RSO im Musikverein: Den Schmerz bewusst unterspielen
Es dominiert die Klarheit. Das Weiche, Warme, weicht weitgehend. Das Leid wird zurückgehalten bei Alsop, nichts wird überdramatisiert, sondern eher unterspielt. Das gilt für Barbers Klassiker, der, wenn zu sehr in die Emphase gegangen, leicht am Kitschigen vorbeischrammen kann, hier aber dezent, beinahe zurückgenommen daherkommt.
Das gilt für Adams Leidenslyrik, bei der dieser die am Schmerz der Bürgerkriegslazarette geschulten Verse des großen Walt Whitman als Ausgangspunkt für sein Werk nimmt. Es ist der schwere Gang durch die Krankenlager der Sterbenden und Amputierten, eine Poesie des Elends, die an- und abschwillt, bisweilen in Schreien kulminiert.
Adams eigene Art, mit seinen an der Minimal Music geschulten Klängen ein Fundament dafür zu liefern, auf dem sich einzelne Motive und Kantilenen kurz erheben, um dann wieder zurückzusinken, passt kongenial zu Whitman. Und Bariton Matthias Goerne passt zur Interpretation des RSO. Auch er weiß das Wechselspiel zwischen Ausbruch und Zurückhaltung zu bedienen, eher auf letzterer Seite stehend.
Klare Haltung gegenüber dem Schmerz
Und diese Haltung gilt schließlich auch für Schostakowitschs 1953 uraufgeführte Schmerzenssymphonie, die nach Jahren der Unterdrückung zwischen Anklage und Anrennen gegen die Repressionen des Sowjetsystems und der Stalin-Herrschaft changiert. Das RSO weiß sehr wohl, das Rhythmusgewitter des Komponisten von der Leine zu lassen, und Alsop gibt ihrem Orchester immer wieder so freie Zügel, dass sogar der eine oder andere Percussionist im zweiten, aufwühlenden Scherzo-Satz zum Headbanger wird.
Dennoch dominiert an diesem Abend die Erkenntnis, dass straffe Zügel und eine gewisse Zurückhaltung die drei Werke in ihrer Massivität erst wirklich erträglich machen. Der Emotionalität freien Lauf ließ dann schon das Publikum im Goldenen Saal des Musikvereins am Ende des Abends - mit euphorischem Beifall.
(Von Martin Fichter-Wöß/APA)
(S E R V I C E - www.musikverein.at)
Zusammenfassung
- Marin Alsop dirigierte am Mittwochabend im Musikverein drei schmerzhafte Werke mit dem RSO, darunter Samuel Barbers 'Adagio for Strings' und John Adams' Adaption von Walt Whitmans 'The Wound Dresser'.
- Die Interpretation der Stücke war durch eine zurückhaltende Strenge geprägt, die das Leid nicht überdramatisierte, sondern bewusst unterspielte.
- Das Publikum im Goldenen Saal des Musikvereins zeigte sich begeistert und belohnte die Aufführung mit euphorischem Beifall.