Wiener Initiative setzt auf Humanismus in Digitalisierung
In ihrem 25. Jahr gastieren die Wiener Vorlesungen erstmals in New York: Im Austrian Cultural Forum, das seit diesem Herbst von Susanne Keppler-Schlesinger geleitet wird, trafen Expertinnen und Experten aus verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen - von der IT über die Kommunikationswissenschaft bis zu Biologie und Kunst - zusammen, um unter der Leitung von Anita Eichinger (Direktorin der Wienbibliothek) und Wolfgang Renner von der "Wiener Zeitung" mit Wiens Kultur- und Wissenschaftsstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) über die Herausforderungen der Digitalisierung und die 2019 von der Stadt Wien ins Leben gerufene Forschungsinitiative zu "Digitalem Humanismus" zu diskutieren.
"Wir haben besonders in Europa zu lange weggeschaut und uns als Opfer der großen Konzerne im Silicon Valley gefühlt. Nun ist es höchst an der Zeit, die Mitgestaltung der Digitalisierung voranzutreiben", so Kaup-Hasler in ihrem Eingangsstatement. Gemeint ist hier unter anderem der Umgang mit jenen Daten, deren Spuren wir mittlerweile kaum noch nachverfolgen können. Für Kaup-Hasler stellt sich dabei die Frage, "was eine Stadt und auch ein Nationalstaat tun kann, um die verlorene Souveränität in der digitalen Welt wieder zu erlangen". 10 Mio. Euro befinden sich im Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds, 320.000 Euro hat die Stadt bisher für neun Forschungsprojekte ausgegeben, die den Menschen in den Mittelpunkt von Digitalisierungsansätzen stellen. Eine weitere Million Euro steht für mehrjährige, größere Forschungsprojekte in dem Bereich zur Verfügung.
Wie wir die Qualität der Information im digitalen Zeitalter - Stichwort "Fake News" - wieder herstellen können, steht etwa für Anya Schiffrin, Direktorin der "School of International and Public Affairs" an der New Yorker Columbia University, im Zentrum der Überlegungen im Bereich des Digitalen Humanismus. "Unser Ziel ist ein gerechter Zugang zu digitaler Information", so die Expertin in Hinblick auf exkludierende Entwicklungen, die dazu führen, dass es in einer sich immer rascher entwickelnden und komplexeren Medienwelt nicht mehr für jeden und jede möglich ist, umfassend informiert zu sein.
"Wir müssen die Kontrolle wieder in die Hände jener bringen, die all die Daten produzieren", ist sich auch der Künstler und MIT-Assistenzprofesser des "Art, Culture and Technology (ACT)"-Programms, Gediminas Urbonas, der Hauptaufgabe der kommenden Jahre bewusst. "Hier hat die Kunst andere Möglichkeiten als das Ingenieurwesen. Die Kunst kann Wissen in die Gesellschaft mit anderen Mitteln einschleusen. Reden wir über künstlerische Intelligenz statt über künstliche Intelligenz", so Urbonas. Auch in den Naturwissenschaften spielen Daten mittlerweile eine große - und geschätzte - Rolle, wie die Biologinnen Claudia Wultsch (City University of New York) und Christine Marizzi (Community Science, BioBus) erläuterten. "Wir produzieren etwa in der Wildtierbeobachtung sehr, sehr viele Daten, die wir anschließend mithilfe von Machine Learning und Künstlicher Intelligenz auswerten", so Wultsch. "Es ist uns aber ein Anliegen, dass wir diese Technologie auch auf die richtige Art verwenden." Als Beispiel nannte sie, dass jeder Algorithmus schließlich auf jenen Daten fußt, mit denen er trainiert wurde.
Mit aus der Bevölkerung - und gemeinsam mit der Bevölkerung - generierten Daten arbeitet Marizzi, die mit ihrem mobilen "BioBus" in Stadtviertel fährt, um jenen Menschen den Zugang zu Wissenschaft zu ermöglichen, die sich sonst davon ausgeschlossen fühlen. Kaup-Hasler unterstrich, dass man auch im Rahmen des Wiener Projekts "Digitaler Humanismus" auf die Bevölkerung zugehen will, um über Wissenschaft zu sprechen und die Skepsis abzubauen. Marizzis in New York realisierte Projekte reichen von Bodenproben bis hin zu Luftmessungen. Das Besondere: Die generierten Daten werden zentral gesammelt und können von allen Beteiligten abgerufen und interpretiert werden. Marizzi griff im Rahmen der Diskussion auch auf den Ursprungsgedanken des Humanismus zurück: "Damals ging es darum, sich von der Vorstellung des Übernatürlichen zu verabschieden und unser Leben als Menschen selbst in die Hand zu nehmen." Die damalige spirituelle Übermacht sei vergleichbar mit jener Übermacht, die nun die großen Digitalkonzerne übernommen haben.
Edward Lee, Professor für Electrical Engineering & Computer Sciences an der University of California, Berkeley, unterstrich für seinen Fachbereich: "Wir müssen erwachsen werden und die Auswirkungen unserer Erfindungen verstehen, statt weiter herumzuspielen. Es muss uns bewusst sein, dass die Entwicklungen die Art und Weise verändern, was Menschen auf welche Weise denken und tun." Schiffrin ortet seit der Informationskrise rund um die US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 eine ähnliche Disruption wie nach der Finanzkrise 2008: "Damals haben sich die Finanzexperten zusammengesetzt und überlegt, wie es dazu kommen konnte und was man in Zukunft besser machen kann. Jetzt sitzen die Journalisten da und versuchen, das Vertrauen wieder zu bekommen."
Umso mehr hält es Kaup-Hasler für notwendig, die interdisziplinäre Forschung von privaten Geldgebern zu trennen und als öffentliche Hand als Förderer für kreative Ansätze aufzutreten. "Das Silicon Valley achtet nicht auf den kreativen Aspekt, sondern auf den finanziellen", sekundierte Lee. "Genau aus diesem Grund haben wir mittlerweile zahlreiche Innovationen, nach denen eigentlich keiner gefragt hat, die aber das gesellschaftliche Leben und die Art und Weise, wie wir kommunizieren, bestimmen."
Eines der Projekte, das in Wien 2019 eingeführt werden sollte, wegen der Pandemie allerdings verschoben wurde und nunmehr 2023 in eine Pilot-Phase gehen soll, ist der "Kulturtoken", mit dem die Stadt mit Kulturangeboten zum CO2-Sparen animieren will. Wer sich ökologisch fortbewegt, soll im Gegenzug gratis Zugang zu Kulturveranstaltungen bekommen. Bereits seit 2018 wird mit dem Hedy-Lamarr-Preis jährlich eine österreichische Wissenschafterin für innovative Leistungen in der IT ausgezeichnet. Denn: "Über 90 Prozent der Beschäftigten im IT-Bereich sind Männer", so Kaup-Hasler. "Allein dieser Umstand zeigt, dass die Bevölkerung in diesem Bereich nicht repräsentiert ist."
Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von IT, Wissenschaft und Kunst soll nun gezielt Wissen generiert und an Lösungsansätzen für digitale Souveränität gearbeitet werden. Die Politik selbst könne schließlich auf Basis dieser Ergebnisse etwa rechtliche Rahmenbedingungen schaffen. "Mir ist klar, dass das ein Kampf von David gegen Goliath ist", räumte Kaup-Hasler in Hinblick auf die scheinbare Allmacht der Tech-Giganten ein. "Aber es gibt sehr viele Davids."
Zusammenfassung
- Wie der Mensch im Digitalisierungszeitalter wieder die Kontrolle über Daten und Information gewinnen kann, war am Donnerstag in New York Thema einer Wiener Vorlesung.
- Kaup-Hasler unterstrich, dass man auch im Rahmen des Wiener Projekts "Digitaler Humanismus" auf die Bevölkerung zugehen will, um über Wissenschaft zu sprechen und die Skepsis abzubauen.
- Marizzis in New York realisierte Projekte reichen von Bodenproben bis hin zu Luftmessungen.