"Sweeney Todd" in Linz: Saftige Pasteten und ein Abschied
Dem Barbier Benjamin Barker wurde übel mitgespielt: Der alles andere als ehrenwerte Richter Turpin steckte ihn auf Jahre unschuldig ins Gefängnis, vergewaltigte seine Frau - sie soll sich daraufhin selbst vergiftet haben - und entführte seine Tochter. Als der Mann nach London zurückkehrt sinnt er auf Rache. Er nennt sich nun Sweeney Todd und geht seinem erlernten Handwerk nach - einzig mit der Absicht, Turpin auf seinen Barbierstuhl zu bekommen und ihm die Kehle durchzuschneiden. Dass dies beim ersten Versuch misslingt, entfesselt seinen Zorn auf die Menschheit und er beginnt, wahllos seine Kunden zu töten - "They all deserve to die", in der deutschen Fassung seltsamerweise mit "Der Tod macht alle gleich" übersetzt, ist ein musikalischer Höhepunkt des Abends.
Der chronisch erfolglosen Pastetenbäckerin Mrs. Lovett (Daniela Dett), die unter Sweeneys Geschäft lebt, kommt dieser Blutrausch nicht ungelegen: Sie braucht preiswertes Fleisch für ihre Pies, aber Katzen sind schnell und Mr. Todd weiß ohnehin nicht wohin mit den ganzen Leichen. Sie denkt also praktisch und eine Geschäftsidee ist geboren. Von Sweeneys sehr speziellem Barbiersessel rutschen die tödlich Rasierten gleich direkt in die Backstube im Keller und dank dieser Fließbandproduktion floriert der Laden, die Lovett-Pasteten mausern sich ob ihrer Saftigkeit - Rezepttipp: dreimal durch den Fleischwolf drehen - von angeschimmelten Ladenhütern zu gefragten Trend-Snacks. Daneben gilt es mithilfe des verliebten Anthony (Christian Fröhlich) Sweeneys Tochter Johanna (Alexandra-Yoana Alexandrova) aus den Fängen Turpins (Karsten Kenzel) zu retten, bevor dieser das zur jungen Frau herangewachsene Mädchen vor den Traualtar schleppen kann. Und wer ist eigentlich die rätselhafte Bettlerin (Sanne Mieloo), die immer in der Fleet Street herumschleicht?
Das Bruckner Orchester unter Tom Bitterlich spielt in großer Besetzung, neben dem Musical-Ensemble bevölkern der Chor des Landestheaters und Studierende der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien das trostlos-dreckige London der viktorianischen Zeit. Das Haus von Sweeney und Mrs. Lovett (Bühne: Charles Quiggin) wächst immer wieder in die Höhe, um die Vorgänge im Keller zu offenbaren. Das Stück ist fast zur Gänze durchkomponiert, die Musik keine leichte Kost, sondern nahezu opernhaft und wenn Regisseur Simon Eichenberger Sweeney Todd als "einen Film für die Bühne" bezeichnet, so ist die Musik ein äußerst stimmiger Soundtrack.
Apropos Film: Johnny Depp und Helena Bonham Carter vermisst man nicht eine Sekunde - Max Niemeyer, der zwischen sanften Tönen für seine Tochter und tobendem Racheengel switcht, und Daniela Dett als geschäftstüchtige Mrs. Lovett, die mit ihrem humoristischen Talent für die schrägen Momente sorgt, dominieren den Abend, der - no na - mit noch mehr Toten und mit einer tragischen Erkenntnis endet. Blut wird nur sparsam eingesetzt, wenn Sweeney es wieder einmal getan hat, leuchtet eine Lichtleiste rund um seinen Shop rot auf. Dieser Disco-Effekt ist einerseits ein Fremdkörper in der ansonsten recht homogen viktorianisch-finsteren Optik, andererseits entgeht man damit der Gefahr in der Splatter-Schublade zu landen. Und vermutlich wäre bei der Menge an Morden ohnehin das Bühnenblut ausgegangen.
(Von Verena Leiss/APA)
(S E R V I C E - "Sweeney Todd" von Stephen Sondheim (Musik und Gesangstexte) und Hugh Wheeler (Buch), Musikalische Leitung: Tom Bitterlich, Inszenierung und Choreografie: Simon Eichenberger, Bühne: Charles Quiggin, Kostüme: Aleš Valášek. Mit u.a. Max Niemeyer (Sweeney Todd), Daniela Dett (Mrs. Lovett), Christian Fröhlich (Anthony), Alexandra-Yoana Alexandrova/Valerie Luksch (Johanna), Karsten Kenzel (Richter Turpin), Lukas Sandmann (Tobias), Gernot Romic (Pirelli), Enrico Treuse (Büttel Bamford), Sanne Mieloo (Bettlerin). In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln. Weitere Vorstellungen am Vorstellungstermine: 20. und 24. Februar, 5., 9., 13., 20. und 24. März, Musiktheater Linz, Großer Saal, https://www.landestheater-linz.at)
Zusammenfassung
- Die Inszenierung von Simon Eichenberger wird als 'Film für die Bühne' beschrieben, wobei sparsam eingesetztes Blut und eine viktorianische Kulisse die Aufführung prägen. Weitere Vorstellungen sind am 20. und 24. Februar sowie im März geplant.