Neue ukrainische Oper über Habsburger als Film in Wien
30 Jahre lang waren in der nunmehr unabhängigen Ukraine kaum neue Opern geschrieben worden und hatten die großen Musikinstitutionen ein Defizit verspürt. Auf der Suche nach einem neuen Werk wandte sich vor einigen Jahren die staatliche Schid Opera (Ost Oper, Anm.) in Charkiw deshalb mit der Bitte um Hilfe an einen lokalen Unternehmer: Wsewolod Koschemjako, der auch als Österreichs Honorarkonsul in der Stadt fungiert, schlug vor, ein austro-ukrainisches Werk über Wilhelm von Habsburg alias Wassyl Wyschyvanyj (1895-1947) zu unterstützen. Die in Wien lebende Kulturproduzentin Oleksandra Sajenko rekrutierte in Folge ein ukrainisches Dreamteam: Der Charkiwer Starautor Serhij Zhadan schrieb das Libretto, es komponierte mit Alla Sahajkewytsch eine herausragende ukrainische Vertreterin der zeitgenössischen akademischen Musik, und für die erste Inszenierung in Charkiw wurde Regisseur Rostyslaw Derschypilskyj verpflichtet. Entstanden ist mit "Wyschyvanyj. Der König der Ukraine" eine nationale Oper mit großen Ambitionen: "Das ist ein Zeichen für unsere neue Identität", erläuterte Produzentin Sajenko am Dienstagabend.
Die Handlung des Werks basiert dabei auf der Biografie eines in Österreich kaum bekannten Habsburgers, der ein Faible für die ukrainische Kultur entwickelt hatte, Ukrainisch lernte und seinen Spitznamen in Anspielung an traditionelle Wyschywanka-Stickhemden erhielt. Derart war Wassyl Wyschyvanyj nach dem 1. Weltkrieg kurzfristig auch als möglicher König eines ukrainischen Staats im Gespräch. Daraus wurde nichts, Habsburg selbst starb nach einem eher gescheiterten Leben 1947 in einem Kiewer Gefängnis - der sowjetische Geheimdienst hatte ihn zuvor aus Wien verschleppt.
Eine auch in der Ukraine in der Vergangenheit kultivierte Habsburg-Nostalgie spielt im Libretto indes kaum eine Rolle. Eher im Gegenteil: Im Zusammenhang mit der westukrainischen Wirtschaftsmigration vor dem 1. Weltkrieg nach Übersee wird etwa angeprangert, dass das Imperium diese Menschen nicht braucht. Insbesondere erzählt Zhadan mit Hilfe des Habsburgers von einem sehr aktuell anmutenden Freiheitskampf der Ukrainer, der seinerzeit vor 100 Jahren jedoch gescheitert war. Politisch relevant ist dabei auch, dass der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder, der mittlerweile als einer der wichtigsten internationalen Fürsprecher der Ukraine gilt, seine intensive Beschäftigung mit dem Land 2008 ausgerechnet mit einer Wilhelm von Habsburg-Biografie begonnen hatte.
Zwei Aufführungen von "Wyschyvanyj. Der König der Ukraine" gab es am 1. und 2. Oktober 2021 in Charkiw. 3.000 Menschen sahen eine der aufwendigsten Operninszenierungen der jüngeren ukrainischen Geschichte, in der praktisch das gesamte Ensemble der Schid zum Einsatz kam: 200 Darstellerinnen und Darsteller mit 300 Kostümen traten auf der fünf Tonnen schweren Bühnenkonstruktion mit drei Stockwerken auf, Vokalsolisten, Chöre, ein Symphonieorchester und elektronische Instrumente gaben spannungsgeladene modernistische Klänge von Sahajkewytsch, die in vielen Gesangspartien auch ukrainische Motive verarbeitet hatte.
Dreieinhalb Monate später startete die russische Invasion der Ukraine, avancierte Charkiw zum Frontgebiet und sind Opernaufführungen aus Sicherheitsgründen im brutalistischen Gebäude der Schid im Zentrum der ostukrainischen Metropole nicht mehr möglich. "Die Idee war eigentlich, diese Oper für das ständige Repertoire zu schaffen, denn sie ist für Gastspiele in der Ukraine zu kostenaufwendig", erzählte Produzentin Sajenko der APA. Sie hofft jedoch, weniger aufwendige Inszenierungen von "Wyschyvanyj. Der König der Ukraine" früher oder später auch außerhalb von Charkiw und der Ukraine zeigen zu können. Zur Propagierung des Werks gibt es nicht nur das nun präsentierte Video. Nachdem das Libretto in einer bibliophilen Ausgabe bereits 2020 auf Ukrainisch veröffentlicht wurde, soll es bald in ähnlicher Weise in der Übersetzung von Claudia Dathe auch auf Deutsch erscheinen. Einen Vorabdruck gab es bereits am Dienstag im Programmheft.
Zusammenfassung
- Mit der 2021 in Charkiw uraufgeführten Oper, die anhand eines ukrainophilen Habsburgers vom Freiheitskampf der Ukrainer erzählt, wurde bereits jetzt ukrainische Operngeschichte geschrieben.
- Derart war Wassyl Wyschyvanyj nach dem 1. Weltkrieg kurzfristig auch als möglicher König eines ukrainischen Staats im Gespräch.
- Eine auch in der Ukraine in der Vergangenheit kultivierte Habsburg-Nostalgie spielt im Libretto indes kaum eine Rolle.