"natural.born.medea" als rasantes Mash-up im Off Theater
"Bei Helios und Circe, du schaust so aus, als könntest du feuerspeiende Drachen zähmen, die Drachenzähne säen und eine aus ihnen gewachsene Kriegerschar besiegen, Oida", ruft die junge Mae aus, die mit ihrem gewalttätigen und sie missbrauchenden Vater und der eingeschüchterten Mutter in prekären Wiener Verhältnissen lebt, als der fesche "Lieferando"-Bote Jay in ihrer Küche steht. Prinz und Prinzessin haben sich gefunden, aus Mae und Jay werden Medea und Jason, die Suche nach Freiheit als blinder Rachefeldzug kann beginnen. Kurzerhand töten sie die Eltern, stopfen das in einem Küchenschrank versteckte Goldene Vlies in die "Lieferando"-Tasche und brechen zu einem tödlichen Road-Trip auf. Immer mit dabei: Jasons Hase, der als psychopathisches Alter Ego für Unheil sorgt.
Während Rina Juniku in violetten Leggins, blauem Fell-Bustier, roter Sonnenbrille und offenem Pelzmantel ihr neues Leben als Femme fatale in vollen Zügen genießt, halluziniert sie aber auch immer wieder ihren getöteten Vater, auf den sie dann mit ihrer Pumpgun zielt, aber natürlich ihre echten Gegenüber trifft. Unterdessen wirkt Andrzej Jaslikowski als Jason nur zu Beginn wie ein Draufgänger, den Großteil des Abends kämpft er nicht gegen Drachen, sondern gegen seinen nervigen Dämon, seinen Hasen, den Yvonne Brandstetter mit tierischer Inbrunst gibt. Jedenfalls reisen die beiden auf der offenen Bühne von Station zu Station, von der Tankstelle bis zum Wigwam einer steirischen Schamanin (auch als Mutter und Amme höchst wandlungsfähig: Jula Zangger), bekommen dazwischen zwei Kinder, bis sie dann doch im Gefängnis landen, wo der Gefängnisdirektor namens König Kreon (Kajetan Dick) und seine Tochter Kreusa (Anja Struc), die als Gefängnisseelsorgerin arbeitet, sehnlich auf das prominente Mörderpaar - und das Goldene Vlies - warten.
Kreon lehnt Gewalt gegen seine Häftlinge ab, weshalb er seinen Wärter (Matthias Böhm ist auch als Medeas Vater ein schmieriger Brutalo) dazu anhält, Jason doch bitte mit dem Staubsauger statt mit dem Schlagstock zu malträtieren. Er sei nämlich ein Humanist: "Ich bin ein Grillparzer-Typ, ich nörgel herum, aber ich liebe die Menschen." Dank der reduzierten Bühnen-Gestaltung von Julia Trybula können bei mehreren durch Podeste markierten Stationen die Handlungen auch immer wieder parallel spielen, harte Beats und wechselnde Lichtstimmungen unterstützen das rasante Geschehen, das nach zwei pausenlosen Stunden schließlich in Medeas verzweifeltem Kindsmord kulminiert. Ein lauter, schriller und sich frei an Literatur und Popkultur abarbeitender Abend, der das Publikum aufgewühlt zurücklässt.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "natural.born.medea". Konzept und Regie: Ernst Kurt Weigel, Bühne und Kostüme: Julia Trybula, Choreografie: Leonie Wahl. Mit Yvonne Brandstetter, Rina Juniku, Anja Struc, Jula Zangger, Matthias Böhm, Kajetan Dick, Andrzej Jaslikowski. Off Theater, Wien 7, Kirchengasse 41, Weitere Termine: 10., 11., 14., 17., 18., 21., 24., 25. und 28. November. https://off-theater.at/project/natural-born-medea/)
Zusammenfassung
- Zwei Geliebte, die mordend durch Ostösterreich ziehen, ihre Taten auf Social Media posten und im Gefängnis daran zerbrechen, dass ihre Online-Präsenz gelöscht wurde?
- Diese packende, in ihrem Kern haarsträubende Geschichte kommt heraus, wenn Ernst Kurt Weigel im Wiener Off Theater für sein neues Mash-up Grillparzers "Medea" und Oliver Stones Kultfilm "Natural Born Killers" zu "natural.born.medea" verschränkt.