Tiroler Volksschauspiele: Brachiale Klassiker-Auslegung
Im Vorfeld der Premiere hatte Volksschauspiele-Intendant Gregor Bloéb das Vorhaben, das Stück im Zentrum von Telfs zu spielen, als "Guerilla-Theater" bezeichnet. Dieses damit geäußerte Versprechen löste das Bühnenwerk gleich in mehrfacher Hinsicht ein: Zum einen dachte man an diesem Theaterabend tatsächlich an fast schon kriegsartige Zustände, wenn Moretti alias Dorfrichter Adam mit einem Lkw unerwartet in die Szene bretterte und verwundet aus diesem heraustorkelte, zum anderen waren die gewählten Inszenierungsmethoden untypisch, ungewöhnlich und unerwartet. Unter anderem etwa deshalb, weil sich nach dem spektakulärem Auftritt von Moretti der aufgeklappte Anhänger des Lkws in die eigentlichen Bühne und zum Zentrum des Geschehens verwandelte.
Der Inhalt hingegen war auch in Telfs altbekannt: Dorfrichter Adam musste - unter den kritischen Blicken der eigens angereisten Gerichtsrätin Walter - eine fast schon banal anmutende Verhandlung um einen zerbrochenen Krug führen. Dahinter steckte aber weitaus mehr: Der angeklagte zerbrochene Krug war nämlich letztlich vor allem Zeugnis von einem völlig unangemessenen Übergriff des Dorfrichters auf das Mädchen Eve, die Tochter von Frau Marthe Rull, die den zerbrochenen Krug an- und beklagte.
Moretti, der einst wichtige Schauspielschritte in Telfs machte und nunmehr nach Jahrzehnten quasi zurückkehrte, legte die Rolle des Dorfrichters, der im Endeffekt als eigentlicher Täter über sich selbst richten musste, fast schon erwartungsgemäß mit einem hohen Intensitätsgrad an. Blicke, Mimik und Gesten suggerierten auch den womöglich mit dem Stoff nicht vertrauten Personen, dass von Beginn an irgendetwas nicht stimmte und sich unter der grotesk-komischen Oberfläche gewaltige Abgründe auftaten. Ihm zur Seite stand - als Anfangsverdächtiger den Krug zerbrochen zu haben - sein Sohn Lenz Moretti, der die Rolle des Ruprecht spitzbübisch und mit emotionaler Tiefe mimte.
All diese Abgründe und Verwicklungen ergaben sich hier nicht, wie ursprünglich bei Kleist, in einem niederländischen Dorf, sondern eben in Tirol. Landeck, Telfs, Rattenberg und Mieming und die namentliche Nennung einer Bar am Rathausplatz legten eingestreut in die beibehaltenen Blankverse von Kleist beredet Zeugnis davon ab und fetteten die Handlung mit ein paar Prisen Lokalkolorit auf. Auch weitere Verschiebungen gab es: Eve, grandios gespielt von Annalena Hochgruber, schmetterte nämlich beispielsweise mit Inbrunst kleistfremde aber herzergreifende und gegenwärtig anmutende Popsongs und auch Dorfrichter Adam machte sich, als seine Schuld erkannt war, mit dem Moped von Ruprecht davon, der zuvor damit seinen großen und durchaus lautstarken ersten Auftritt im Stück hatte.
Für diese inszenatorischen Kunstgriffe und für die durchwegs hohe Schauspielleistung gab es dann schließlich auch euphorischen Applaus und kollektive Stehovationen. Besonders laut war der Applaus aber für Bloéb-Bruder und Volksschauspiele-Rückkehrer Moretti, doch auch der Beifall beispielsweise für seinen Sohn oder Hochgruber standen diesem kaum nach.
(Von Markus Stegmayr/APA)
S E R V I C E: "Der zerbrochne Krug" von Heinrich von Kleist. Regie: Anna Bergmann. Bühnenbild: Volker Hintermeier. Kostüme: Lane Schäfer. Musik: Hannes Gwisdek. Mit: Corinna Harfouch (Gerichtsrätin Walter), Tobias Moretti (Dorfrichter Adam), Harald Schrott (Schreiber Licht), Franziska Machens (Frau Marthe Rull), Annalena Hochgruber (Eve), Lenz Moretti (Ruprecht), Frau Brigitte (Sibylle Canonica). Weitere Vorstellungen am 3., 6., 7., 8., 9., 10., 13., 14., 15., 16. und 17. August (20.00 Uhr). https://www.volksschauspiele.at/)
Zusammenfassung
- Das Theaterstück 'Der zerbrochne Krug' von Heinrich von Kleist feierte am Donnerstagabend in Telfs Premiere. Regie führte Anna Bergmann, die Handlung wurde in die Tiroler Provinz verlegt.
- Tobias Moretti glänzte als Dorfrichter Adam in einer Inszenierung, die untypische Methoden wie einen Lkw, ein Moped und Popsongs verwendete.
- Die Aufführung erhielt euphorischen Applaus und Stehovationen, besonders für Tobias Moretti. Weitere Vorstellungen finden im August statt.