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Sinnlich-brutale "Jagdszenen aus Niederbayern" in Klagenfurt

Das bei seiner Uraufführung als neues Volksstück klassifizierte Drama hat inzwischen schon mehr als 50 Jahre auf dem Buckel. Der 2002 verstorbene Autor Martin Sperr steht mit "Jagdszenen in Niederbayern", die am Donnerstag am Stadttheater Klagenfurt Premiere hatten, ganz in der Tradition von Ödön von Horvath bis Franz Xaver Kroetz. Das düstere Gesellschaftspanorama hat auch heute noch Gültigkeit.

Mit unverblümter Sprache, brutalen Bildern und einem grandiosem Ensemble stellt Regisseurin Martina Gredler in perfekter Abstimmung mit Choreografin Daniela Mühlbauer die Szenenfolge auf die dunkelgraue Bühne des Klagenfurter Stadttheaters. Angesiedelt in einem Dorf in Bayern kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wird zum Halali auf die Außenseiter der konservativen Gesellschaft geblasen: Da ist der homosexuelle Abram (der Syrer Johnny Mhanna), der, zurückgekehrt aus dem Gefängnis, von seiner Mutter Barbara (Petra Morzé) verleugnet wird; Maria (Elisa Seydel), die ihren geistig behinderten weil kriegstraumatisierten Sohn Rovo (Felix Oitzinger) mit Brennnesselschlägen erziehen will und Tonka (Violetta Zupancic), die im Dorf als Hure gebrandmarkt wird. So wie die Dörfler sind auch sie Täter und Opfer zugleich, wollen sie sich doch um jeden Preis integrieren.

Wie die Dorfgemeinschaft zur Meute wird, die sich zur Hetzjagd auf die Außenseiter zusammenrottet, zeigt die Inszenierung in streng stilisierter Form. Jeder Schritt, jede Bewegung ist choreografiert. Einmal drängt sich das menschliche Rudel eng zusammen, dann wieder umkreisen einander die Dorfbewohner, belauern sich gegenseitig, kriechen, rennen, klettern, sacken in sich zusammen. Wenn die Darsteller den Text nicht direkt an der Bühnenrampe, starr hinein ins Publikum sprechen, schreien sie ihren Zorn und den Hass laut heraus: "Der soll werden, wie wir alle, dann ist er in Ordnung." Diese Ausbrüche, die oft von dunklem Elektronik-Sound (Jana Schulz) begleitet sind, wechseln mit den stillen, fast tänzerischen Szenen, die ungemein sinnlich daherkommen: Etwa, wenn die Annäherung der beiden Außenseiter Abram und Rovo zu einem kraftvollen Paarlauf zwischen Gewalt und Sex wird oder eine Gruppe von Männern sich jeweils selbst durch Streicheln, Tätscheln und ähnlichem liebkost.

Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung sind die zeitlosen Themen in Martin Sperrs Gesellschaftsanalyse aus den 1960er-Jahren. Mit einer späteren Verfilmung durch Peter Fleischmann, in der Angela Winkler und Hannah Schygulla neben Sperr als Hauptdarsteller Abram spielten, ging Deutschland (erfolglos) sogar ins Rennen um einen Auslands-Oscar.

Fazit: Die Klagenfurter Inszenierung besticht durch das Zusammenspiel von Ensembleleistung, fein differenzierter Regie und exakten Bewegungsabläufen. Bei der Premiere wurde das vom Kärntner Publikum nach rund eineinhalb pausenlosen Stunden auch ausgiebig gefeiert.

(S E R V I C E - Stadttheater Klagenfurt: "Jagdszenen aus Niederbayern" von Martin Sperr. Regie: Martina Gredler, Choreographie: Daniela Mühlbauer, Bühne: Manuel La Casta, Kostüme: MoanaStemberger, Musik: Jana Schulz, Licht: Thomas Zeitler, Dramaturgie: Hans Mrak. Mit: Johnny Mhanna (Abram), Petra Morzé (Barbara), Felix Oitzinger (Rovo), Elisa Seydel (Maria), Mathias Lodd (Volker), Violetta Zupancic (Tonka), Ivana Nikolic (Paula), Katharina Schmölzer (Metzgerin), Katarina Hartmann (Zenta), Lukas David Schmidt (Georg). Weitere Vorstellungen: 13.,17.,19., 23., 25., 31. Jänner, www.stadttheater-klagenfurt.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Der 2002 verstorbene Autor Martin Sperr steht mit "Jagdszenen in Niederbayern", die am Donnerstag am Stadttheater Klagenfurt Premiere hatten, ganz in der Tradition von Ödön von Horvath bis Franz Xaver Kroetz.
  • Wie die Dorfgemeinschaft zur Meute wird, die sich zur Hetzjagd auf die Außenseiter zusammenrottet, zeigt die Inszenierung in streng stilisierter Form.