APA/HERBERT NEUBAUER

Michael Maertens vor zwei Premieren im Akademietheater

Am Donnerstag Premiere mit "Der Leichenverbrenner" im Akademietheater, drei Wochen später selben Orts mit "Automatenbüffet" die nächste Produktion - starke Wochen für Michael Maertens. "Dieses Über-Maertens-Angebot ist nur Corona geschuldet", lacht der Burgschauspieler. Tatsächlich gab es unter Direktor Matthias Hartmann eine Zeit, in der er dank Übernahmen aus Bochum und Zürich gefühlt in jeder zweiten Produktion zu sehen war. Zuletzt war das jedoch anders.

Aus einer Produktion wurde aus privaten Gründen nichts, dann verschob Simon Stone ein Vorhaben, um sich einem Filmprojekt zu widmen. So war der 1963 geborene Hamburger, der seit 2009 Ensemblemitglied des Burgtheaters und seit 2017 Kammerschauspieler ist, vor dem Coronastopp nur in der von Claus Peymann begonnenen und von Leander Haußmann zu Ende geführten Ionesco-Inszenierung "Die Stühle" zu sehen. Nun probt er aber zwei Rollen, die bei allen ästhetischen Unterschieden erstaunliche Parallelen aufweisen.

In der Franzobel-Bearbeitung des 1967 erschienenen Romans "Der Leichenverbrenner" von Ladislav Fuks (1923-1994) spielt Maertens den Krematoriumsgestellten Karl Kopfrkingl, der in der Zeit der deutschen Annexion Tschechiens zum scheinbar willenlosen Erfüllungsgehilfen der neuen Macht wird. Anschließend verkörpert er im 1932 uraufgeführten "Automatenbüffet" von Anna Gmeyner den Eigenbrötler Leopold Adam, der sich mit einem Fischzuchtprojekt in die Annalen seines Heimatortes einschreiben möchte und dabei von einer jungen Frau, die er vor dem Selbstmord bewahrt, unerwartete Hilfe erfährt. "Wir bewegen uns in beiden Stücken in einem ähnlichen Zeitrahmen", sagt Maertens im APA-Gespräch. "Das Kleinbürgerliche ist in beiden Figuren vorhanden. Der Eine entwickelt sich zu einer Art Monster, das sofort an Hannah Arendts 'Banalität des Bösen' denken lässt, der Andere versucht, seiner kleinbürgerlichen Welt zu entfliehen, indem er etwas Gutes will. Er ist eine positive, eine traurige, aber auch eine scheiternde Figur. Ich habe mit beiden Figuren Mitleid."

So ähnlich die theoretische Anlage, so unterschiedlich dürfte die praktische Umsetzung ausfallen. "Der Leichenverbrenner", der es vor dem Shutdown im März schon bis zur Generalprobe geschafft hatte, wird von Puppenmagier Nikolaus Habjan inszeniert. Über die Arbeit mit dem Multitalent, das auch als Opernregisseur und Kunstpfeifer tätig ist, gerät Maertens in den höchsten Tönen ins Schwärmen. "Er hat einen ganz sensiblen, klugen künstlerischen Zugriff und ein tolle Beobachtungsgabe. Ich bin ganz begeistert von ihm. Wir haben uns ewige Treue geschworen." Im Gegensatz zu seinen drei Kolleginnen Dorothee Hartinger, Sabine Haupt und Alexandra Henkel hat er jedoch selbst keine Puppen zu führen. "Es heißt ja, die größten Feinde des Schauspielers sind Hunde, Kinder, Puppen und Gert Voss - denn die ziehen den Fokus des Publikums sofort auf sich", lacht Maertens. "Aber im Ernst: Ich bin froh, denn ich glaube nicht, dass ich mir das so nebenbei hätte aneignen können - zumal ich in meiner Rolle mehr Text als je zuvor habe. Sogar mehr als Hamlet. Meine Kolleginnen, die sowohl mit als auch ohne Puppen zu sehen sein werden, haben meinen größten Respekt, wie sie das meistern."

"Automatenbüffet" erinnert dagegen stark an die poetischen, politischen Volksstücke eines Ödön von Horvath oder einer Marieluise Fleißer. "Da gibt es eine große, unübersehbare Verwandtschaft", sagt der Schauspieler. Die Inszenierung von Barbara Frey versuche aber, das Atmosphärische und den Lokalkolorit hintanzustellen und konzentriere sich auf das Mädchen Eva (gespielt von Katharina Lorenz). "Sie ist wie eine Nixe, die aus dem Wasser steigt und magische Anziehungskraft entwickelt. Dadurch bekommt das Stück auch etwas Märchenhaftes." Bereits einmal kreuzte das "Automatenbüffet" Maertens' Karriere: 2004 schnappte Toni Slama ausgerechnet für jene Rolle, die Maertens jetzt am Akademietheater spielt, ihm und seinem ebenfalls nominierten Kollegen Nicolas Ofczarek den Nestroy-Preis vor der Nase weg. "Ich erinnere mich", lacht der ob dieser Koinzidenz Überraschte, "Niki und ich waren völlig schockiert. Seitdem hat sich aber eine schöne, kollegiale Freundschaft zu diesem wunderbaren, bescheidenen Kollegen entwickelt. Er hatte sich den Preis verdient. Und sooo toll war mein Jason damals ja auch nicht..."

Seit 18 Jahren spielt Michael Maertens, der einer prominenten deutschen Schauspielerdynastie entstammt, nun in Wien. "Eigentlich zieht sich ja eine gewisse Rastlosigkeit durch mein Leben. Das hat sich nun, auch meiner familiären Situation geschuldet, etwas geändert. Einerseits ist es wohl ganz gut als Vater präsent zu sein, wenn die Kinder auf die Pubertät zugehen, andererseits haben mir die vergangenen Monate der Kurzarbeit noch einmal meine privilegierte Situation vor Augen geführt. Ich bin stolz und glücklich, am Burgtheater zu arbeiten. Gerade die mitunter kritisierte 'Gemischtwarenhandlung' im Angebot dieses Theaters empfinde ich als schöne Herausforderung, weil es hier eben wirklich alles gibt. Als nächstes arbeite ich mit einem Australier (Simon Stone, Anm.) an einem russischen Stück ("Kinder der Sonne" von Maxim Gorki, Anm.). Wo ist das denn sonst möglich? Und noch dazu mit all' diesen herrlichen Kolleginnen und Kollegen..."

Gelegentliche Ausflüge zu Film und Fernsehen erlaubt sich Maertens freilich doch. Mit David Schalko hat er kürzlich die Sky-Serie "Ich und die Anderen" gedreht. "Das ist ein tolles und mutiges Projekt, geradezu anarchisch. Es geht um eine Figur (von Tom Schilling gespielt, Anm.), die in jeder Folge in einer völlig anderen Umgebung aufwacht - wie auf einem Drogentrip. Auf die Sets zu kommen, war für uns jedes Mal aufs Neue ein Abenteuer. So etwas Skurriles hab ich noch nie gedreht. Ich bin sehr gespannt, was daraus wird." Und unmittelbar nach der "Automatenbüffet"-Premiere würde ein "Tatort"-Dreh mit Ulrich Tukur warten. Hier sorgt nicht nur das Drehbuch, sondern auch die Entwicklung der coronabedingten Drehvorschriften und Reisewarnungen für Spannung. Es wird definitiv ein aufregender Herbst für Michael Maertens.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - "Der Leichenverbrenner" von Franzobel nach Ladislav Fuks, Regie und Puppenbau: Nikolaus Habjan, Bühne: Jakob Brossmann, Kostüme: Cedric Mpaka, Komposition: Klaus von Heydenaber. Mit Nikolaus Habjan / Manuela Linshalm, Dorothee Hartinger, Sabine Haupt, Alexandra Henkel und Michael Maertens. Uraufführung im Akademietheater am 8.10., 19.30 Uhr, Nächste Vorstellungen: 13., 15., 20., 26.10.; "Automatenbüffet" von Anna Gmeyner, Regie: Barbara Frey, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Esther Geremus, Musik: Thomas Hojsa, Mit: Michael Maertens - Adam, Maria Happel - Frau Adam, Katharina Lorenz - Eva, Christoph Luser - Pankraz, Dörte Lyssewski - Puttgam, Annamaria Lang - Cäcilie, Robert Reinagl - Schulrat Wittibtöter, Hans Dieter Knebel - Apotheker Hüslein, Daniel Jesch - Oberförster Wutlitz, Akademietheater, Premiere: 30.10., 19.30 Uhr, Nächste Vorstellungen: 1., 9., 19., 29.11., Karten: 01 / 513 1 513, www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Am Donnerstag Premiere mit "Der Leichenverbrenner" im Akademietheater, drei Wochen später selben Orts mit "Automatenbüffet" die nächste Produktion - starke Wochen für Michael Maertens.
  • Nun probt er aber zwei Rollen, die bei allen ästhetischen Unterschieden erstaunliche Parallelen aufweisen.
  • Ich bin sehr gespannt, was daraus wird."
  • Mit Nikolaus Habjan / Manuela Linshalm, Dorothee Hartinger, Sabine Haupt, Alexandra Henkel und Michael Maertens.