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Prosa von Erwin Einzinger: "Ein Rucksack voller Steigeisen"

Ob die Bergkameraden dem Lawinenopfer beim Begräbnis statt Rosen Steigeisen in die Grube nachwerfen, sodass die pietätvolle Stille durch Rasseln und Krachen gestört wird, oder man in einer Felsnische am Monte Rosa "auf einen Rucksack mit Verpflegung, Energiegetränk und mindestens vier Garnituren neuer Steigeisen" stößt - bei Erwin Einzinger trifft fast immer das Unerwartete ein und werden Gegenstände, Situationen und Personen neu in Beziehung gesetzt.

Die Prosa des Oberösterreichers, der am 13. Mai seinen 70. Geburtstag feiert, wird seit 40 Jahren, seit seinem Debüt mit "Das Erschrecken über die Stille, in der die Wirklichkeit weitermachte", für ihre Originalität, Gewitztheit und Leichtigkeit gerühmt. Auch der neue, über 300 Seiten starke Band "Ein Rucksack voller Steigeisen" enttäuscht diesbezüglich nicht. Einzingers Steigeisen sind Aufstiegshilfen in praktischer wie metaphorischer Hinsicht. Sie helfen, den Halt nicht zu verlieren, wenn der Autor jeden ausgetretenen Pfad hinter sich lässt und querfeldein, nicht selten in der Direttissima, aus den Niederungen des Alltags in luftige Höhen strebt, wo Frechheit siegt, die Luft dünn wird und Tatsachen mit Luftspiegelungen verschwimmen.

Es ist keineswegs nur Alpinprosa und Bergsteigerlatein, was Einzinger da auftischt - schon alleine, weil man in den Karpaten oder in den Bergen östlich von Canberra ebenso landen kann wie in den Appalachen oder den Abruzzen, und weil schon mal Eichhörnchen- und Kängurufleisch auf den Tisch kommt und Menschenfleisch nur aus Geschmacksgründen verschmäht wird.

Die kurzen, selten länger als eine halbe bis eine ganze Seite reichenden Textportionen, die oft bereits in sich selbst den einen oder anderen Bruch aufweisen, bilden zusammen keine Einheit, sondern ein Konglomerat, das geschliffen besonders schön seine poröse Struktur preisgibt: tausend Einzelteile unterschiedlichster Herkunft und Beschaffenheit, zusammengehalten mit dem Kitt von Einzingers Sprache.

"Ein Buch für Weitwanderer und Bergsteigerinnen, und für alle, die das Spektakel lieber vom Lesesessel aus verfolgen!", wirbt der Verlag. Das Spektakel besteht darin, dass eine Welterfahrung suggeriert wird, die aus erster, zweiter oder dritter Hand stammt und dennoch jeweils den gleichen Stellenwert hat. So gesehen ähneln Einzingers Texte in ihrer Informationsflut dem Internet - mit einem großen Vorteil: Hier darf alles als erfunden gelten und kann ungeprüft genossen werden.

Etwas Wehmut liegt allerdings in der Luft: Das Gelände, in dem Einzinger seine Geschichten spielen lässt, verändert sich. Die Gletscher schmelzen, die Felsen bröckeln, die Vegetation sieht heute schon ganz anders aus als früher. Doch so naturverbunden die Prosa Einzingers auch ist, nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass sein wahrer Untersuchungsgegenstand der Mensch ist. Sich ihm zu nähern, ist der Gipfel der Feldforschung. Um dabei nicht zu verunfallen, braucht es eine gute Ausrüstung. Einen Rucksack voller Steigeisen, etwa.

(S E R V I C E - Erwin Einzinger: "Ein Rucksack voller Steigeisen", Jung und Jung, 328 Seiten, 24 Euro, Lesung am 19.4., 19 Uhr, Literaturhaus Graz)

ribbon Zusammenfassung
  • Auch der neue, über 300 Seiten starke Band "Ein Rucksack voller Steigeisen" enttäuscht diesbezüglich nicht.
  • Einzingers Steigeisen sind Aufstiegshilfen in praktischer wie metaphorischer Hinsicht.