Neues Diagonale-Leitungsteam "als Motor für Neuerungen"
APA: Sie kommen eigentlich beide aus anderen Professionen und haben für die Festivalleitung gleichsam die Seiten gewechselt. Wie oft haben Sie in letzter Zeit diese Entscheidung schon verflucht?
Dominik Kamalzadeh: Noch gar nicht, um eine kurze Antwort zu geben.
Claudia Slanar: Absolut. Ein Freund hat mir einmal gesagt: Wenn es Filme, Tickets und einen Spielplan auf der Diagonale gibt, dann ist schon alles erledigt. Das beruhigt mich momentan sehr. (lacht)
APA: Neu ist für Sie beiden ja auch die Arbeit im gleichberechtigten Zweierteam. Wie sieht Ihre Arbeitsteilung aus? Entscheiden Sie alles gemeinsam?
Kamalzadeh: Wir sind dezidiert damit angetreten, die kaufmännische und die künstlerische Leitung nicht auseinander zu dividieren, da wir uns für beide Aspekte interessieren. Die kuratorische Erfahrung bringen wir mit und eignen uns jetzt noch verstärkt die kaufmännischen Kenntnisse an. Wir kennen uns schon wahnsinnig lange und vertrauen uns vollkommen, was vieles leichter macht.
APA: Gerade deshalb kennt man auch die Stärken und Schwächen des anderen sehr gut. Gibt es eine Good-Cop/Bad-Cop-Rollenverteilung unter Ihnen?
Slanar: Die großen Programmentscheidungen und Leitlinien des Festivals beziehungsweise die Ideen zur Umgestaltung, die treffen wir gemeinsam. Und das wird auch so bleiben, wenn sich auch vielleicht mit der Zeit gewisse Bereiche, die dem einen oder der anderen mehr liegen, herausbilden werden.
APA: Sie hatten ja keine lange Vorlaufzeit für Ihre erste Ausgabe. Ist die Diagonale 2024 so etwas wie ein Probelauf, und die wirklichen Neuerungen wird man dann erst 2025 sehen?
Slanar: Strukturell muss man Dinge tatsächlich erst einmal verstehen, damit man sie ändern kann - und das ist durchaus eine Herausforderung.
Kamalzadeh: Aber es gibt keine Utopie, die wir anstreben. Es gibt bestimmte programmatische Ausrichtungen, die uns wichtig sind und von denen wir bereits in der ersten Ausgabe einiges herzeigen können. Aber wir werden uns immer neu anpassen müssen an die Veränderungen.
APA: Was wären Elemente, die bereits heuer sichtbar sind?
Slanar: Ein Element wäre etwa die größere Internationalisierung, die wir anstreben. Das betrifft natürlich nicht das Wettbewerbsprogramm, das weiterhin aus der Jahresproduktion des österreichischen Films besteht. Aber wir wollen das Festival an den Rändern öffnen in Spezialprogrammen, um den Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern aus dem Ausland zu forcieren.
APA: Wie sprechen hier von Werken, die nicht notwendigerweise irgendetwas mit Österreich zu tun haben müssen?
Kamalzadeh: Wir sind Teil eines europäischen Raumes mit ähnlichen Perspektiven. Deshalb gibt es zum Beispiel eine Personale für Christoph Hochhäusler, der für uns eine spannende Position zwischen Autoren- und Genrefilm hat, der Berliner Schule nahesteht und zugleich vieles aus der Filmgeschichte versucht zu inkorporieren. Den haben wir eingeladen, weil er als Filmemacher interessant ist und als Herausgeber der Zeitschrift "Revolver" auch für den Dialog um den Film im deutschsprachigen Raum wichtig ist.
Slanar: Es geht um einen Blick über den Tellerrand hinaus und auch darum, die Branche stärker zu vernetzen. Wir sehen uns als Motor für Neuerungen.
APA: Ist in diesem Zusammenhang eine zeitliche Ausweitung der Diagonale denkbar?
Kamalzadeh: Leider nicht, muss man wohl sagen, auch wenn wir das Bedürfnis hätten. (lacht) Die Diagonale stößt mit dem, was sie leisten soll, langsam an ihre Grenzen. Da könnte man einen Zusatztag durchaus einmal andenken, um das Ganze etwas zu entzerren.
Slanar: Das Filmschaffen in seiner Breite zu präsentieren, ist in den Statuten vorgeschrieben. Wir wollen auch die Tiefe erweitern.
APA: Wofür braucht es in Zeiten der vermeintlich allumfänglichen Verfügbarkeit von Filmen via Streamern überhaupt noch ein Filmfestival?
Slanar: Festivals bieten so etwas wie einen kuratorischen Kompass durch die unendliche Fülle an Bewegtbildern, die uns umgibt. Und sie sind ein Ort der realen Begegnung zwischen dem Publikum. Das Kino als sozialer Raum ist nicht tot.
Kamalzadeh: Man bräuchte sogar ein Festival innerhalb des Internets, um die Streamer zu kuratieren und der Vermittlung gerecht zu werden! Die Streamer sind nicht der Feind. Festivals sind Plattformen, bei denen Filmgeschichte in Bezug zur Gegenwart gesetzt werden kann.
APA: Soll die neue Location Heimatsaal dabei als neues Festivalzentrum fungieren?
Kamalzadeh: Es ist ein Schritt dorthin. Die bisherigen Hotelräumlichkeiten sind für die diskursiven Veranstaltungen schlicht zu klein geworden und haben auch nicht mehr dem Rahmen entsprochen. Das ist beim Heimatsaal anders.
Slanar: In der länger zurückliegenden Vergangenheit der Diagonale gab es bereits Festivalzentren, und wir fanden, dass es an der Zeit ist, das wieder einmal zu probieren.
APA: Sie sprachen bei Ihrer Berufung von "Center Pieces", die sich im Programm finden sollen. Was darf man darunter jetzt konkret verstehen?
Slanar: Wir haben jetzt zwei Galas: "Mit einem Tiger schlafen" von Anja Salomonowitz und "Veni Vidi Vici" von Daniel Hoesl. Das sind zwei Filme, die wir mit der Österreichpremiere highlighten wollten, weil sie für zwei interessante, sehr unterschiedliche Ästhetiken stehen.
APA: Glamour spielt bei der Diagonale also künftig eine größere Rolle?
Kamalzadeh: Glamour ist natürlich ein schwieriges Wort, weil man sofort am glitschigen Roten Teppich ist... Aber wir haben für diese Special Presentations tatsächlich den größten Saal im Annenhof dazugenommen, um dem Ganzen eine gewisse Bedeutung zuzuschreiben.
APA: Wie wichtig ist für Sie die Frage, ob die Diagonale auch mit echten Premieren aufwarten kann?
Kamalzadeh: Ich finde durchaus, dass das relevant ist. Es wertet das Festival natürlich auf, wenn wir Österreichpremieren zeigen können - oder gerade bei den Dokumentarfilmen auch echte Weltpremieren. Man nimmt die Diagonale damit international nicht nur wahr als Festival, bei dem man Dinge nachholt, sondern auch als Plattform, um Werke zu entdecken.
APA: Haben Sie selbst denn Entdeckungen im Zuge der Programmierungen gemacht?
Slanar: Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass sich viele Filme mit dem Thema der Care-Arbeit beschäftigen. Da gibt es zahlreiche Dokumentararbeiten etwa von Reiner Riedler, Anatol Bogendorfer, Harald Friedl oder Maria Lisa Pichler und Lukas Schöffel. Das hat sich zufällig so ergeben, und jetzt ist es total schön, dass einzelne Werke beginnen, miteinander zu kommunizieren.
Kamalzadeh: Und mir liegt ein Erinnerungsabend an Michael Glawogger am Herzen, der quasi ein Grazer Satellit zur parallel laufenden Rückschau im Filmmuseum ist. Es gab die Soap "LKH" in Zusammenarbeit mit dem Theater im Bahnhof. Wir haben da den Piloten aufgetrieben, der nie ausgestrahlt wurde und zeigen ihn. Das sind kleine Juwelen im Programm, auf die ich mich besonders freue.
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
(S E R V I C E - www.diagonale.at)
Zusammenfassung
- Die Diagonale 2024 wird das erste Filmfestival unter der Leitung des neuen Duos Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar, die für frischen Wind und Neuerungen stehen.
- Das neue Leitungsteam strebt eine stärkere Internationalisierung des Festivals an und möchte durch Spezialprogramme den Dialog mit internationalen Künstlern fördern.
- Kamalzadeh und Slanar setzen auf eine gleichberechtigte Teamarbeit ohne klassische Aufteilung in kaufmännische und künstlerische Rollen und vertrauen auf ihre langjährige gemeinsame Erfahrung.
- Obwohl die Diagonale 2024 als Probelauf für zukünftige Neuerungen gesehen wird, sind bereits jetzt Veränderungen wie die Einführung von zwei Galas als Highlights erkennbar.
- Trotz des Trends zu Streaming-Diensten betonen Kamalzadeh und Slanar die Bedeutung von Filmfestivals als kuratorische Kompass und sozialen Treffpunkt für Filmbegeisterte.