APA/APA/Wiener Festwochen/Thomas Aurin

Wiener Festwochen zeigen Polleschs "ja nichts ist ok"

"Alle gegen alle" hieß das 1983 erschienene Album der Hamburger Punkband Slime. Und wenn der Song "Zu kalt" zu Beginn eines Theaterstücks in voller Lautstärke aus den Lautsprechern bricht, bekommt das Publikum schon mal eine Ahnung, was jetzt kommt. "ja nichts ist ok" heißt René Polleschs letzte Inszenierung, die die Wiener Festwochen nach seinem Tod von der Berliner Volksbühne am 12. Juni gleich zweimal ins Burgtheater holen. Ein grandioses Solo von und mit Fabian Hinrichs.

Es erinnert ein wenig an David Finchers Film "Fight Club", wenn Hinrichs, bekleidet nur mit einer Turnhose, nach einem imaginären Schlag in den Swimmingpool stürzt, sich am eigenen Schopf wieder herauszieht, erneut hineingestoßen wird und sich schließlich selbst blutige Wunden zufügt. Alle gegen alle, oder doch jeder gegen sich selbst? Was auf diese popkulturell aufgeladene Anfangsszene folgt, die bereits zu Beginn das Ende vorwegzunehmen scheint, ist ein 80-minütiger Einblick in eine Wohngemeinschaft von mittelalten Einzelgängern, in der das Zusammenleben zur Zumutung geworden ist. Zwei Männer, eine Frau, Diskussionen über Weltpolitik und Haare in der Dusche.

Mit komödiantischer Ernsthaftigkeit wechselt der deutsche Schauspieler, der mit Pollesch 2022 bereits den Abend "Geht's dir gut?" realisiert hat, zwischen den Figuren hin und her, setzt Brillen auf und ab, wirft sich Pullis über die Schulter oder tritt immer wieder an die Rampe, um das Geschehen auch noch als Erzähler zu kommentieren. Manchmal ist es nur ein "Ja", das das Gegenüber nach der Verwandlung entgegnet, aber Hinrichs nimmt sich Zeit, vollzieht seine Rollenwechsel mit augenzwinkernder Bedachtsamkeit und macht auch schon mal Pause, bis das Publikum mit dem Lachen fertig ist. Inhaltlich gibt es zwischen Positionen zu den Kriegen unserer Zeit, Umweltkatastrophen und zwischenmenschlicher Kälte hingegen wenig zu schmunzeln.

Anna Viebrock hat mit ihrem an die 70er gemahnenden Bungalow, an den sich überdimensionale Steintürme schmiegen, einen durchlässigen Raum geschaffen, der kaum geschützte Rückzugsorte schafft. Hier kann niemand mehr miteinander leben, aber ohneeinander ist es angesichts des prekären Wohnungsmarkts auch nicht mehr möglich. Aber kann es helfen, im Wohnzimmer Wände aus Kartons aufzustellen oder nur mehr mit der KI des Kühlschranks zu kommunizieren? Nicht wirklich.

"Ich hasse das hier ... Ich habe mich satt", tönt es in einer dunklen Szene aus dem Bett. Was den Kühlschrank veranlasst, sich zum Therapeuten aufzuschwingen: "Das Leben ist lebenswert. Da draußen gibt es Hilfe für dich." Doch der nächste Tag kommt bestimmt, und die einzelnen - politischen wie privaten - Positionen verhärten sich, eine rationale Einordnung oder gar Auflösung des Gegenwartschaos rückt in weite Ferne. Mittendrin: Der Einzelne, voller unbeantworteter Fragen, mit der schwindenden Perspektive ringend, auf das radikale Endspiel zusteuernd.

Pollesch und Hinrich haben mit "ja nichts ist ok" einen Theaterabend geschaffen, der weniger von Handlung, denn von Gefühlen bestimmt wird, die von eingespielten Stücken wie Nat King Coles "Autumn leaves" oder Schumanns "Geistervariationen" unterstrichen werden, bevor Pollesch das Publikum dann mit "Miracle of Love" in die Abendluft entlässt. Dort hat man dann in aller Ruhe Zeit, selbst nach Klarheit zu suchen.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - Wiener Festwochen: "ja nichts ist ok" von René Pollesch und Fabian Hinrichs im Burgtheater, Gastspiel der Volksbühne Berlin. 12. Juni, 18.30 Uhr und 21 Uhr. www.festwochen.at)

ribbon Zusammenfassung
  • René Polleschs letzte Inszenierung 'ja nichts ist ok' wird am 12. Juni zweimal im Burgtheater gezeigt. Das Solo von und mit Fabian Hinrichs thematisiert die Schwierigkeiten des Zusammenlebens in einer Wohngemeinschaft von Einzelgängern.
  • Das Stück dauert 80 Minuten und verwendet Musikstücke wie Nat King Coles 'Autumn leaves' und Schumanns 'Geistervariationen', bevor es mit 'Miracle of Love' endet.
  • Anna Viebrock hat das Bühnenbild gestaltet, das an einen 70er-Jahre-Bungalow erinnert und kaum geschützte Rückzugsorte bietet.