Töglhofer erkundet mit "Tatendrang" die EU-Bürokratie
So ein Roman lässt sich kaum mit bloßer Literaturrecherche schreiben, und so liegt der Verdacht nahe, Töglhofer, die 1985 in Graz geboren wurde und heute in Berlin und in der Oststeiermark lebt, greife auf eigene Erfahrungen zurück. "Studium der Geschichte und der Internationalen Beziehungen in Graz und Paris, dann Stationen in Belgrad, Brüssel, Wien, Osijek und Berlin. Analystin für die Außen- und Erweiterungspolitik der EU", heißt es in ihrer Biografie. Diese passt auch gut zu ihrer Protagonistin Hanna Fürst, die nach ihrem Studium ein Praktikum in der "Europäischen Außenzentrale" antritt.
Schon diese unbezahlte Arbeit ergattert zu haben, war nicht leicht, doch so richtig kompetitiv wird es erst: Von den 500 "Young Professionals", die hier antreten, werden bloß 15 am Ende der vier Monate ein echtes Jobangebot erhalten. Voller Tatendrang tritt hier das junge, bestens ausgebildete Europa an - und lernt rasch, was gefragt ist und was nicht: Selbstbewusstsein, Beziehungen und Ellbogen sind Essentials auf dem Weg zu einer dauerhaften Stellung, Idealismus und echtes Problembewusstsein dagegen eher hinderlich.
Das sind zwar wenig erstaunliche Erkenntnisse, doch Töglhofer versteht es, diese mit so viel realitätsnahen Details zu versehen und dabei nur ein klein wenig satirisch zuzuspitzen, dass man das absehbare Scheitern mit Anlauf gerne mitverfolgt, in das sich Hanna gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen stürzt: Als Leuchtturmprojekt, mit dem die "Arbeitsgruppe Zukunft" neue Möglichkeiten für ein friedliches Europa aufzeigen soll, wird ausgerechnet ein alter Leuchtturm in einem Grenzfluss zweier verfeindeten Nachbarstaaten am Rande Europas auserkoren. Dass es dabei viel mehr um Symbolwirkung als um echte Maßnahmen geht, bemerken die jungen Aktivistinnen und Aktivisten erst, als ihr Arbeitspapier bei der Präsentation und Absegnung kaum mehr wiederzuerkennen ist.
Töglhofer trifft nicht nur den Ton erstaunlich gut, sondern kann auch mit ein paar echten Schmankerln aufwarten. Rivalitäten zwischen Personen und Abteilungen, die in Kompetenzstreitigkeiten und Territorialkämpfe münden, werden ebenso ungeschminkt geschildert wie der absurd anmutende Umgang mit Projektgeldern: Einerseits sollte das üppig bemessene Budget möglichst um jeden Preis ausgegeben werden, um beim nächsten Mal nicht weniger zugeteilt zu bekommen, andererseits muten Controllingvorgaben und Abrechnungsrichtlinien an, als hätte sie Franz Kafka persönlich verfasst.
Als Werbung für die EU lässt sich dieser Roman nur schwer verkaufen. Immerhin: Die jungen High Potentials lassen sich nicht alles gefallen. Und "Tatendrang" kann am Ende doch mit ein, zwei Überraschungen aufwarten.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Theresia Töglhofer: "Tatendrang", Residenz Verlag, 256 Seiten, 25 Euro, 29. August: Lesung beim Literaturfestival O-Töne im Wiener Museumsquartier)
Zusammenfassung
- Theresia Töglhofer hat mit 'Tatendrang' einen Debütroman über die EU-Bürokratie geschrieben, der auf ihren eigenen Erfahrungen basiert.
- Von 500 'Young Professionals', die ein Praktikum in der 'Europäischen Außenzentrale' absolvieren, erhalten nur 15 ein Jobangebot nach vier Monaten.
- Der Roman enthält satirische Elemente und realitätsnahe Details über den Konkurrenzkampf und den absurden Umgang mit Projektgeldern in der EU-Bürokratie.