau anschauen und genau kategorisieren, was macht uns polizeilich Arbeit, weil ein gewisser Gefährdungsgrad dabei ist, und was ist ein Demogeschehen, das ordnungsdienstlich begleitet werden muss, in Wahrheit aber polizeiliche Routine ist."

Was auf die Wiener Polizei zukommt, lässt sich ihrem Chef zufolge noch nicht sagen: "Schauen wir einmal, wie es sich jetzt entwickelt. Ob es zu Demos kommt, bei denen es Ausschreitungen gibt, lässt sich noch nicht so wirklich prognostizieren. Da muss man dann eben sehr genau die Stimmungslage ausloten." Pürstl sieht die Exekutive aber gut gerüstet: "Da sind wir durch unsere Beobachtungen der Szene, die Beobachtungen, die wir im Netz machen, also durch unsere OSINT-Recherchen (OSINT steht für Open Source Intelligence, Anm.), sehr nah am Ball. Das gibt uns vor jeder Versammlung die Möglichkeit, sehr gut einzuschätzen, ob es da krachen kann oder nicht, wird es friedlich ablaufen, wird man sich mit dem Versammlungsanzeiger auf die richtige Route einigen können, auf gewisse Dinge, die nicht stattfinden sollen."

2024 war - abgesehen von der Zahl -, was Demonstrationen in Wien betrifft, für die Polizei nicht besonders herausfordernd. "Eine Herausforderung waren sicher die zahlreichen Palästinenserdemos, auch deswegen, weil es sehr strittig ist, auch in der Judikatur. Es gibt eine divergierende Judikatur des Verwaltungsgerichtes Wien zu den Fragen, wie das ist, wenn jemand die Intifada ausruft beziehungsweise 'from the river to the sea' und die anderen Sprüche skandiert, die man als Gutheißen des Hamas-Terrors einstufen kann, die man aber auch anders interpretieren kann. Und das hat sich für uns nicht so sehr als Herausforderung für die Mannschaft draußen herausgestellt, sondern eher, wie man im Vorfeld damit umgeht. Die Frage war, was man noch zulässt, was man nicht mehr zulässt, ab welchem Grad muss man eine Auflösung verfügen, wann unterlässt man eine Auflösung. Das war versammlungsrechtlich ein bisschen schwierig", schilderte Pürstl.

Die zweite Herausforderung sei die gegen eine Regierungsbildung ohne die FPÖ gerichtete Demonstration am 30. November gewesen - dem ersten Einkaufssamstag in der Adventzeit -, welche die Wiener Polizei untersagt habe. "Da hat man der Wiener Polizei politische Motive vorgeworfen, was natürlich Unfug ist", betonte der Landespolizeipräsident. "Wir haben eine relativ klare Linie zu Weihnachten, und das schon seit Jahren, dass wir sagen, an Einkaufssamstagen darf man grundsätzlich in Einkaufsstraßen keine Großdemos machen, weil das schon vom Verkehrsaufkommen der Fußgänger her nicht geht. Jeder Mensch, der am Einkaufssamstag in die Innenstadt, ganz gleich, ob in die Mariahilfer Straße oder in die Innere Stadt, gegangen ist, hat erleben dürfen, dass es denkunmöglich ist, dort eine Demonstration durchzuführen."

Auch die Demo entgegen der Fahrtrichtung über die Ringstraße, wie es der Veranstalter am Nachmittag des Einkaufssamstags vorhatte, wurde untersagt. "Das würde bedeuten, dass der Verkehr in Wien lahm liegt. Wir haben Gutachten der Verkehrsspezialisten dazu eingeholt, die so klar ausgefallen sind, dass dies zu einem kompletten Zusammenbruch des Verkehrs führen würde, und zwar nicht nur des Individualverkehrs, sondern auch zum Großteil des öffentlichen Verkehrs. Das Ergebnis war, dass man das so nicht zulassen kann", erläuterte Pürstl die Entscheidung. "Man hat versucht, das mit dem Versammlungsanzeiger zu besprechen, ihn zu einer anderen Route oder zu einer Standkundgebung zu bewegen. Er hat sich aber nicht vom Fleck bewegt. Und dann gibt es für die Behörde nur die Möglichkeit, das zur Gänze zu untersagen." Man habe auch gesehen, nachdem sich einige spontan am Ring versammelt und eine Stunde den Ring vom Café Landtmann bis zum Kai blockiert hatten, dass der Verkehr zum Erliegen gekommen sei.

"Wir haben ja gezeigt, dass wir andere Standkundgebungen zugelassen haben. Oder auch die große linke Versammlung am selben Tag vom Schwarzenbergplatz weg: Die wollten auch über den Ring gehen. Denen haben wir aus genau diesen Gründen auch gesagt, 'das geht nicht'. Die haben dann gesagt, 'okay, dann gehen wir eine andere Route' und sie sind auch dorthin gekommen, wohin sie wollten, aber es gab dann keinen Grund, die Versammlung zu untersagen", ergänzte der Polizeichef. "Das wurde uns dann ausgelegt, als hätten wir dann politisch irgendjemanden bevorzugt. Ich habe etwas anderes den ganzen Tag zu tun, als mir zu überlegen, ob wir irgendwie oder irgendwo Politik betreiben als Polizei. Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir nach den Buchstaben des Gesetzes und nach der Rechtsstaatlichkeit agieren. Uns hat es nicht zu interessieren, ob jemand für oder gegen etwas ist, ob das eine linke oder rechte Demo ist oder ob jemand Freiheit für den Watzmann will. Der Inhalt einer Demo ist für uns so lange uninteressant, so lange er nicht strafrechtswidrig ist."

Ansonsten habe es wenig Demonstrationen gegeben, welche die Polizei besonders gefordert hätten. Auch die Proteste gegen den Akademikerball seien - vom Gewaltpotenzial her - deutlich schwächer geworden in den vergangenen Jahren. "Wir haben als Polizei ganz konsequent Flagge gezeigt und allen klargemacht, dass es eine gewisse rote Linie gibt, die man nicht überschreiten kann. Wenn man anfängt, auf der Straße Gewalt auszuüben, Sachbeschädigungen zu begehen und gegen die Polizei vorzugehen, sind das Dinge, die wir nicht tolerieren können und wollen", begründete Pürstl das gesunkene Konfliktpotenzial bei diesen Kundgebungen. "Wenn eine Polizei in diesem Bereich aufgibt, dann gibt sie eine ganz wesentliche Funktion in der Stadt auf, nämlich Versammlungen zu schützen, das Versammlungsgeschehen in ordentlichen Bahnen zu halten und Versammlungen, die nicht friedlich sind und Gesetze unterlaufen, zu untersagen und aufzulösen."

2025 werde es wichtig sein zu wissen, was das Programm einer allfälligen FPÖ-ÖVP-Koalition sein werde. "Dann wird man schon ein bisschen besser abschätzen können, was die Themen sind, die vermutlich die Menschen auf die Straße bringen können", sagte der Landespolizeipräsident. Ein Beispiel: Wenn die Regierung vorhat, den Bau des Lobautunnels in Wien doch in Angriff zu nehmen, "dann ist zu erwarten, dass es natürlich doch Proteste geben wird". Pürstl ergänzte: "Dann müssen wir aber natürlich doch sehr kurzfristig einschätzen, wer die Szene ist, die man auf die Straße bringt, was werden sie vorhaben. Es ist ein Unterschied, ob man jetzt über die Ringstraße zieht und irgendwelche Großdemos macht oder ob man Baustellen oder sonstige Örtlichkeiten besetzt, die für den Bau von strategischer Bedeutung sind oder den Bau tatsächlich behindern."

Es werde sicher auch Themata geben, wo es um Einschnitte geht. "Nehmen wir an, es gibt Gehalts- oder Pensionskürzungen, dann ist das sicher etwas, das die Menschen auf die Straßen rufen kann. Wobei ich nicht glaube, dass Proteste in diesem Bereich nicht gewalttätig sind", betonte Wiens Polizeichef. Auch bei Protesten gegen Migrationsprogramme der Regierung - wie etwa die Lichtermeere - waren in der Vergangenheit nicht gewalttätig.

Mehr Einmischung von politischen Entscheidungsträgern befürchtet Pürstl auch in Zukunft nicht bei Entscheidungen über Zulassung oder Untersagung von bestimmten Versammlungen: "Ich bin jetzt seit 17 Jahren Polizeipräsident. Und ich habe in meiner gesamten Zeit noch keine einzige Weisung bei Demonstrationen bekommen. Es hat keine Weisung von einem Minister oder Ersuchen vom Landeshauptmann und Bürgermeister gegeben, weil man darauf vertraut, dass wir das Versammlungswesen professionell abwickeln, nach dem Prinzip: Es darf jede Versammlung grundsätzlich stattfinden, außer sie gefährdet die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl. Und das ist immer eine Einzelfallentscheidung. Ich hoffe sehr und glaube auch nicht, dass das gelingen würde, dass da niemand versucht, Druck auszuüben in die eine oder andere Richtung. Das ist a) viel zu heikel, b) viel zu wichtig, weil es elementare Grundrechte betrifft und eine permanente Grundrechtsabwägung, und c) glaube ich, dass sich da auch niemand etwas Gutes täte, wenn er sich da einmischt in diese sehr, sehr heiklen, auch verfassungsrechtlich schwierigen Fragen."

Der künftigen Regierung sagte Pürstl, dass das Wichtigste für die Wiener Polizei das Personalthema sei. "Während der Corona-Zeiten hatten wir relativ starke Verluste bei den Polizeischülern. Das heißt, wir hatten relativ wenige Aufnahmewerber, relativ wenige, die in die Grundausbildung gekommen sind, und zwei Jahre später dann in den Polizeidienst. Dazu kam, dass die Babyboomer nach und nach in Pension gehen, das heißt, dass die Pensionsabgänge relativ hoch sind, und da müssen wir auch in diesem Jahr mit etwa 200 Abgängen rechnen", erläuterte der Polizeipräsident. Weiters habe die Wiener Polizei relativ viele Zuteilungen für die Zentralstelle, nicht zuletzt für die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und für das Bundeskriminalamt (BK).

Dazu spüre die Wiener Polizei ein "großes Loch im Mittelbau des Personals". Pürstl: "Das geht zurück auf die Mitte der 90er-Jahre, wo einfach über Jahre hindurch im Bundesdienst kaum Personal aufgenommen wurde, und das auch im Polizeidienst. Da sind in der Marokkanerkaserne die Klassenräume leer gestanden. Das merkt man jetzt: Wir haben relativ viele ältere Bedienstete, von denen doch einige in Pension gehen. Und der Mittelbau fehlt, und wenn der fehlt, heißt das, dass es schwieriger wird, die Jungen an ihre Aufgaben heranzuführen. Die lernen schon viel in den Grundausbildungen und auch aus eigenen Erfahrungen im Polizeidienst. Aber diejenigen, die die Jungen an der Hand nehmen und durch das polizeiliche Leben in der ersten Zeit führen, sind rarer geworden."

"Daher ist für mich ganz, ganz wichtig, dass wir die hohen Aufnahmezahlen, die wir im Jahr 2024 hatten - da hatten wir ungefähr 800 Aufnahmen -, in den nächsten Jahren halten können und dass es da keine budgetären Restriktionen gibt. Wenn das gelingt, werden wir, denke ich, die Ruhestandsabgänge der Babyboomer ganz gut verkraften können und in drei, vier Jahren langsam anfangen werden, wieder Personalzuwachs zu haben", sagte Pürstl. Dafür benötige man auch die hohen Aufnahmezahlen, zumal auch die Dropout-Quote einzukalkulieren ist. Dem Landespolizeipräsidenten zufolge treten rund 20 Prozent der aufgenommenen Polizeischüler nicht tatsächlich in den Dienst. Die Ausstattung der Exekutive sah Pürstl als "sehr gut" an.

Der Wiener Polizeichef drängte darauf, die seit langem diskutierte Überwachung von Messengerdiensten auf den Weg zu bringen. "Es ist einfach nicht einzusehen, wenn ein Richter eine Telefonüberwachung von einem Schwerkriminellen oder Drogendealer anordnet, dass man das normale Telefongespräch abhören kann, wenn der über Whatsapp oder Signal telefoniert bzw. kommuniziert, das aber nicht mehr kann. Da müssen wir mit der Zeit gehen und in eine Richtung gehen, dass wir die Kommunikationsmittel, die die Kriminellen verwenden, auch überwachen dürfen und können, wenn das richterlich angeordnet wird", forderte Pürstl.

(Das Gespräch führte Gunther Lichtenhofer/APA.)

ribbon Zusammenfassung
  • Im Jahr 2024 wurden in Wien rund 13.000 Versammlungen registriert, was die Polizei jedoch nicht vor besondere Herausforderungen stellte.
  • Die Regierungsverhandlungen könnten die Zahl der Demonstrationen im Jahr 2025 beeinflussen, wobei die Polizei auf mögliche Gefahren vorbereitet ist.
  • Die Wiener Polizei hat keine politischen Weisungen bezüglich der Zulassung oder Untersagung von Demonstrationen erhalten.
  • Die Personalsituation bei der Wiener Polizei ist angespannt, da hohe Pensionsabgänge und eine Dropout-Quote von 20% bei Polizeischülern zu verzeichnen sind.
  • Landespolizeipräsident Pürstl betont die Notwendigkeit der Überwachung von Messengerdiensten bei richterlicher Anordnung.