Sommernachtskonzert Schönbrunn heuer vor allem ein TV-Event
Ein Fernseh-Event war das Sommernachtskonzert schon immer. Die Bilder des Open-Air-Konzerts vor der sehnsuchtsvoll inszenierten Kulisse zwischen Schloss und Gloriette flimmerten stets als sommerliches Pendant zum Neujahr als musikalisch auf Hochglanz polierter Wien-Imagefilm über die internationalen Bildschirme. In Wien selbst hat das sonst im Frühsommer abgehaltene Ereignis aber auch eine soziale Dimension, versammeln sich doch jedes Jahr an die 100.000 Wienerinnen und Wiener bei kostenlosem Eintritt zwischen den perfekt getrimmten Sträuchern und lauschen den philharmonischen Klängen unter dem bunt erleuchteten Abendhimmel in andächtiger oder auch mal ausgelassener Stimmung. Im Jahr der Pandemie freilich undenkbar. Stattdessen wurde der Park gesperrt, 1.250 Besucher mit festgelegten Plätzen und in lockerer Sitzordnung zugelassen, alle anderen an die Fernsehschirme verwiesen.
Doch wo sich andere Veranstalter von Corona unfreiwillig ins Konzertstreaming gezwungen sahen und dabei mitunter ungeschickt oder fantasielos Neuland betreten mussten, ist die perfekte TV-Inszenierung des ORF im Schlosspark bereits Routine: die halsbrecherischen Kameraflüge über das Gelände, die wirkungsvolle Feuerschein-Beleuchtung der Brunnen, die jahrelang trainierte Bildregie (Henning Kasten) bei den Nahaufnahmen der Instrumentalisten. Wien-Impressionen aus Schönbrunn und anderswo, geistreiche Moderation - heuer erstmals von Teresa Vogl - und eine profunde Soundqualität machen die Corona-Edition des Traditionskonzerts komplett. Wer heuer eine geplante Wien-Reise absagen musste, durfte sich filmisch und musikalisch trösten - oder erst recht wehmütig werden.
Trotz deutscher Reisewarnung nicht ferngeblieben ist jedenfalls Jonas Kaufmann, der mit seinem zu Jahresbeginn vorgelegten "Mein Wien"-Album gleichsam eine Visitenkarte für seinen Auftritt beim Sommernachtskonzert abgeliefert hat. Gleich zwei Nummern davon, "Wenn es Abend wird" aus Kalmans "Gräfin Mariza" sowie "Wien, Wien nur du allein" von Rudolf Sieczyński haben es ins Programm geschafft, daneben absolvierte der deutsche Supertenor höchst geschliffen die Arienbrummer "Pourqoui me reveiller" aus Massenets "Werther" und "Nessun dorma" aus Puccinis "Turandot". Tatsächlich wird man neben Kaufmann, der aktuell an der Staatsoper den "Don Carlos" probt (Premiere ist am 27. 9.), kaum einen Sänger finden, der diese Repertoirekombination in einer solchen Qualität im Köcher hat.
Wenn virusbedingt schon sonst viel Unsicherheit herrschte, so setzte man zumindest mit dem Konzertmotto "Liebe" auf eine sichere Karte und konnte sich unter diesem weiten Dach bis zu Aram Khatschaturjan oder Maurice Jarre strecken, und sie zugleich mit Richard Wagner, Emmerich Kalman oder Jacques Offenbach konfrontieren. Mehr noch als die Liebesgeschichten, die die Stücke erzählen, ist dieses von der Pandemie zugleich entstellte und in seinem Wesen erleuchtete Sommernachtskonzert aber selbst ein Liebesbeweis. Valery Gergievs elegisches Minenspiel vor der Kulisse der Gloriette, der weiche Mischklang der philharmonischen Streicher und Bläser, die ehernen Statuen, die aus allen Winkeln des Parks Richtung Bühne blicken: Sie versichern hinaus in die Welt, dass Corona Musik und Kultur, so fragil sie in den vergangenen Monaten gewirkt haben mögen, letztlich nichts anhaben kann.
Zusammenfassung
- Vier Monate später als geplant, mit einem Bruchteil des üblichen Livepublikums, aber mit einem kräftigen musikalischen Lebens- und Liebeszeichen hat am Freitagabend das Sommernachtskonzert Schönbrunn der Wiener Philharmoniker stattgefunden.
- Unter Dirigent Valery Gergiev erstreckte sich das Programm des TV-Events vom "Rosenkavalier" bis "Doktor Schiwago" und von der großen Oper zum Wienerlied.