Bulgarien hat nach monatelanger Krise prowestliche Regierung
Der 60-jährige Physikochemiker Nikolaj Denkow (PP) wurde mit einer Mehrheit von 132 Abgeordneten aus den Reihen des Wahlsiegers GERB-SDS und des zweitplatzierten Blocks PP-DB zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Regierung selbst wurde mit 131 Stimmen bestätigt. Die russlandfreundlichen Sozialisten, die prorussische und nationalistische Partei Wasraschdane (Wiedergeburt) und die systemkritische ITN sind in der Opposition.
Die neue Regierung schreibt in dem Balkanland Geschichte mit einem Novum, das den Kompromiss zwischen den rivalisierenden Lagern ermöglichte: Das Amt des Ministerpräsidenten soll nach neun Monaten wechseln. Nach Denkow soll Ex-EU-Kommissarin Maria Gabriel (GERB) als Regierungschefin an der Reihe sein. Bis dahin ist die 44-jährige Vize-Ministerpräsidentin und Außenministerin. Sie ist die einzige Vertreterin von GERB-SDS in dieser Regierung. Es gibt kein Koalitionsabkommen, sondern nur ein "Gentlemen's Agreement", wie beide Seiten oft betonen.
Der frisch gewählte Denkow umriss die wichtigsten Baustellen seiner Regierung: Korruptionskampf und Justizreform sowie Bulgariens Beitritt zum grenzkontrollfreien Schengen-Raum und zur Euro-Zone. Finanzminister vor der für 2025 angestrebten Euro-Einführung ist der PP-Co-Vorsitzende Assen Wassilew, der dieses Ressort bereits in der 2022 gestürzten Regierung geleitet hatte.
Der neue Verteidigungsminister Todor Tagarew gilt als überzeugter Atlantiker und "politischer Falke". Gleich bei der Amtsübernahme sagte Tagarew, Bulgarien müsse der Ukraine helfen, damit sie ihre Gegenoffensive fortsetzen und die von Russland besetzten Gebiete befreien könne. Mit ihm erwarten Beobachter eine konsequentere Unterstützung für die Ukraine - in Bulgarien wird etwa von der Ukraine dringend gebrauchte Munition hergestellt. Damit scheint ein Konflikt zwischen der neuen Regierung und Staatschef Radew vorprogrammiert: Der frühere Kampfjetpilot und Chef der Luftwaffe gilt als russlandfreundlich und kritisiert die pro-ukrainischen Parteien im Land als "Kriegstreiber".
Bei den Bulgarinnen und Bulgaren polarisiert die neue Regierungsallianz in Sofia. Beide Lager hatten nach gegenseitigen Korruptionsvorwürfen geschworen, niemals eine Koalition einzugehen. "Alle Unterhändler der Regierungsgespräche müssen gelobt werden", sagte der Sozialforscher Haralan Aleksandrow zum Zustandekommen einer regulären Regierung. Doch Kritiker nennen die Allianz der beiden Erzfeinde "Zweckehe", "Schande" und "Regierung der US-Botschaft". Die Abstimmungen im Parlament wurden von Protesten begleitet.
Mit ihrer Allianz wollten GERB-SDS und PP-DB den Einfluss von Staatschef Radew auf Bulgariens Politik einschränken. Die Amtszeit der neuen Regierung begrenzten sie selbst auf zunächst 18 Monate. Doch selbst an dieser vergleichsweise kurzen Regierungszeit zweifeln manche bereits. "Diese Regierung wird nicht lange halten", prophezeite der prorussische Wasraschdane-Chef Kostadin Kostadinow. Soziologen sagen für den Fall einer sechsten Parlamentswahl in kurzer Folge der jetzt drittstärksten Partei ein noch besseres Wahlergebnis voraus. Diese Option scheint allerdings vorerst vom Tisch zu sein.
Unterdessen gratulierte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) Denkow. Er freue sich auf die Zusammenarbeit und die weitere Stärkung "der engen Beziehungen zwischen Österreich & Bulgarien", schrieb Nehammer auf Twitter. Gratulationen kamen auch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie freue sich, mit Denkow und Gabriel an der gemeinsamen EU-Agenda, "für ein starkes Bulgarien in einem starken Europa" zu arbeiten, erklärte sie.
Zusammenfassung
- Bis dahin ist die 44-jährige Vize-Ministerpräsidentin und Außenministerin.
- Sie ist die einzige Vertreterin von GERB-SDS in dieser Regierung.
- Der frisch gewählte Denkow umriss die wichtigsten Baustellen seiner Regierung: Korruptionskampf und Justizreform sowie Bulgariens Beitritt zum grenzkontrollfreien Schengen-Raum und zur Euro-Zone.
- Mit ihrer Allianz wollten GERB-SDS und PP-DB den Einfluss von Staatschef Radew auf Bulgariens Politik einschränken.