West-Eastern Divan Orchestra auf Friedensmission in Salzburg
Immer wieder schließt sich für Daniel Barenboim ein Kreis, wenn er in Salzburg zu Gast ist. Schon mit fünf Jahren erhielt er in seinem Geburtsort Buenos Aires Klavierunterricht, mit sieben gab er sein erstes öffentliches Konzert. Mit elf Jahren kam Barenboim im Rahmen eines Ausbildungsprogramms nach Salzburg und lernte im Sommer 1954 Wilhelm Furtwängler kennen, der später über den hochbegabten Buben schrieb: "Der elfjährige Daniel Barenboim ist ein Phänomen."
70 Jahre ist das her, Barenboim ist mittlerweile 81 Jahre alt. Als Sohn jüdischer Eltern kam Barenboim bald mit dem seit Jahrzehnten schwelenden und immer aufs Neue ausbrechenden Nahost-Konflikt in Berührung. Kurz vor seiner Reise nach Salzburg zog er 1952 mit seinen Eltern aus Argentinien zurück nach Israel. Das West-Eastern Divan Orchestra entstand 1999 aus einem Workshop für israelische und arabische Musiker, den Barenboim gemeinsam mit dem palästinensischen Literaten Edward Said in Weimar veranstaltete. Said verstarb vier Jahre später, Barenboim hielt das Projekt am Leben.
25 Jahre später war Barenboim nun mit seinem Orchester zu Gast bei den Salzburger Festspielen. Die aktuelle Tournee hatte zuvor schon nach Bremen, Berlin, zu den BBC Proms nach London und vor wenigen Tagen zum Rheingau Festival ins Wiesbadener Kulturhaus geführt. Wie schon in Wiesbaden spielte auch in Salzburg die renommierte deutsche Violinistin Anne-Sophie Mutter als Solistin. Und wie bei den Auftritten zuvor dirigierte Barenboim auch am Donnerstag im Sitzen - nach langer, schwerer Krankheit ein Kraftakt.
So wie die Zeit Daniel Barenboim sichtlich gezeichnet hat, so setzte sie auch den letzten und krönenden Pinselstrich an seiner musikalischen Autorität. Er führte das Orchester mit phasenweise kaum wahrnehmbaren Handbewegungen und wirkte in dieser erhabenen Ruhe wie der vorderste Zuhörer des Publikums, der zufrieden auf eines der größten Werke seines Lebens blickt. Das durchwegs junge Orchester schien sich um ihn zu scharen wie Enkel um ihren Großvater, der viel vom Leben zu erzählen hat. Und wie schon in den 25 Jahren zuvor verstanden sich Barenboim und seine musikalische Familie im Großen Festspielhaus ohne große Gesten.
Das prominente Programm mit Stücken von Brahms, Bach, Schubert und Mendelssohn verkam schon fast zum Nebenschauplatz. Bis zur Pause dominierte Anne-Sophie Mutter virtuos das Geschehen und schritt mit energischem, mitunter schrillem, stets aber wohltemperiertem Ton voran. Kurz bevor sie dem Orchester die Bühne für den zweiten Teil überließ, richtete Mutter mit ruhigen Worten einen emotionalen Appell ans Publikum und forderte dazu auf, "unsere Gedanken und Hoffnung zu vereinen" für einen "baldigen und langfristigen Frieden".
Nach der Pause trat das Orchester aus dem Schatten seiner einnehmenden Solistin, wurde lebhafter und ausdrucksstärker. Das mag auch am Schwung der "Großen C-Dur-Symphonie" von Franz Schubert gelegen haben, die weite Strecken des zweiten Teils ausfüllte. Und doch lag über diesem Abend ein dumpfes Gefühl von Ohnmacht. Die Ohnmacht des idealistischen Versuchs, mit Musik in diesem geopolitischen Konflikt etwas auszurichten, bei dem es für Millionen tagtäglich um Leben und Tod geht. Und auch die Ohnmacht eines gebrechlich wirkenden Daniel Barenboim, der mehr als ein Viertel seines Lebens der Völkerverständigung in Nahost widmete und nun mitansehen muss, wie die Region, zu deren Einigung er beitragen wollte, in einer Spirale der Gewalt versinkt.
Ein eindrückliches Plädoyer für den Frieden war der Abend dennoch. Minutenlang stand der ganze Opernsaal und spendete tosenden Beifall, nachdem die finalen Töne des vorletzten Stücks verklungen waren. Nach dem abschließenden kurzen Scherzo erhob sich das Publikum erneut. Fünfmal musste Daniel Barenboim auf die Bühne zurückkommen, bis die Ovationen abebbten. Er legte sich die Hand aufs Herz, neigte den Kopf und war sichtlich ergriffen. Es war eine Ehrerbietung für ein der Kunst gewidmetes Leben - und für ein Lebenswerk, das den Frieden zu seiner letzten großen Mission machte.
West und Ost bleiben auf jedem Kompass der Welt Gegenpole. Das hat sich auch an diesem Donnerstagabend im Großen Festspielhaus nicht geändert. Und doch war dieses Konzert mehr als ein gut gemeintes Symbol. In 25 Jahren und diesen zwei Stunden hat Barenboim mit seinem Divan Orchestra gezeigt, dass sich das vermeintliche Naturgesetz des Gegeneinanders beider Himmelsrichtungen überwinden lässt - im Kleinen wie im Großen. Oder, um es in den Worten von Anne-Sophie Mutter zu sagen: "Wir sind alle Schwestern und Brüder - und werden es auch in Zukunft wieder sein."
(Von Simeon Koch/APA)
(S E R V I C E - West-Eastern Divan Orchestra mit Daniel Barenboim im Rahmen der Salzburger Festspiele im Großen Festspielhaus, Salzburg. Violine: Anne-Sophie Mutter. Dirigent: Daniel Barenboim. Programm: Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 (Johannes Brahms), Sarabande aus der Partita für Violine Nr. 2 d-Moll BWV 1004 (Johann Sebastian Bach) - PAUSE - Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944, "Große C-Dur-Symphonie" (Franz Schubert), Scherzo aus: Ein Sommernachtstraum op. 61 (Felix Mendelssohn). https://www.salzburgerfestspiele.at/p/west-eastern-divan-orchestra-barenboim-2024)
Zusammenfassung
- Das West-Eastern Divan Orchestra, das sich seit 25 Jahren um Völkerverständigung bemüht, trat am Donnerstagabend im Großen Festspielhaus in Salzburg auf.
- Das Konzert war eine Ehrerbietung für den 81-jährigen Dirigenten Daniel Barenboim, der trotz schwerer Krankheit im Sitzen dirigierte.
- Anne-Sophie Mutter spielte als Solistin und richtete einen emotionalen Appell für Frieden an das Publikum.
- Das Konzertprogramm umfasste Werke von Brahms, Bach, Schubert und Mendelssohn.
- Das Publikum ehrte Barenboim und das Orchester mit minutenlangem Beifall und zeigte damit die Anerkennung für das Lebenswerk des Dirigenten.