VALIE EXPORT zeigt in Bregenz Antikriegsinstallation
Wenn über 600 Neonröhren im ganzen Gebäude durch LED ersetzt werden, hätten andere Ausstellungshäuser vielleicht ein "Wegen Umbaus geschlossen"-Schild an die Tür gehängt, nicht so das Kunsthaus Bregenz. "Wir wollten unter keinen Umständen zusperren, wir wollten unbedingt aktiv bleiben", so KUB-Direktor Thomas D. Trummer. Gerade in der jetzigen Zeit wolle man Kunst zeigen, die relevant sei, die dränge. Nun hängen im Erdgeschoß ausrangierte Orgelpfeifen von der Decke, Marschflugkörpern gleich, die jeden Moment herabfallen können. Einige sind auf einem Gestell wie zu einer "Stalinorgel" arrangiert. VALIE EXPORT, 82-jährige Grande Dame der feministischen Kunst, hat sie bei der Gestaltung der neuen Orgel in der Linzer Pöstlingbergkirche, einer Marienwallfahrtskirche, "erobert". Die Idee zur Zusammenarbeit sei bei einem Treffen mit Trummer entstanden, so die Künstlerin am Donnerstag bei einer Presseführung. Die Orgel habe sie schon als Kind begeistert.
Als Besucher wandert man zwischen den nach unten zeigenden, spitzen Metallröhren umher wie "Maria durch ein' Dornwald ging". Fast beklemmend wird es, wenn dazu der 1961 komponierte, namensgebende Song "Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me" von Charles Mingus erklingt. Das Lied beeindruckte VALIE EXPORT damals sehr, sie habe es immer schon einmal als "Musikbild" zeigen und aufführen lassen wollen. Sie habe sich nun sehr rasch dazu entschieden, "weil die Zeit sehr drastisch dafür spricht". Die Situation sei sehr ernst, es gebe Drohungen von beiden Seiten, sagte EXPORT in Hinblick auf den Ukrainekrieg. "Es wäre tragisch, wenn wir denken müssten, dass der Planet so zerstört würde", so die Künstlerin, offenbar in Richtung atomare Bedrohung.
Der zeitweise in Vorarlberg lebende Jazzmusiker Peter Madsen, der jahrelang mit Mingus spielte, arrangierte das Stück neu mit Freunden, darunter Sänger George Nussbaumer. So erklingen in dem Stück nun auch Orgelpfeifen, deren Luftritzen nicht umsonst "Lippen" genannt werden. Pfeifen, die in Linz noch die Muttergottes verherrlichten und jubilierten, jammern, heulen und zischen nun in Kriegsangst und -klage in Bregenz. Das kontrovers diskutierte "Manifest für den Frieden", zu dessen Erstunterzeichnenden VALIE EXPORT gehörte, würde diese heute nicht mehr unterschreiben. Erst sei es aufgrund ihrer Bekanntschaft mit Alice Schwarzer "selbstverständlich" gewesen, das Manifest zu unterstützen, nun schien die Künstlerin das zu bereuen. Denn das Manifest "wurde und wird missbraucht", so VALIE EXPORT auf Nachfrage. "Ich habe mir vorgenommen, keine Manifeste mehr zu unterzeichnen, weil die politisch anders ausgewertet werden", so die Künstlerin, damit sei zum Thema "alles gesagt".
Die sechswöchige Umbauzeit will das KUB außerdem zu einer gesellschaftspolitischen Themenwoche nutzen. "In Zeiten des Umbruchs und vieler Unsicherheiten" soll das KUB unter dem Titel "MUT ANGST ARMUT FRIEDE" in Kooperation mit Partnerorganisationen zum Begegnungs- und Gesprächsraum werden. Die Künstlerin Christine Lederer entwarf dafür im ersten Obergeschoß ein Setting, umrahmt von Arbeiten, die die während der vergangenen Jahre geläufige Vokabeln bildlich darstellen. So ist bei ihr ein Regal "am Kippen" und wird "abgefedert", Bücher sind "schwarzgemalt" und zerbrochenes Porzellan zeigt Beziehungen an, die nur vielleicht wieder gekittet werden können.
(S E R V I C E - Ausstellung "Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me" von VALIE EXPORT von 4. März bis 10. April 2023; Eröffnung am 3. März, 19 Uhr; www.kunsthaus-bregenz.at)
Zusammenfassung
- Aktions- und Medienkunstpionierin VALIE EXPORT gibt im Kunsthaus Bregenz (KUB) der Angst vor dem Krieg eine Stimme.
- Während eines KUB-Umbaus zeigt sie im Erdgeschoß bis 10. April die multimediale Tonskulptur "Oh Lord, Don't Let Them Drop That Atomic Bomb on Me", für die sie Orgelpfeifen aus einer Linzer Wallfahrtskirche verwendete.
- Denn das Manifest "wurde und wird missbraucht", so VALIE EXPORT auf Nachfrage.