"Manus heißt Mensch" in der Kunsthalle Wien
Die Besucher können sich den sechs farblich voneinander getrennten Kapiteln entweder von innen nach außen oder von außen nach innen annähern, während die auf dem Boden angebrachten Kreise überschritten werden. "Wir wollen zeigen, dass es über die Vielfalt der Kulturen, Gender und Nationen hinaus und jenseits davon noch eine andere Ebene der Zugehörigkeit gibt, die ausnahmslos allen zugänglich ist", erörterte Mit-Kurator Frantisek Nistor am Dienstag im Rahmen der Pressekonferenz. "Die Ausstellung erkundet die Erfolge und Versäumnisse der sozialistischen Politik bei der Integration der Rom*nja, um uns anzuregen, das sozialistische Projekt noch einmal mit ungetrübtem Blick als mögliches Modell für die Herstellung von Gleichheit zu betrachten, das über Identitätspolitik hinausgeht", so Ivet Curlin, die gemeinsam mit Natasa Ilic and Sabina Sabolovic (WHW) die Kunsthalle Wien leitet.
Als Prolog begrüßt den Besucher eine Installation, die mit dem Symbol des roten Chakra spielt, das sich im Zentrum der im Rahmen des "First World Romani Congress" im Jahr 1971 entstandenen Flagge der Roma befindet. Immer weiter löst sich das Speichenrad auf, bis es zu einem Roten Stern wird. Dieser findet sich später in der Ausstellung auch auf einer alternativen Roma-Flagge, die auf die damalige Diskussion rund um die Entstehung der Flagge hinweisen soll. Schließlich stehe das Rad für eine "Nomadisierung" der Bevölkerungsgruppe, wie es in der Kritik heißt. Der Rote Stern hingegen verweise auf die einstigen Bemühungen der sozialistischen Tschechoslowakei, die Existenzbedingungen der Roma zu verbessern. Diesen Prozess diskutierte auch Vincent Danihel in seinem Buch "Manus heißt Mensch", dessen Titel das Kollektiv für die Ausstellung entlehnt hat.
Im Kapitel "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!", das sich mit der Wahrnehmung des Arbeitsbegriffs auseinandersetzt, finden sich nicht nur Artefakte wie eine handgefertigte Spitzhacke aus dem Brünner "Museum der Roma-Kultur", sondern auch Gemälde wie "Krone" von Julius Lakatos, das eine ausgestreckte Hand mit einer einzigen Münze zeigt. Die oft körperliche Arbeit der Roma thematisieren Fotos von Arbeitern oder Holz-Skulpturen mit dem Titel "Straßenarbeiter". Das Thema der "Abwesenheit von Rom*nja-Kunst und -Kunstgeschichte" untersucht das Kapitel "Die Geschichte der Kunst, ohne Geschichte und ohne Kunst": Dabei wird kulturelle Produktion verhandelt, als Anschauungsmaterial dienen handgefertigte Ziegelsteine aus dem "Museum der Roma-Kultur" und aus dem selben Material gefertigte Skulpturen.
Dass es in den 1920er- und 1930er-Jahren einen ernst gemeinten Versuch der russischen kommunistischen Partei gab, die Alphabetisierung der Roma voranzutreiben, zeigen eine Reihe von Buch-Titelseiten aus jener Zeit, als russische Bücher auf Romani publiziert wurden. Sprechender Titel des Kapitels: "Stalin, mein Bruder: Sowjetische Literatur". Hier findet sich nicht nur politische Literatur wieder, sondern auch Kinder- und Schulbücher sowie Handbücher zu Themen wie Haushalt, Landwirtschaft oder Hygiene. Dem Lebensrealität der Roma in der Siedlung Chanov widmet sich der Abschnitt "Die Versunkenheit in der Geschichte und der feste Boden eines Zuhauses", in dem die Frage des Wohnens im Zentrum steht.
Um die unterschiedlichen, bisweilen recht theoretischen Zugänge der Schau zu veranschaulichen, liegt ein reich bebildertes und mit zahlreichen Interviews und Texten versehenes Booklet auf, das als Guide durch die Schau mehr als hilfreich ist. Das Rahmenprogramm ermöglicht darüber hinaus mit Kuratorenführungen und Workshops eine nähere Auseinandersetzung mit einzelnen Objekten.
(S E R V I C E - "Averklub Collective. Manus heißt Mensch" in der Kunsthalle Wien, 2. Juni bis 5. September. Infos unter www.kunsthallewien.at)
Zusammenfassung
- Mit einem kreisförmigen "visuellen Essay" widmet sich das tschechische Averklub Collective in der Ausstellung "Manus heißt Mensch" in der Kunsthalle Wien der Identität der Bewohnerinnen und Bewohner der Rom*nja-Siedlung Chanov.
- In mehrschichtigen Themenkreisen werden Themen wie Arbeit, Geschichte, Kunst oder Emanzipation mithilfe von Kunstwerken und theoretischen Recherchen des lose organisierten Kollektivs erörtert.