Louise Bourgeois als Malerin im Unteren Belvedere
"Ihr Werk ist aus der jüngeren Kunstgeschichte nicht wegzudenken", sagte Belvedere-Generaldirektorin Stella Rollig bei der heutigen Presseführung für die Schau. Tatsächlich war Louise Bourgeois (1911-2010), die in Paris geboren wurde und nach ihrer Heirat mit einem US-Kunsthistoriker ab 1938 in New York lebte, eine der einflussreichsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre monumentalen Spinnen-Skulpturen wurden Eye Catcher in Museen und öffentlichen Räumen, ihre raumfüllenden Zellen Ikonen der modernen Kunst. Ihre "Cell (Choisy)", in der sie das französische Haus ihrer Familie als Marmorskulptur in einen Käfig stellt, über dem ein Fallbeil schwebt, steht nun im ersten Raum der Ausstellung, "Cell (The Last Climb)", eine poetische Installation rund um eine aus ihrem Atelier in Brooklyn ausgebaute Metall-Wendeltreppe im zentralen Marmorsaal, und ein Spinnen-Kupferstich samt Hinweis, dass man abschließend im Belvedere-Garten eine der berühmten Spinnen besuchen könne, ist ganz am Ende zu finden.
Die Kuratorinnen Sabine Fellner und Johanna Hofer haben tolle Arbeit geleistet und einen Parcours gebaut, in dem überall thematische Bezüge zu entdecken sind und 60 der rund 100 bekannten Gemälde von Louise Bourgeois das Rückgrat bilden. Diese entstanden ausschließlich in der Zeit zwischen 1938 und 1949. "Dann legt sie den Pinsel zur Seite und wird nie wieder zur Malerei zurückkehren", sagte Hofer, der mit ihrer Kollegin in Themenräumen eine schlüssige Beweisführung ihrer These gelingt: "In den Gemälden ist ihre Formensprache bereits angelegt." Die Auflösung der Gegensätze von Figuration und Abstraktion oder von männlich und weiblich beschäftigt sie ihr Leben lang, im Versuch, das Unbewusste bildlich zu fassen, ist sie anfangs mitunter nahe dem Surrealismus.
"Alle Themen entspringen in meiner Kindheit. Meine Kindheit hat nie ihren Zauber, ihr Geheimnis und ihre Dramatik verloren", ist auf einem der vielen an den Wänden angebrachten Zitate der Künstlerin zu lesen. "Es war uns sehr wichtig, Louise Bourgeois selbst zu Wort kommen zu lassen", sagte Fellner. "Sie hat sich immer wieder selbst zu ihren Arbeiten und ihren Themen geäußert." Schon die ersten Gemälde frappieren, denn sie zeigen etwa Gewitterwolken über dem Familiendomizil und davor eine Konstellation, die man heute eine klassische Familienaufstellung nennen würde. Tatsächlich spielt Psychoanalyse später eine große Rolle in ihrem Leben. "Diesen Aspekt gerade in Wien hervorzuheben war uns sehr wichtig", betonte Rollig.
Ab 1952 unterzog sich die Künstlerin beim Freud-Schüler Henry Loewenfeld selbst einer Analyse, was für rund ein Jahrzehnt zu einer künstlerischen Schaffenspause führte. In dieser Zeit schuf sie umfangreiche Aufzeichnungen, die noch nicht annähernd aufgearbeitet sind. In dem der Psychoanalyse und ihrer Auseinandersetzung mit Ödipuskomplex und Phallussymbolik gewidmeten letzten Raum der Schau, von der laut Rollig 90 Prozent der Objekte noch nie in Wien zu sehen waren, gibt es einige der Blätter dieser psychoanalytischen Schriften zu sehen. "Ich kenne das Warum nicht", ist dort etwa zu lesen. Oder: "Wenn ich nicht angreife, fühle ich mich nicht lebendig."
"Unbeirrbarer Widerstand", der Titel einer der anthropomorphen Skulpturen, die als Gruppe zu sehen sind, sei als Ausstellungstitel gewählt worden, "um zu transportieren, dass Louise Bourgeois eine permanente Kämpferin war", sagte Sabine Fellner. Und dass die Raumfolge im Unteren Belvedere keinen Rundgang ermögliche, sondern man mit der Psychoanalyse an einen Punkt gelange, von dem man wieder zurück zum Anfang gehen müsse, um den Ausgang zu finden, habe man als schöne Metapher für die Ausstellung genommen, so die Kuratorin: mit dem angesammelten Wissen um die Zusammenhänge verändere sich auch der Blick auf das zuvor Wahrgenommene.
So kommt man beim Zurückgehen erneut an Bourgeois' vielfältiger Auseinandersetzung mit (Hoch-)Häusern vorbei (sie hätte ihr Werk niemals in Frankreich schaffen können, schreibt die Künstlerin), an ihrer vielfältigen Auseinandersetzung mit dem Menschen und der Natur, die in manchen Gemälden an Hundertwasser erinnert und für Fellner ein Beispiel der ungebrochenen Aktualität des Werks von Louise Bourgeois darstellt, an von der Decke hängenden Skulpturen und an rätselhaften Werken, in denen Liebe und Angst, Schuld und Versöhnung vielfältigen Ausdruck finden. "Ich habe immer gesagt, dass meine Kunst meine Psychoanalyse ist", liest man an einer Wand ein letztes Zitat von Louise Bourgeois. Und beschließt wiederzukommen. Bis 28. Jänner 2024 hat man Zeit dazu. Recht so, denn "Unbeirrbarer Widerstand" ist eine der Krönungen der Jubiläumsjahres "300 Jahre Belvedere".
(S E R V I C E - "Louise Bourgeois. Unbeirrbarer Widerstand", Ausstellung im Unteren Belvedere, 22. September 2023 bis 28. Jänner 2024, MO-So, 10-18 Uhr, Katalog, erschienen im Verlag Buchhandlung Walther und Franz König, 232 Seiten, 29,80 Euro, ISBN 978-3-7533-0519-6, www.belvedere.at)
Zusammenfassung
- Eine Weltkünstlerin, an der in einer fantastischen Ausstellung neue Aspekte zu entdecken sind: Von der Ausstellung "Louise Bourgeois. Unbeirrbarer Widerstand" im Unteren Belvedere muss man tatsächlich in Superlativen schreiben. Es wird nämlich nicht nur erstmals in Europa das malerische Werk der 2010 gestorbenen Künstlerin gezeigt, die erst ab den 1980er-Jahren mit ihren Skulpturen und Installationen berühmt wurde, sondern dieses schlüssig zum Gesamtwerk in Beziehung gesetzt.