Evelyn T ProzessPULS 24

Schuldspruch für Evelyn T.

IS-Heimkehrerin: "Wollte nicht, dass mein Kind so aufwächst"

09. Apr. 2025 · Lesedauer 9 min

Vor mehr als zehn Jahren reiste die Wienerin Evelyn T. nach Syrien, um sich der IS-Terrormiliz anzuschließen. Am Mittwoch wurde sie dafür nicht rechtskräftig zu zwei Jahren bedingter Haft verurteilt. Vor Gericht schilderte sie vor großem Medieninteresse, wie es so weit kommen konnte. Es ist der erste Prozess dieser Art in Österreich.

Die kleine Frau mit den dunklen Haaren und Brille sieht unscheinbar aus, als sie den Verhandlungssaal betritt, wären da nicht die Handschellen und vier schwer bewaffneten sowie vermummten Justizwachen, die sie begleiten. 

Die langen Haare streicht sich Evelyn T. auf leise Anweisung ihrer Anwältin Anna Mair auf den Rücken. Kopftuch trägt sie keines, auch wenn sie sich am Mittwoch vor einem Schöffengericht wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verantworten muss. Am Ende wird sie zu zwei Jahren bedingter Haft, Psychotherapie und Teilnahme an einem Deradikalisierungsprogramm verurteilt.

Zuerst begibt man sich am Straflandesgericht Wien aber auf eine "Zeitreise", schließlich liegt die Tat von Evelyn T. mehr als zehn Jahre zurück. 2016 reiste Evelyn T. ihrem Mann ins syrische Al-Raqqa hinterher, in die damalige Hochburg der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).

"Vor uns sitzt eigentlich nicht eine 26-jährige Frau, sondern eine 17-jährige Jugendliche", plädiert Verteidigerin Anna Mair. Als mittlerweile 26-Jährige bekennt Evelyn T. sich gleich zu Beginn der Verhandlung "schuldig", dann wird aus der jungen Frau aber wieder eine 14-Jährige, die schildert, wie sie sich radikalisierte.

Radikalisierte Freundesgruppe

Evelyn T. skizziert ein eigentlich ganz normales Leben: Beide Eltern sind österreichische Staatsbürger, die Mutter gebürtige Chilenin, der Vater Türke. Religion habe nie eine große Rolle gespielt, islamische Feiertage seien nicht gefeiert worden, Weihnachten und Ostern aber schon. Als Teenagerin habe sie sich "anders" und "komisch" gefühlt. "Ich hatte keine Zukunftsvorstellungen".

Über ihre Cousine dringt sie tiefer in den Islam ein, rutscht bald in eine Freundesgruppe, die nach strengen Religionsvorschriften lebt. Das heißt: Vollverschleierung, nicht alleine raus als Frau und den "Blick nicht nach oben richten".

"Das wollten Sie als 14 bzw. 15-jähriges Mädchen?", hakt der Richter skeptisch nach. "Es war komisch am Anfang, aber ich war so drin, dass ich das alles geglaubt hab", antwortet die Angeklagte schlicht. "Meine Freunde waren für mich damals meine Familie."

Islamische Heirat

Über jene Freunde lernt sie auch ihren späteren Ehemann kennen, er ist zehn Jahre älter, charmant und gut aussehend. Er habe ihr gesagt, wenn sie ihn heirate, dann müsse sie sich "keine Sorgen" um ihre Zukunft machen. Versprach ihr etwa auch ein Pferd, da er wusste, dass sie Tiere mochte.

Und er schwärmt, wie viele in der Freundesgruppe, vom IS und dem "sehr schönen Leben" in Syrien. Dass die Terrororganisation schon damals Menschen verbrannt und enthauptet hat, sei in der Freundesgruppe heruntergespielt worden, die Medien würden den Islam "immer nur schlecht darstellen" wollen, so Evelyn T.

Sie spricht klar und deutlich, auch über den Baulärm, der periodisch in den Saal dringt, ist sie gut zu hören.

Nach nur zwei Monaten heiraten die beiden islamisch, prompt soll der "Traum" vom Leben in Syrien zur Realität werden. "Du bist hier eingesperrt", habe ihr Mann Evelyn T. gesagt und sie schließlich überzeugt, dass sie nach Syrien ausreisen müssten. "Er war für mich die wichtigste Bezugsperson in meinem Leben zu dieser Zeit", rechtfertigt sich die Angeklagte.

Gescheiterte Ausreisen

Ihr Mann reist kurz nach der Eheschließung nach Syrien und kämpft dort ab 2015 für den IS. Evelyn T. startet zwei Anläufe, um ihm zu folgen. Erst über einen fingierten Verwandtschaftsbesuch in der Türkei, dann mithilfe des Reisepasses ihrer Schwester. Doch sie scheitert. Nach dem zweiten Versuch landet sie für zwei Wochen in Österreich in U-Haft.

Das sei ein "Schlag ins Gesicht" gewesen. "Ich hab so eine Wut gegen ihn gehabt, weil er der Grund war, dass ich da bin", stellt sich die damals 16-Jährige erstmals gegen ihren Mann. Einen Monat lang reagiert sie nicht auf seine Nachrichten, lernt stattdessen nicht-muslimische Freunde kennen, besucht AMS-Kurse und versucht, "ein bisschen mehr zu leben".

Nach Drängen ihrer radikalisierten Freundesgruppe nimmt sie wieder Kontakt zu ihrem Mann auf. Und macht sich schließlich ein drittes und letztes Mal nach Syrien auf. "Du wirst jetzt kommen", habe ihr Mann ihr gesagt. Und Evelyn T. folgte seiner Forderung. Sie sei schließlich "immer noch in diesem radikalen Glauben drin" und streng gläubige Muslima gewesen. "Da ist ein Mann für eine Frau das Gesetz."

Leben in Syrien wie "ein Gefängnis"

Mit dem Zug ging es dann nach Griechenland, Schlepper brachten sie in die Türkei. Einer der Schlepper habe zu ihr gesagt: "Ich habe viele Leute über die Grenze gebracht, aber noch nie so ein junges Mädchen." Er habe eine Tochter in ihrem Alter gehabt, ging mit Evelyn T. in türkische Lokale und habe gefragt: "Willst du so ein Leben wegschmeißen?"

"Da ist mir bewusst geworden, dass ich ein schönes Leben hätte führen können", sagt Evelyn T. Doch da war es zu spät. Sie wird nach Istanbul gebracht, ihre Schwägerin und der Cousin ihres Mannes warten dort. Als sie ihrem Schlepper-Kontakt schreibt, wird ihr das Handy abgenommen. Ihre angeheiratete Familie redet ihr ein, ihre Gedanken an eine Rückkehr kämen "vom Teufel". Und so reist sie mit ihnen nach Al-Raqqa, die IS-Hochburg in Syrien.

"Von da an war es ein Gefängnis", erzählt Evelyn T. Ihr Mann, der sich gerade von einer Schussverletzung erholt, sperrt sie in der gemeinsamen Wohnung ein. Die "Liebesblase" zerplatzt, als ihr Mann ihr droht, sie bei einer Art IS-Geheimpolizei anzuzeigen.

"Er war wie ein komplett anderer Mensch", erinnert sich Evelyn T. Außer ein wenig am Handy zu spielen – Internet war verboten – und Wäsche zu waschen, habe sie nichts zu tun gehabt. Die Vorhänge mussten geschlossen bleiben, aus dem Fenster durfte sie nicht schauen.

Geburt des Sohnes als "Wecker"

Dann wurde sie schwanger. Hier stockt die Stimme von Evelyn T. zum ersten Mal. Als sie wieder zu reden beginnt, bricht sie immer wieder ab, weil sie weint. "Das war für mich dann wie ein Wecker, als wär' diese ganze Blase, in der ich die ganze Zeit war, geplatzt. Will ich dieses Leben für mein Kind?", erzählt sie stockend. "Ich wollte nicht, dass mein Kind so aufwächst."

Täglich habe sie auf ihren Mann eingeredet, er sei ihr "größter Feind" gewesen. Schließlich hatte sie ihn so weit: Nach der Geburt des Sohnes im Mai 2017 stimmt er zu, mit ihr zu fliehen. Die Familie ergibt sich nach einer komplizierten Fahrt mit Schleppern den alliierten Kräften der Freien Syrischen Armee (FSA). Ihr Mann wird in den Irak überstellt, sie selbst kommt schließlich in das Gefangenenlager Al-Roj.

Von einem Gefängnis ins nächste, merkt Verteidigerin Mair an. Das Camp ist überfüllt, jeder Tag ein "Überlebenskampf", teils kommt es zwischen IS-Anhängern und Abtrünnigen zu Handgreiflichkeiten.

Davon trage Evelyn T. noch immer Narben an der Hand, man habe sie als "Verräterin" gesehen, denn sie habe sich "sofort" vom IS losgesagt. So groß sei ihr Hass gewesen "gegen diese Menschen, die man gar nicht mehr als Menschen beschreiben kann".

"Habe meine Mutter gebraucht"

Auch die medizinische Versorgung ist schlecht, ihr Sohn sei anfangs sehr krank gewesen. Der Arzt gab ihm ein Medikament und habe gesagt: "Du musst hoffen, dass er am Leben bleibt."

Evelyn T. habe "ihre Mutter gebraucht", schildert sie. Mit ihrer Familie hat sie dank eines verbotenen Handys wieder öfter Kontakt, ihre Mutter kommt sie sogar zweimal besuchen. "Obwohl ich meiner Mutter so viel angetan habe, ist sie für mich nach Syrien gekommen und hat sich in Gefahr gebracht", schluchzt Evelyn T. Sie sei der Halt gewesen, "der mir gezeigt hat, dass ich mich wirklich bessern kann."

Video: IS-Rückkehrerin: Mutter im Interview

Rückholung im März

Fast acht Jahre harrt Evelyn T. in dem Gefangenenlager aus. Am 1. März 2025 wird sie schließlich nach Österreich zurückgeholt. Ihr Sohn ist bei der MA 11 untergebracht.

"Es tut mir wirklich leid, was ich getan habe. Fast neun Jahre war mein Leben auf Pause und ich habe Lebenserfahrungen gemacht, die ich keinem Menschen auf dieser Welt wünsche", bekräftigte sie in ihrem Schlussplädoyer.

"Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen, aber ich werde alles tun, um es in der Zukunft besser zu machen und diese zweite Chance zu nützen und ein normales Leben zu führen und eine gute Mutter für mein Kind zu sein." Sie habe sich zu "100 Prozent von all diesen Sachen distanziert", betont sie.

Schuldspruch

Der Staatsanwalt sieht ihre Angaben als "sehr glaubwürdig" an, sieht aber schon "eine sehr starke Radikalisierung" der damaligen Jugendlichen. "Es wäre mir ein bisschen zu einfach zu sagen, das war jetzt nur der Gatte". Der lange Aufenthalt in Al-Roj, ihr junges Alter und das umfassende Geständnis seien allerdings "strafmildernd".

Verteidigerin Mair fügt dem hinzu, dass der IS heutzutage mit seinem Anwerben von Anhängern via Social Media weitaus gefährlicher sei als damals, schließlich habe er nun "kein Staatsgebiet mehr". Evelyn T. sei gefährlich gewesen, "aber nie für Österreich".

Schließlich wird sie nicht rechtskräftig zu zwei Jahren bedingter Haft verurteilt. Sie müsse aber weiterhin die Beratungsstelle Extremismus und die Bewährungshilfe Neustart in Anspruch nehmen.

Am Ende verlässt eine junge Frau mit roten Augen und sichtlich erleichtert den Saal ohne Handschellen. Sie freue sich auf ein "langweiliges Leben".

Zusammenfassung
  • Vor mehr als zehn Jahren reiste die Wienerin Evelyn T. nach Syrien, um sich der IS-Terrormiliz anzuschließen.
  • Am Mittwoch wurde sie dafür nicht rechtskräftig zu zwei Jahren bedingter Haft verurteilt.
  • Vor Gericht schilderte sie vor großem Medieninteresse, wie es so weit kommen konnte.
  • Es ist der erste Prozess dieser Art in Österreich.