Wiener Aktionismus Museum will unverzichtbar werden
Konzett hatte 2022 die u.a. 880 Ölbilder und viele Tausende von Fotos, Grafiken, Skulpturen, Zeichnungen oder Aquarelle umfassende Sammlung Friedrichshof, die in den 1980er-Jahren mit dem Vermögen der am burgenländischen Friedrichshof lebenden Kommune rund um Otto Muehl aufgebaut und nach Kommunenende 1990 in die bis heute bestehende Kooperative eingebracht wurde, mit Partnern gekauft. Einer davon ist Jürgen Boden, der gemeinsam mit Konzett als Geschäftsführer des Neo-Museums fungiert. "Wir wollten diese für die österreichische und internationale Kunstgeschichte bedeutende Sammlung sichern, damit sie nicht zerschlagen wird", sagt Boden im APA-Gespräch über die Hintergründe des Erwerbs. Als man sich näher mit den darin enthaltenen Werken beschäftigte, "haben wir erst die Qualität in diesem Umfang erkannt und gesagt: 'Eigentlich ist es zu schade, sich nur daran zu erfreuen und sie in Lager einzustellen. Diese Sammlung muss an die Öffentlichkeit, muss zugänglich gemacht werden - und wenn nicht in Wien, wo sonst?'"
Der Wiener Aktionismus sei nämlich in der Bundeshauptstadt nicht in entsprechendem Umfang präsent. "Er wird zwar immer wieder mal gezeigt, aber nicht in dieser Stringenz und Vielfalt", meint Boden. Also wurde der Beschluss gefasst, ein Museum einzurichten. Glücklicherweise konnte einer der Partner Räumlichkeiten in der innerstädtischen Weihburggasse 26 zur Verfügung stellen. Diese wurden in den vergangenen Monaten adaptiert. Als Direktorin verpflichtete das Team die 38-jährige deutsche Kuratorin und Kunstwissenschafterin Julia Moebus-Puck, die sich in ihrer bisherigen Arbeit bereits mit Performancekunst und Wiener Aktionismus intensiv beschäftigt hat.
Über zwei Geschoße werden sich ab Mitte März die Ausstellungsflächen erstrecken. Beim APA-Besuch waren einige Werke bereits gehängt, andere lehnten noch an den Wänden. Das Œuvre der frühen Aktionismus-Periode vom Ende der 50er-Jahre bis zum Anfang der 70er-Jahre bildet den Schwerpunkt des WAM und damit auch der Eröffnungsschau, die bis 31. Jänner 2025 zu sehen sein wird. Letztere ist als eine Art Einführung in die Materie angelegt und trägt den Titel "Was ist Wiener Aktionismus?". Auf der kleineren, ebenerdig gelegenen Fläche sollen in vier Stationen die Aktionisten Muehl, Nitsch, Schwarzkogler und Brus mit ausgewählten Hauptwerken vorgestellt werden. Das größere Untergeschoß ist dann als vertiefender Rundgang konzipiert, der thematisch gegliedert ist. Gezeigt werden sollen etwa die Hinwendung der Künstler von der Malerei zur Aktion, die (gesellschafts-)politische Komponente ihres Schaffens oder die Durchführung von Gemeinschaftsaktionen mit anderen Beteiligten - Stichwort: Uni-Ferkelei -, wie die beiden Geschäftsführer erzählen. Herausgearbeitet werden soll nicht zuletzt der Facettenreichtum des Wiener Aktionismus. "Das sind sehr unterschiedliche Künstler. Man kann die Arbeiten zum Beispiel von Nitsch und Brus ja kaum vergleichen, aber sie haben an einem Strang gezogen. Und wenn man genau hinschaut, gibt es auch Verbindungen und gegenseitige Beeinflussungen", erklärt Konzett.
Am Ende des Eröffnungsparcours wird das Publikum wieder ins Erdgeschoß und in den "Exzess-Raum", wie Konzett ihn nennt, geleitet, um dort mit Günter Brus' "Zerreißprobe" von 1970 konfrontiert zu werden. Ein Filmdokument seiner radikalsten und zugleich letzten Aktion werde lebensgroß und mit Ton zu sehen sein. "Die Leute werden teils verwirrt und verstört rausgehen, aber sie werden monatelang daran denken und merken, wie das arbeitet", hofft Konzett. Gestaltet wird die Ausstellung von WAM-Chefkuratorin Eva Badura-Triska, die sich zuvor schon im mumok mit dem Wiener Aktionismus federführend auseinandergesetzt hat. Eine Lounge mit Sitzmöbeln und einschlägigen Büchern zum Schmökern wird es ebenfalls geben. Zudem geplant sind ein eigener Kinoraum und Räume für Kunstvermittlung und Workshops, wobei sich deren Fertigstellung bis zum Eröffnungstermin nicht ausgehen werde, hieß es. Auf einen Gastrobereich verzichtet das WAM indes.
Geht es nach Konzett, kann man die Bedeutung des Wiener Aktionismus gar nicht überschätzen. Dieser habe hierzulande "als einzige Kunstrichtung" nach dem Zweiten Weltkrieg unmittelbar an die Wiener Moderne um 1900 - an Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Kokoschka und Richard Gerstl - angeknüpft, findet der Galerist: "Es geht um den Körper, die Psyche, das Tabu." Die Aktionisten seien außerdem zu einer Zeit tätig gewesen, "in der Kunst so einen Stellenwert hatte, dass sie direkt in die Gesellschaft eingegriffen hat", verweist der Museumsinitiator auch auf die Musik und Popkultur der 60er. Allerdings sahen sich Muehl, Brus und Co. nicht als Teil der Happening-Bewegung oder der Pop-Art. "Sie wollten Klassiker sein. Man wollte nicht in die Gesellschaft, man war ja gegen die Gesellschaft. Dadurch sind sie auch ins Extreme gegangen, um zu signalisieren: Wir wollen nicht so sein wie ihr", so Konzett. Der Galerist berichtet auch von der beachtlichen internationalen Rezeption dieser Kunstrichtung mit ihrer kontroversiellen, schmerzhaft-intensiven Auseinandersetzung mit Gewalt, Tod und Sexualität. So sei Muehl etwa im Louvre neben Marcel Duchamp, Yves Klein und Pablo Picasso gezeigt worden, die Tate Modern in London habe für die Aktionisten extra Mark Rothko abgehängt. Auch der jungen Künstlergeneration attestiert Konzett "enormes Interesse" am Wiener Aktionismus.
Wie aber geht das WAM mit den hochproblematischen Hintergründen einzelner Künstler um - etwa mit der Tatsache, dass der 2013 verstorbene Muehl in seiner Kommune zunehmend als Despot agierte und 1991 wegen Sittlichkeitsdelikten bis hin zur Vergewaltigung und Verstößen gegen das Suchtgiftgesetz zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde? "Wir wollen auf problematische Biografien hinweisen, aber wir sind keine moralische Institution", betont Konzett. Man wolle "nichts reinwaschen", ergänzt Boden. "Es ist uns wichtig zu sagen: Es gibt problematische Biografien. Es gibt Leute, die haben sich daneben benommen, sind bestraft worden, sind auch im Gefängnis gesessen. Aber unsere Aufgabe ist es nicht zu befinden, ob der Mensch gut oder schlecht war", meint er im Hinblick auf eine "Trennung zwischen der Qualität eines Kunstwerks und der moralischen Position eines Künstlers".
Was das Museum selbst angeht, soll dieses "langfristig angelegt" sein, versichert Boden: "Wir haben uns darauf verständigt, dass nichts davon (von der Sammlung, Anm.) verkauft wird." Der Ausstellungsbetrieb soll aber nicht nur aus dem Friedrichshof-Bestand gespeist werden, sondern auch aus den Schätzen der beteiligten Sammler und kooperierenden Museen. So würden in der Eröffnungsschau beispielsweise auch einige Leihgaben des mumok präsentiert, kündigt Konzett an. Gespräche über eine Zusammenarbeit etwa mit dem Dom Museum, der Nitsch Foundation oder dem Filmmuseum - hier über ein cineastisches Begleitprogramm - seien am Laufen. Das Jahresbudget des WAM liegt bei 700.000 Euro, wobei das Geld nicht nur von den Partnern, sondern auch von Unterstützern kommt. Die Eintrittsgelder sollen jedenfalls nur einen überschaubaren Beitrag leisten, liegt doch der Ticketpreis bei - im Vergleich mit anderen Museen - recht günstigen 7 Euro. Um öffentliche Förderungen hat man bis dato noch nicht angesucht - und solche werde man gegebenenfalls sowieso nur "ohne Bedingungen" annehmen, sagt Konzett, "weil der Aktionismus schon sehr heikel ist". "Wir wissen ja nicht, welche Regierung wir (nach der Nationalratswahl, Anm.) bekommen. Kann also sein, dass wir überhaupt ohne auskommen müssen, weil wir als Private die Freiheit der Kunst verteidigen wollen bis zum Letzten."
(Das Gespräch führte Thomas Rieder/APA)
(S E R V I C E - https://wieneraktionismus.at/)
Zusammenfassung
- Galerist Philipp Konzett legt die Latte für das Wiener Aktionismus Museum (WAM), das er mit seinen Mitstreitern am 15. März eröffnet, durchaus hoch.
- So sei Muehl etwa im Louvre neben Marcel Duchamp, Yves Klein und Pablo Picasso gezeigt worden, die Tate Modern in London habe für die Aktionisten extra Mark Rothko abgehängt.
- Auch der jungen Künstlergeneration attestiert Konzett "enormes Interesse" am Wiener Aktionismus.