Strauss-Jahr verpasste dem Baron ein Update mit Goldketterl
In der Halle E des Wiener Museumsquartiers war alles angerichtet für einen beschwingten Abend voller Ohrwürmern und Brüche. Neben den unwiderstehlichen Stücken der beliebten Operette sollten für Letzteres das Ensemble um Mastermind Andreas Schett ebenso sorgen wie Autor Schimmelpfennig, der dem "Zigeunerbaron" knapp 140 Jahre nach seiner Entstehung ordentlich zu Leibe gerückt ist. Das betrifft nicht nur die Begrifflichkeiten, sondern ganz generell die Geschichte um marginalisierte Gruppen, Kapitalismus und Kriegstreiberei, die mit neuen Farben versehen wurde.
Wobei das Grundsetting unverändert blieb: Der titelgebende "Rand der Welt" ist von Sümpfen, Eisenfeldern und Stahlfabriken geprägt. 24 Jahre nach einem verheerenden Krieg kehrt der Staatenlose Sándor Barinkay (David Kerber mit Goldketterl und reichlich Tattoos) zurück an jenen Ort, den seine Familie früher ihr Eigen nannte. Nun herrscht neben viel Armut der zwielichtige Fleischfabrikant Zsupán (ebenso doppelbödig wie fies: Tobias Moretti) über die Gegend, in der sich die Außengestoßenen der Gesellschaft einen Ort der Selbstbestimmung erträumen. Darunter auch das einfache Mädchen Saffi (Nadja Mchantaf), die von ihrer adeligen Herkunft nichts ahnt.
Statik statt Leichtigkeit
Es folgt wie im Original eine bunte Abfolge an kurzen Liebeleien, auf Standesunterschiede abzielende Witze sowie die alles grundierende Suche nach einem verschollenen Schatz, den jede Seite für sich beanspruchen will. Doch wer sich operettenhafte Leichtigkeit in voller Blüte erwartet hat, wurde enttäuscht. Regisseur Nuran David Calis setzte neben einer effektvollen Drehbühne, die im ersten Akt unterschiedlichste Schauplätze offenbarte und von oben wie ein gigantisches Peace-Zeichen wirkte, nur sehr bedingt auf Humor. Zudem ließ er sein Ensemble eher statisch den sich immer wieder öffnenden Raum bespielen, wobei oft an der Rampe agiert wurde - eher neben- denn wirklich miteinander.
Musikalisch gab es wiederum eine gut ausbalancierte Mischung aus Partiturtreue und Neudeutung. Die Musicbanda Franui wurde dabei unterstützt von einem achtköpfigen Streicherensemble, um auch entsprechend in die Breite gehen zu können. Unter dem Dirigat von Anna Sushon ergab das teils wunderbar-irritierende Sequenzen, wenn etwa zum Ende hin der sich anbahnende Kriegswahnsinn nicht in der verklärten Romantisierung der Vorlage unterging, sondern durch Dissonanzen und grobe Pauseneinschübe konterkariert wurde. Die Helden der Schlacht, sie wirkten hier alles andere als heldenhaft.
Anmutung einer vertanen Chance
Und dennoch blieb die Anmutung einer letztlich vertanen Chance. So überzeugend die Stimmen vielfach waren - besonders Miriam Kutrowatz als Fleischerstochter Arsena sowie Kerber und Mchantaf konnten dem teils etwas zu energischen Klang aus dem Orchestergraben mit Bravour standhalten -, so stark durch unterschiedlichste Livevideoeinsätze und Gruppenchoreografien auf Effekt gesetzt wurde, so sehr blieb "Das Lied vom Rand der Welt" ein Werk der Zwischenwelt. Die einfallsreichen Kostüme (Anna Sünkel) ließen in ihrer Farbenpracht an Hollywoodexzentriker Tim Burton denken, manche Szenerie (Bühne: Anna Ehrlich) gemahnte an psychedelische Beat-Literatur - aber in sich geschlossen und zu Ende gedacht wirkte das Ergebnis nur selten.
Insofern war es passend, dass Samouil Stoyanov als dauerschreiender Conte Carnero, der Barinkay auf seine Reise in die Sümpfe mit ausgestellter Unlust begleitete, wie ein freies Radikal durch die Inszenierung taumelte. Tänzelnd, fallend, alles und jeden mit Missgunst und Galle anspeiend, hatte er noch den größten Freiraum in dieser Erzählung über den Versuch einer Befreiung aus gesellschaftlichen Ketten. Und die Moral von der Geschicht'? Zieh in keine Kriege nicht. Und mache schon gar nicht dein eigenes Glück von Adelstiteln oder sonstigen Zuschreibungen abhängig. Ganz abgeworfen wurden die Stereotypen nicht, aber immerhin ist sich dieser Baron der Stahlsteppe seiner Herkunft nur zu bewusst. Dafür gab es am Ende freundlichen Applaus für das gesamte Team.
(Von Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E - "Das Lied vom Rand der Welt oder Der 'Zigeunerbaron'" nach der Operette von Johann Strauss und Ignaz Schnitzer. Neufassung der Musicbanda Franui (Markus Kraler, Andreas Schett) mit einem Libretto von Roland Schimmelpfennig. Musikalische Leitung: Andreas Schett, Dirigat: Anna Sushon, Regie & Video: Nuran David Calis, Bühne: Anna Ehrlich, Kostüme: Anna Sünkel, Licht: Bernd Purkrabek, Dramaturgie: Clara Bender. Mit David Kerber (Sándor Barinkay), Nadja Mchantaf (Saffi), Helene Schneiderman (Czipra), Tobias Moretti (Kálmán Zsupán), Miriam Kutrowatz (Arsena), Miriam Maertens (Mirabella), Paul Schweinester (Ottokar), Otto Katzameier (Graf Peter Homonay), Samouil Stoyanov (Conte Carnero). Musicbanda Franui & Strings, Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner. Eine Produktion von Johann Strauss 2025 Wien. Halle E im Museumsquartier. Weitere Aufführungen: 27. und 30. März sowie 1. und 3. April um 19 Uhr. www.johannstrauss2025.at/event/das-lied-vom-rand-der-welt-oder-der-zigeunerbaron)
Zusammenfassung
- Die Operette 'Der Zigeunerbaron' von Johann Strauss wurde 140 Jahre nach ihrer Entstehung neu interpretiert und als 'Das Lied vom Rand der Welt' im Wiener Museumsquartier uraufgeführt.
- Das Libretto stammt von Roland Schimmelpfennig, während die musikalische Leitung Andreas Schett übernahm und die Musicbanda Franui die Aufführung begleitete.
- Die Inszenierung thematisiert marginalisierte Gruppen, Kapitalismus und Kriegstreiberei, wurde jedoch als statisch und wenig humorvoll beschrieben.
- David Kerber spielt die Hauptrolle des Sándor Barinkay, während Tobias Moretti den zwielichtigen Fleischfabrikanten Zsupán verkörpert.
- Die Aufführung erhielt freundlichen Applaus, jedoch wurde sie als vertane Chance wahrgenommen, trotz effektvoller Bühnen- und Kostümdesigns.