APA/APA/HELMUT FOHRINGER/HELMUT FOHRINGER

"Sehr zufrieden": Bachmanns 100-Tages-Bilanz an der Burg

Der Burgtheater-Direktor kommt per Rad zum Zwischenbilanz-Interview. Der Sturm hat ihn heftig zersaust. Im ehemaligen Direktionszimmer kommt er kurz zum Durchschnaufen. Dass er es umgebaut und als "Balkonzimmer" für alle geöffnet hat, ist eines der sichtbaren Zeichen, dass im Haus nun ein anderer Wind weht. Und wenn Stefan Bachmanns Weihnachtswünsche in Erfüllung gehen, wird die Umgestaltung 2025 noch weiter gehen.

APA: Herr Bachmann, normalerweise bekommt man in der Politik die ersten 100 Tage Schonfrist. Die ersten 100 Tage Ihrer Burgtheater-Direktion sind kürzlich vorbeigegangen, und Sie sind bisher sehr pfleglich behandelt worden. Haben Sie schon Angst, wie sich der rauen Wind der Wirklichkeit künftig anfühlen könnte?

Stefan Bachmann: Ich glaube, am Burgtheater hat es noch nie eine Schonfrist gegeben. Aber ich bin tatsächlich sehr froh über die positive Aufnahme des Publikums und der Medien und das ganze Feedback, das ich empfange. Wir haben im Vergleich zum Vorjahreszeitraum insgesamt an die zehn Prozent mehr Zuschauer:innen. Wir haben sehr viele ausverkaufte Vorstellungen, die Sachen füllen sich auch spontan an der Abendkasse ganz gut. Insgesamt sind wir sehr zufrieden.

APA: Mir scheint, dass vor allem Vorstellungen überrannt werden, die weniger personalintensiv sind - "Holzfällen", "Schachnovelle" oder "Der große Diktator" etwa ...

Bachmann: Ich korrigiere Sie ungern, aber "Der große Diktator" läuft leider noch nicht ganz so gut - dafür laufen auch größere Ensemblestücke wie zum Beispiel "Orlando" oder "Manhattan Project" sehr gut, es deutet sich an, dass dasselbe auch für "Liliom" gelten wird. Was man insgesamt merkt ist, dass das Kaufverhalten den Übernahmen aus Köln gegenüber etwas reservierter ausfällt als bei den Neuproduktionen - wobei ich mich frage, ob es wichtig ist für die Burg-Identifizierung, dass es hier angerichtet wurde.

APA: Meine Kritik von "Akins Traum" begann mit "Wien ist nicht Gelsenkirchen", denn man fragt sich unweigerlich, wie so ein Abend ausgesehen hätte, wäre er hier entwickelt worden.

Bachmann: Möglicherweise gar nicht so viel anders. Der Autor stammt eben aus Gelsenkirchen und reflektiert parallel zur osmanischen Geschichte seine eigene Stellung im Literaturbetrieb als deutschsprachiger Autor mit Hintergrund. Das halte ich für ein politisches und allgemeingültiges Thema, das nicht lokal fixiert ist und über das wir reden sollten, wenn wir ein Theater diverser gestalten und offener werden wollen. Die Wienerinnen und Wiener sind mit dem Narrativ aufgewachsen, dass es zweimal erfolgreich gelungen ist, die Türken aus der Stadt fernzuhalten. Mittlerweile sind sie längst angekommen. Auch wenn das ein irrwitziger Traum ist, der da vom Osmanenreich erzählt wird, ist es doch die Konfrontation mit einer Erzählung, die uns weitestgehend nicht bekannt ist. Und dass man im Burgtheater eine Übertitelung auf Türkisch hat, finde ich ein gutes Statement. Wir sprechen damit eine Einladung aus.

APA: Ist irgendetwas in diesen 100 Tagen schiefgelaufen, hat sich Wien in mancher Hinsicht doch als anders herausgestellt?

Bachmann: Nein, ich bilde mir ein, Wien ganz gut zu kennen - als jemand, der hier schon mal 4 bis 5 Jahre gewohnt hat und seit fast 30 Jahren regelmäßig hier arbeitet. Dennoch würde ich mir nie anmaßen, zu sagen, das läuft jetzt prima, ich habe das in der Tasche und kann mich zurücklehnen. Ich bin noch in der Lernphase. Ich würde eher sagen: Jetzt fängt die Arbeit erst richtig an. Jetzt kann man in die Planung langfristigerer Projekte gehen und hoffentlich die Energie, mit der wir uns hier aufgeladen haben, auch perspektivisch nutzen. Neue Schreibaufträge, neue Zusammenarbeiten sind jetzt natürlich stark von diesem Ort geprägt. Und auch mit dem Gelsenkirchener Autor möchte ich weiterarbeiten.

APA: Politisch und gesellschaftlich scheinen die Räume immer enger zu werden. Was kommt da auf die Kulturszene zu - bis hin zu massiven Kürzungen wie jetzt in Berlin? Lautet die Devise: Lasst uns noch die Zeit genießen, bis es auch bei uns soweit ist?

Bachmann (lacht): Nein, auf der Titanic noch eine letzte Party zu schmeißen, das ist nicht meine Einstellung. Wenn man in die Welt hineinguckt, ist es teilweise zappenduster, das muss ich zugeben. Ich finde das bedrohlich und furchterregend, auch für die Kultur - wenn man etwa nach Bratislava und Berlin schaut. Jede Krise wird vorübergehen, aber in Krisenzeiten muss man Kultur besonders schützen - eben auch für später. Wir setzen uns mit der Zeit auseinander, versuchen aber den düsteren Prognosen auch etwas Positives gegenüberzustellen, das halte ich für ganz wichtig. Die Kultur ist eine Institution, die in der Lage ist, Brücken zu bauen, den Dialog zu fördern und auch die Komplexität erfahrbar zu machen - im Gegensatz zu den Simplifizierungen rund um uns.

APA: Weihnachten ist die Zeit der Wünsche. Was wünscht sich der Burgtheaterdirektor von der künftigen Bundesregierung?

Bachmann: Ich wünsche mir, dass wir die Basisabgeltung automatisch an die Inflation angeglichen bekommen, damit wir das nicht alle paar Jahre nachverhandeln müssen. Das könnte man doch genauso gesetzlich verankern wie die dort festgeschriebene Forderung, dass wir jeden Abend spielen.

APA: Gibt's einen Wunsch nach einer bestimmten Regelung - besser ein eigenes Kulturministerium oder die Kultur als Anhängsel an ein gewichtiges Ressort?

Bachmann: Nein, denn das ist ja wahnsinnig personenabhängig. Das beste Ministerium nützt ja nichts, wenn dort Idioten sitzen ....

APA: Wir sitzen hier im vormaligen Direktionszimmer, das nun zum Gemeinschaftsraum umgewandelt wurde. Es gibt angeblich auch Pläne zu mehr Grün - auf der Terrasse und um die Burg?

Bachmann: Ja, mein Weihnachtswunsch wäre es, die jetzt golfrasenartig geschnittenen Grünflächen vor dem Theater künftig diverser zu bepflanzen. Dann sollten die Autos rund um das Burgtheater verschwinden, stattdessen gäbe es einen großen, überdachten Fahrradstand, und wir könnten die entsiegelten, autofreien Flächen rund um die Burg auch für Gastronomie und gemeinsamen Aufenthalt nutzen. Vielleicht gelingt es uns, den Balkon als erstes Zeichen nach außen zu begrünen und zu beleben. Da könnten die Mitarbeiter:innen des Hauses gemeinsam auf dieser Terrasse sitzen und den Ausblick auf Volksgarten und Heldenplatz genießen. Es ist ja eine Mischung aus Aufenthalts-, Sitzungs- und Versammlungsraum, für den sich jetzt der Begriff "Balkonzimmer" eingebürgert hat.

APA: Und gibt's ein weihnachtliches Geschenkangebot für Theaterfreunde, das der Burgtheaterdirektor besonders empfiehlt?

Bachmann: Klar: Wenn Sie einen wirklich lustigen Abend verbringen wollen, gehen Sie zu Silvester in "Der große Diktator".

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Stefan Bachmann, der neue Direktor des Burgtheaters, hat in seinen ersten 100 Tagen einen Zuschauerzuwachs von etwa zehn Prozent verzeichnet.
  • Neuproduktionen am Burgtheater sind erfolgreicher als Übernahmen aus Köln, wobei große Ensemblestücke wie 'Orlando' und 'Manhattan Project' sehr gut laufen.
  • Bachmann hat das ehemalige Direktionszimmer in einen Gemeinschaftsraum umgewandelt, um eine offenere Atmosphäre zu schaffen.
  • Er plant langfristige Projekte und setzt auf kulturelle Diversität, einschließlich einer türkischen Übertitelung im Theater.
  • Bachmann wünscht sich eine automatische Anpassung der Basisabgeltung an die Inflation, um finanzielle Stabilität zu gewährleisten.