APA/Wolfgang Huber-Lang

Von Teheran nach Wien: "Das Ende ist nah" von Amir Gudarzi

Ein Theaterautor versucht vergeblich, mit seinen Stücken an den großen Bühnen Fuß zu fassen. Doch kaum ist sein erster Roman angekündigt, versuchen einige Theater, sich die Dramatisierungsrechte zu sichern. "Wie absurd ist das denn?", lacht Amir Gudarzi. Genau das ist ihm mit seinem Debütroman "Das Ende ist nah" passiert. Doch das Ende fängt gut an: Das Buch, das am Mittwoch in der Alten Schmiede präsentiert wird, wurde im September auf Platz zwei der ORF-Bestenliste gewählt.

Schon in seiner Kindheit hat Gudarzi, der 1986 in Teheran geboren wurde, eine Liebe für das Theater entwickelt. Ursprünglich wollte er Schauspieler werden, dann studierte er Szenisches Schreiben in Teheran. "Theater ist für mich ein Diskursraum", sagt er im Gespräch mit der APA. "Jeder Abend gibt mir die Chance, Menschen im Publikum zu verändern." Mittlerweile hat er eine Reihe von Stücken geschrieben. Warum legt der Dramatiker nun einen Roman vor? "Als mir die Idee kam, kam damit auch die Gattung auf. Aber ich muss sagen: Ein Theaterstück wäre weniger Arbeit gewesen." Weniger die nun über 400-seitige Geschichte, als der immer wieder von krankheitsbedingten Pausen unterbrochene Schreibprozess, sei die Herausforderung gewesen, meint der Autor. Dann den Faden immer wieder aufzunehmen, sei nicht immer einfach gewesen.

Einfach macht es Gudarzi freilich auch seinen Leserinnen und Lesern nicht. Die simple und wohl auch nahe liegende Lesart von "Das Ende ist nah" wäre nämlich, den Roman rein autobiografisch zu lesen. In der Gegenwart des Ich-Erzählers geht es um die bitteren Erfahrungen eines jungen iranischen Asylwerbers in Österreich, der von den Behörden schikaniert und von der Bevölkerung mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert wird und in Traiskirchen gegen andere Flüchtlinge einen wahren Überlebenskampf zu bestreiten hat. Der engagierten Aktivistin Sarah, einer in Wien lebenden Deutschen, und der sich allmählich entwickelnden, schwierigen Beziehung zu dem Iraner, ist eine zweite Erzählebene gewidmet. Und es gibt eine in der dritten Person erzählte Rückblickebene, in der geschildert wird, wie Protagonist A. unter schwierigen, stets von Gewalt begleiteten Bedingungen im Iran aufwächst und später an den vom islamischen Regime mit brutaler Verfolgung beantworteten Straßenprotesten teilnimmt.

"Meine ursprüngliche Idee hatte fünf Ebenen", erzählt Gudarzi. Er habe Mythologie und Märchen Raum geben wollen wie der NS-Zeit in Österreich, zu der er bereits viel recherchiert habe. Auf Anraten der Autorin Julia Franck, die sich am Literarischen Colloquium Berlin sehr für sein Romanprojekt interessiert habe, habe er diese zwei Ebenen schließlich jedoch weggelassen. Man hat den Eindruck, dass Gudarzi diese Entscheidung noch immer ein wenig bedauert, denn, so wird auch im Buch deutlich, den Roman nur als Fluchtgeschichte zu lesen, ist eine Verkürzung. "Die Parallelen zu meiner eigenen Geschichte sind beabsichtigt, sind aber gleichzeitig eine Falle, die ich gestellt habe", schmunzelt Gudarzi.

In "Das Ende ist nah" sei es ihm etwa darum gegangen, eine Sprache für Gewalt zu finden, die ansonsten meist stumm erlebt werde oder sprachlos mache. Andererseits gehe es ihm um Aufzeigen von strukturellen Parallelen. "Es gibt zwei Ebenen von Gewalt, eine horizontale und eine vertikale. Das iranische Regime ist nicht zu trennen von der iranischen Gesellschaft. Gesellschaft und Regime darf man nicht trennen, genauso wie der Nationalsozialismus nicht aus dem Nichts in Österreich aufgetaucht ist." Das sei ihm mit der Zeit immer klarer geworden, sagt der Autor, der hier Theater-, Film- und Medienwissenschaft studierte. "Mein Studium im Iran ist nicht anerkannt worden."

Amir Gudarzi ist heute österreichischer Autor. "Ich habe nur ein Zuhause, und das ist Wien!" Die Staatsbürgerschaft hat er seit 2017, und anders als jene, die sie qua Geburt besitzen, habe er sie sich hart erkämpft, schildert er. "Deswegen interessiere ich mich sehr dafür, was hier politisch passiert und nehme aktiv Anteil am Geschehen. Ich habe erlebt, wie schnell etwas kippen kann. Meine Sensoren dafür sind deshalb stärker ausgebildet als bei anderen Menschen." Natürlich verfolgt er auch die aktuellen Proteste im Iran, in denen westliche Beobachter viele Parallelen zu damals erkennen. "Proteste hat es schon 1999 gegeben, dann 2009, seither immer wieder. Die Abstände zwischen den Protesten werden immer kürzer. Das iranische Regime ist definitiv mit einem Bein im Grab. Vieles kann man nicht mehr rückgängig machen. Heute tragen viele Frauen keinen Schleier mehr. Das Regime wird sich auflösen - da bin ich optimistisch."

Optimistisch darf Amir Gudarzi auch für seine eigene Karriere sein. Nach einer langen, strapazreichen Phase des Ankommens, Wurzelschlagens und akzeptiert Werdens, von der sein Roman wohl einen guten Eindruck vermittelt, ermöglichten erste Stipendien, der Förderungspreis für Literatur der Stadt Wien, der exil-DramatikerInnenpreis, der Kleist-Förderpreis und der Christian-Dietrich-Grabbe-Preis, dass er in dem ihm angestrebten Beruf als Dramatiker Fuß fassen konnte. "Meine Geschichte ist aber mehr eine der Durststrecken zwischen den punktuellen Erfolgen", bilanziert er nüchtern. Doch in dieser Saison ist er nicht nur Hausautor am Nationaltheater Mannheim, sondern hat in Münster, Aachen, Mannheim und Detmold gleich vier Uraufführungen in Deutschland. In Österreich, wo 2018 sein Text "Arash // Heimkehrer" am Theater Drachengasse und 2020 sein "Geleemann" am Werk X in Wien zu sehen war, wird im Mai ein Kurzstück im Schauspielhaus Wien gespielt - als Teil des Projekts "Im Glashäusl", an dem auch Gerhild Steinbuch, Thomas Köck, Robert Woelfl und Lisa Wentz beteiligt sind. Im Gegensatz zu Deutschland habe er zu großen heimischen Bühnen hierzulande überhaupt keinen Kontakt, die hätten wohl mehr Interesse an Romandramatisierungen, sagt Amir Gurdazi und erweist sich mit seiner Schlussfolgerung als echter Österreicher: "Der Prophet gilt nichts im eigenen Land."

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Amir Gudarzi: "Das Ende ist nah", dtv, 416 Seiten, 25,70 Euro, Lesung am 13.9., 20.15 Uhr, in der Alten Schmiede, Wien 1, Schönlaterngasse 9)

ribbon Zusammenfassung
  • Ein Theaterautor versucht vergeblich, mit seinen Stücken an den großen Bühnen Fuß zu fassen.
  • Doch kaum ist sein erster Roman angekündigt, versuchen einige Theater, sich die Dramatisierungsrechte zu sichern.
  • Die simple und wohl auch nahe liegende Lesart von "Das Ende ist nah" wäre nämlich, den Roman rein autobiografisch zu lesen.
  • Das iranische Regime ist nicht zu trennen von der iranischen Gesellschaft.