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"Neue Realität"

Antisemitische Fälle 2024 um ein Drittel gestiegen

Heute, 09:07 · Lesedauer 4 min

Die Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) hat im Jahr 2024 deutlich mehr antisemitische Vorfälle registriert als im Jahr zuvor.

Laut dem am Mittwoch veröffentlichten Jahresbericht der Antisemitismus-Meldestelle der IKG Wien wurden im Vorjahr 1.520 antisemitische Vorfälle in Österreich registriert. Gegenüber 2023, das bisher das Rekordjahr markierte (1.147 Meldungen), bedeutet das eine Zunahme um 32,5 Prozent.

Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel sei eine "regelrechte Welle an Antisemitismus hereingebrochen", sagte IKG-Präsident Oskar Deutsch bei der Vorstellung des Berichtes.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Es sei eine "neue Realität", die aus "Sorgen und Angst, Polizeipräsenz und massiven Sicherheitsbedenken besteht". Zu den 1.520 Meldungen im Jahr 2024 sagte der Präsident, er wolle nicht wissen, welche antisemitischen Vorfälle nicht gemeldet wurden - "da ist noch eine sehr viel höhere Zahl sicher".

"Es ist unser aller Aufgabe (...) gegen dieses Krebsgeschwür Antisemitismus anzukämpfen. Es geht nicht um die Zahlen, es geht um die Menschen", sagte Deutsch.

Als Beispiel brachte er etwa Kinder, die aufgrund ihrer Kleidung als Juden erkannt und von Jugendlichen körperlich attackiert wurden - oder Attacken auf einen Vater mit zwei Kindern nach dem Verlassen der Synagoge in Wien nach dem Abendgebet. Auch berichtete Deutsch von einem Kind, das wegen Anpöbelungen am Schulweg nicht mehr in die Schule gehen will. "Wir werden uns nie daran gewöhnen", sagte er zu derartigen Vorfällen.

24 physische Angriffe

Von den 1.520 im Bericht gemeldeten Vorfällen waren 24 physische Angriffe (2023: 18), 38 Bedrohungen (2023: 18), darüber hinaus gab es 216 Fälle von Sachbeschädigung (2023: 149), 616 Fälle von Massenzuschriften (2023: 536) und 626 Fälle von verletzendem Verhalten (2023: 426).

Generalsekretär der IKG, Benjamin Nägele und Präsident Oskar DeutschAPA/GEORG HOCHMUTH

Generalsekretär der IKG, Benjamin Nägele und Präsident Oskar Deutsch

Seit Einrichtung der Meldestelle sind die Fälle deutlich gestiegen. Im ersten Jahr 2009 waren es noch 200 gemeldete Vorfälle, 2015 stieg die Zahl mit 465 erstmals auf über 400 und blieb bis 2020 auf unter 600. 2021 wurden 965 Fälle verzeichnet, 2022 derer 719, bevor die Zahlen infolge des Hamas-Angriffs dann in die Höhe schossen.

Betrachtet man den ideologischen Hintergrund der Angriffe, so waren 30,8 Prozent (468 Fälle) nicht zuordenbar. 29,8 Prozent (453 Fälle) hatten einen muslimischen Hintergrund, 24,7 Prozent (376) einen linken und 14,7 Prozent (223) einen rechten Hintergrund.

IKG-Präsident sieht alle Seiten gefordert

Den Opfern sei es "völlig egal, ob der Angreifer ein Nazi oder ein Islamist ist. Ob das mehr von der einen oder der anderen Seite kommt, ist völlig egal", sah Präsident Deutsch alle Seiten gefordert, gegen derartige Vorfälle vorzugehen. Er gehe nicht mehr davon aus, dass man Antisemitismus komplett beseitigen könne, sagte er. "Aber wir müssen ihn auf ein bisschen erträgliches Maß reduzieren."

Jüdisches Leben werde aber nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden, "im Gegenteil", gab sich Deutsch kämpferisch. Es sei die Aufgabe, "gerade in einer herausfordernden Zeit, noch mehr Präsenz zu zeigen". "Wir werden uns nicht von Antisemiten, egal von welcher Seite, unser jüdisches Leben in Wien bzw. in Österreich irgendwie vergraulen lassen. Wir sind Österreicher, wir leben gerne hier, wir wollen auch voll unser jüdisches Leben hier ausleben."

Die Schulen und Synagogen müssten gesichert werden, das koste auch viel Geld, betonte er, seitens der Exekutive würden an Orten, wo es viele Gemeindemitglieder gibt, vermehrt Streifendienst gefahren. "Wir lassen uns von niemandem einschüchtern."

IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele sagte, erschreckend sei vor allem die "Verrohung" und die physischen Übergriffe, "die immer mehr werden" - und aus dem Kontext, "dass Täter und Täterinnen immer jünger werden und dass die Opfer immer jünger werden"

Regierung kündigt Maßnahmenplan an

Der für den Kampf gegen Antisemitismus zuständige Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Alexander Pröll (ÖVP), kündigte angesichts der Zahlen noch heuer einen neuen Maßnahmenplan an.

Video: Antisemitismus im Netz: KI gegen Propaganda

Zusammenfassung
  • Im Jahr 2024 wurden in Österreich 1.520 antisemitische Vorfälle gemeldet, was einem Anstieg von 32,5 % im Vergleich zu 2023 entspricht.
  • IKG-Präsident Oskar Deutsch betonte die gesellschaftliche Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus und warnte vor einer neuen Realität der Angst.
  • Die Vorfälle umfassen 24 physische Angriffe, 38 Bedrohungen und 216 Fälle von Sachbeschädigung, wobei die Täter zunehmend jünger werden.
  • Die österreichische Regierung plant einen neuen Maßnahmenplan zur Bekämpfung des Antisemitismus, um die jüdischen Gemeinden zu unterstützen.