APA/Lalo Jodlbauer

Reichenau: Schnitzler als eisiger Diagnostiker toter Seelen

Mit vier Einaktern aus dem "Anatol"-Zyklus von Arthur Schnitzler setzen die Festspiele Reichenau auf bewährtes Repertoire. "Einem vielgeäußerten Wunsch unseres Publikums folgend" habe man Schnitzler auf den Spielplan gesetzt, so Intendantin Maria Happel. In der Inszenierung von Michael Gampe bleiben jedoch gängige Erwartungen unerfüllt.

Gampe entwickelt einen durchaus eigenen Zugang, indem er Anatol (AntoN Widauer) nicht als in die Liebe verliebten, verspielten jungen Mann, sondern als narzisstisch gestörte Persönlichkeit darstellt. Somit scheint auch das Geschehen - mit einer Ausnahme - seltsam automatenhaft, die Personen wirken blutleer und im Grunde gefühlskalt, als spielten sie nur ihnen auferlegte Rollen zu Ende. Erotisches Knistern kommt da nicht auf, eher geht es um strategische Machtspiele und um Erfüllung vorgegebener Verhaltensmuster.

Elegisch beginnt schon die erste "Episode" zu Celloklängen von Anna Starzinger, die sich in weiterer Folge durch den Abend ziehen. Auch Freund Max (Claudius von Stolzmann) vermag Anatol kaum aus der Reserve zu locken. Bleierne Tristesse liegt über den Begegnungen mit den jeweiligen Frauen, sei es mit der etwas schrillen Bianca (Naomi Kneip), der gestelzten Gabriele (Johanna Arrouas) in den "Weihnachtseinkäufen" oder der unruhigen Else (Miriam Fussenegger) in "Agonie".

Durchbrochen wird die Erstarrung nur im "Abschiedssouper", dank einer psychologisch überzeugend gestalteten Annie (Paula Nocker). Ihr gelingt es sogar, Anatol zu emotionaler Reaktion zu provozieren. Doch umsonst - er bleibt in autistischer Selbstbespiegelung gefangen, so wie auch seine gesammelten Liebessouvenirs im Koffer zu Staub zerfallen.

Sparsam ist die Ausstattung der Bühne im Neuen Spielraum (Alexandra Burgstaller): Ein Klavier, zwischendurch Esstisch und Sessel, und nach Anatols Wutanfall über den Boden verstreute Rosen, die fast wie Grabschmuck anmuten: Schnitzler als eisiger Diagnostiker toter Seelen.

(Von Ewald Baringer/APA)

(S E R V I C E - Festspiele Reichenau: Arthur Schnitzler: "Anatol". Regie: Michael Gampe. Mit AntoN Widauer, Claudius von Stolzmann, Naomi Kneip, Johanna Arrouas, Paula Nocker, Miriam Fussenegger. Weitere Vorstellungen bis 4. August. Information und Tickets: www.festspiele-reichenau.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Festspiele Reichenau setzen auf bewährtes Repertoire mit vier Einaktern aus dem 'Anatol'-Zyklus von Arthur Schnitzler, was laut Intendantin Maria Happel auf einen vielgeäußerten Wunsch des Publikums zurückgeht.
  • Regisseur Michael Gampe bietet eine unkonventionelle Darstellung von Anatol als narzisstisch gestörte Persönlichkeit, was die Aufführung automatenhaft und gefühlskalt wirken lässt.
  • Die Aufführung läuft bis zum 4. August und weitere Informationen sowie Tickets sind auf der Webseite der Festspiele Reichenau verfügbar.