Angelobung von Mikl-Leitner: Die Rede von Van der Bellen im Wortlaut

Sehr geehrte Frau Landeshauptfrau,

meine Damen und Herren,

willkommen in der Hofburg!

 

Meine verfassungsmäßigen Pflichten als Bundespräsident sehen es vor, dass ich die vom Landtag gewählten Landeshauptleute auch auf die Bundesverfassung anzugeloben habe.

Der Hintergrund ist, dass Landeshauptleute nicht nur für die Landesverwaltung, sondern auch für die mittelbare Bundesverwaltung zuständig sind, also für jenen Teil des Bundesrechts, der nach den Zuständigkeitsregeln des Bundes-Verfassungsgesetzes von den Ländern zu vollziehen ist.

Und diese Zuständigkeit erfordert die Angelobung der Landeshauptleute auf die Bundesverfassung. Deshalb sind Sie, sehr geehrte Frau Mikl-Leitner, heute hier.

Um zu geloben, dass Sie die Verfassung und alle Gesetz der Republik getreulich beobachten – so lautet die Formulierung - und Ihre Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werden.

 

Meine Damen und Herren,

ich kenne Niederösterreich sehr gut und bin viel im Bundesland unterwegs. Ich schätze die Menschen, die Geselligkeit, die wunderbare Landschaft, die erfolgreiche Wirtschaft, alles, was im Kulturbereich passiert, die Museen und Festivals, die Internationalität des Bundeslandes, vor allem an den Orten der Wissenschaft und Spitzenforschung.

All das macht Niederösterreich  nicht nur zu einem wunderschönen, sondern auch zu einem wichtigen Teil unserer Heimat.

Die politischen Geschehnisse der letzten Wochen und Monate in Niederösterreichhaben mitunter zu kritischen Reaktionen geführt, die weit über die Grenzen Niederösterreichs hinausgehen.

-Viele Menschen machen sich Sorgen. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, aus der Zivilgesellschaft, der Politik, die Israelitische Kultusgemeinde, Künstlerinnen und Künstler, viele Wählerinnen und Wähler.

 Und auch aus der ÖVP selbst melden sich Spitzenfunktionärinnen und –funktionäre öffentlich zu Wort gemeldet und en ihre Bedenken artikuliert.

Ich möchte mich nicht verschweigen, ich kann viele dieser Sorgen nachvollziehen. Es ist zweifellos zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie, sehr geehrte Frau Landeshauptfrau, sich schlussendlich zu dieser Zusammenarbeit entschlossen haben.

Und es sind gewiss wichtige und intensive Wissens- und Gewissensüberlegungen Ihrer Entscheidung vorangegangen.

Erlauben Sie mir kurz festzuhalten, was neben den vielen wichtigen Themen

  • wie der der Teuerung,
  • der Bekämpfung der Klimakatastrophe,
  • einer zukunftsfitten Bildungs- und Wissenschaftspolitik,
  • Fragen des Wirtschaftsstandortes,
  • die Gleichberechtigung der Frauen,
  • einer fairen und solidarischen Sozialpolitik,
  • Asyl- und Migrationsfragen
  • und vieler anderer Themen,

zentrale Gewissensfragen sind.

 

Meine Damen und Herren,

dazu zähle ich, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist für den Frieden und den Wohlstand in unserer Heimat unverzichtbar.

Wer mit der Idee eines Öxits, einesAustritts aus dem gemeinsamen Binnenmarkt auch nur spielt, spielt mit unserer Zukunft.

Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union darf nicht zur Debatte stehen. Dieses Gerede schadet unseren österreichischen Interessen, gefährdet österreichische Arbeitsplätze und ist generell schädlich für eine positive Entwicklung unserer Heimat.

Die Grund- und Freiheitsrechte, die Menschenrechte, Minderheitenrechte sind Teil unserer Bundesverfassung. Und daher besonders zu achten und zu schützen.

Der Respekt vor den Institutionen der liberalen Demokratievor der österreichischen Bundesverfassung, vor dem Parlament, vor unserem Rechtsstaat, vor dem Verfassungsgerichtshof, und der Respekt vor der vierten Gewalt im Staat, vor den Medien, muss außer Frage stehen.

Fakten sind Fakten und nicht beliebig durch Fake Facts zu ersetzen.

Wissenschaft und Forschung sind die Basis unseres Wohlstandes und Fortschrittes. Wir dürfen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht verunsichern, indem wir Dinge in Frage stellen, die wissenschaftlich schlicht und einfach erwiesen sind.

Und es ist eine Gewissensfrage, dass unsere Jugend eine gute Zukunft hat.

Alles, was unseren Kindern schadet, dürfen wir nicht zulassen. Das betrifft auch ganz besonders die Folgen der verheerenden Klimakrise. Es ist nicht lustig, darüber zu sprechen. Es ist die große Überlebensfrage für unsere Kinder und Enkelkinder.

 

Last not least:

Meine Damen und Herren,

der Nationalsozialismus, mit seiner mörderischen Ideologie, darf sich niemals wiederholen. Nie wieder!

Unser gemeinsames „Nie wieder!“ verpflichtet uns alle zu einemgenauen und scharfen Blick, damit wir nie wieder in eine Situation wie in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts kommen.

Schuldige suchen. Menschen herabwürdigen. Andersdenkende verhöhnen und verspotten. Die Grenzen dehnen. Das Unsagbare doch sagbar machen. Immer ein Stückchen mehr. An die niedrigsten Instinkte appellieren.

Immer noch ein wenig mehr, sodass es vermeintlich nicht auffällt, was passiert. Aber es fällt auf!

Und viele Menschen in Österreich, und nicht nur hier, werden sehr genau hinsehen, wie sich Ihre Landesregierung hier verhält.

Ob nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt wird.

Nicht nur die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher erwarten sich von Ihnen, sehr geehrte Frau Landeshauptfrau, sehr genau hinzusehen und alles zu tun, um antidemokratische und die Würde des Menschen verletzende, autoritäre Tendenzen rechtzeitig und entschlossen zu stoppen.

Ich möchte betonen, dass ich in den vergangenen Jahren in zahlreichen Begegnungen und Gesprächen die Gelegenheit hatte, Sie als kompetente und integre Persönlichkeit kennen und schätzen zulernen.

Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass Sie Ihre herausfordernden Aufgaben gut meistern werden und wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit. Nach bestem Wissen und Gewissen.

Meine Pflichten als Bundespräsident sehen es nun vor,

Ihre Angelobung vorzunehmen. Sie werden dieses Gelöbnis durch Ihren Handschlag und Ihre Unterschrift bekräftigen.

„Ich gelobe, dass ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde.“