APA/APA/Volksbühne/Bitzan

Kurdwin Ayubs Stück "Weiße Witwe" als Clash der Klischees

Heute, 08:57 · Lesedauer 5 min

Zuschreibungen, Bevormundungen und Klischees: Nach ihren viel beachteten Filmen "Sonne" und "Mond" rechnet Kurdwin Ayub nun mit ihren Erfahrungen als junge Künstlerin mit Migrationshintergrund ab - am Theater. An der Berliner Volksbühne inszeniert sie ihr Stückdebüt "Weiße Witwe" selbst und liefert zwischen Trash und Metaebenen einen wütenden, grellen und bisweilen witzigen Abend, der sich jedoch zu sehr an einzelne Einfälle klammert als in seiner Gesamtheit zu überzeugen.

Über ihre Inszenierung "werden sich alle aufregen", zeigte sich die 1990 im Irak geborene und als Kleinkind mit ihren Eltern nach Österreich gekommene Filmemacherin im Vorfeld im APA-Interview überzeugt. Die angesagte Provokation untermauerte Ayub bei der Uraufführung am Freitag bereits in den ersten Minuten dieses mit viel Musik auf eineinhalb Stunden gestreckten Abends, der von der schnoddrigen Schnauze der Berliner Rapperin addeN dominiert wird. Wir schreiben das Jahr 2666: Im islamischen Staat Europa regiert addeN als frivole Königin Aliah, die jede Nacht mit einem jungen weißen Mann schläft, um ihn im Anschluss zu ermorden. Doch die Befriedigung hält nie lang: "Man ey, ich fühl mich auch schon wieder so geil."

Im knappen Outfit einer Bauchtänzerin herrscht Aliah über ihren in Latexsuits und Niqabs gekleideten und mit Maschinengewehren ausgestatteten Hofstaat. Ihre erklärten Feindbilder sind sowohl die noch übrig gebliebenen Nazis als auch "die linken Bunten", zu denen sich ihre aufmüpfige Tochter Cezaria hingezogen fühlt. Samirah Breuer brilliert dabei in ihrer Transformation vom verklemmten Teenie im Hoodie zur idealistischen Nachwuchsherrscherin, die sich von ihrer Mutter Sätze wie "Du kleine Fotze", "Fang endlich an, geil zu werden!" oder "Willst du wieder die Welt verbessern, du Müsliriegel?" anhören muss und von ihr gezwungen wird - quasi als Initiation - den Liebhaber der letzten Nacht zu töten. Loyal zur Seite steht Aliah nur ihr Eunuch, dem Benny Claessens in unterschiedlichsten Kostümen vom pinken Schleier bis zum blauen Dirndl eine gehörige Portion Klamauk einschreibt.

Als sich eines Tages ein alter weißer Mann (Georg Friedrich in Pluderhosen und Schlapfen) in den Palast schleicht, um seine "Rasse zu retten", gerät der gut geschmierte Machtapparat ins Stottern. In Analogie zu "1001 Nacht" beginnt der Mann, der Königin die Geschichte der "Weißen Witwe" zu erzählen, die er über mehrere Nächte hinauszögert, um länger zu überleben. Und so verwandelt sich die Königin, die bei ihren Auftritten "aus dem Arsch" einer sich aus dem Schnürboden abseilenden Riesenspinne (Bühne: Nina von Mechow) klettert, in den Erzählungen in die "Weiße Witwe", die im Jahr 2004 zum Islam konvertierte und sich zum Ziel setzte, alle Ungläubigen zu töten. Zuvor stellt sie sich zur Sicherheit die Frage, ob sie dann eh "safe ins Paradies" kommt.

Georg Friedrich als holpriger Freier aus "Medina Floridsdorf"

Friedrich, der sein österreichisches Idiom gleich zu Beginn mit seiner Herkunft aus "Medina Floridsdorf" erklärt, bleibt in dem von addeN und Claessens veranstalteten Trubel überraschend blass und trägt die Geschichte, die die Königin einlullen soll, höchst holprig vor. Lediglich seine Frage "Weißt du, wie schwer es als alter weißer Mann gerade ist?", bevor er zum Rednex-Song "Cotton Eye Joe" das "Lied vom Sterben des weißen Mannes" tanzt, führte bei der Premiere zu Lachern im Publikum. Apropos Musik: Ayub setzt in ihrer Inszenierung kräftig auf den Einsatz von Songs, zu denen sich der Tanzchor SC Motion*s aka Hofstaat rhythmisch bewegt.

Leider übertönt die Musik bisweilen die (teils schlecht verstärkten) Dialoge, weshalb nicht wenige Zuschauer im Saal immer wieder auf die englischen Übertitel blicken. Die dramaturgische Notwendigkeit für den exzessiven Songeinsatz erhellt sich dabei - bis auf wenige Ausnahmen wie Britney Spears' "I'm a Slave 4 you" - selten. Apropos Notwendigkeit: Gestreckt wird der Abend auch immer wieder durch lustige, den Islam aufs Korn nehmende TikTok-Videos, die am Bühnenrand über zwei Bildschirme flimmern.

Breitseite gegen Ratschläge aus der Szene

Und so steuert die Inszenierung, die trotz der verbalen und bildlichen Rasanz immer wieder ins Stolpern gerät, auf das unvermeidliche blutige Finale zu. Als hätte Ayub geahnt, dass das Publikum zwischen den vielen krassen Übertreibungen und angedeuteten Metaebenen etwas verloren zurückbleiben könnte, hat sie ihrem Stück noch eine Szene verpasst, in der Friedrich und Claessens alles daran setzen wollen, aus der neuen Königin (Breuer) eine "gute Migrantin" zu machen, die besser ein Polo-Shirt trägt, aber bitteschön trotzdem ein Kopftuch.

Sie erzählen von guten Ratschlägen eines deutschen Festivalleiters und eines Filmproduzenten, die einer jungen Filmemacherin mit Migrationshintergrund vorschreiben wollten, wie sie ihre Filme zu machen habe, um das weiße Publikum nicht zu überfordern. Ob es diesen Einschub tatsächlich gebraucht hat, um das Stück "richtig" zu lesen, ist fraglich. Mit dem krassen Clash der Klischees in "Weiße Witwe" hat Ayub ihre vielschichtige Wut auch so in Bilder gegossen. Lang anhaltender Applaus beendete einen turbulenten Abend, der bis zu seinem Gastspiel bei den Wiener Festwochen Anfang Juni noch ein wenig Zeit zum Nachreifen hat.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Weiße Witwe" von Kurdwin Ayub in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Regie: Kurdwin Ayub, Bühne & Kostüme: Nina von Mechow, Choreographie: Camilla Schielin. Mit addeN, Samirah Breuer, Benny Claessens, Georg Friedrich, Zarah Kofler und dem Tanzchor SC motion*s. Weitere Termine: 16. und 22. Februar, 17. und 22. März. www.volksbuehne.berlin,Termine im Rahmen der Wiener Festwochen: 6., 7. und 8. Juni im Volkstheater. https://www.festwochen.at/weisse-witwe)

Zusammenfassung
  • Kurdwin Ayub inszeniert ihr Theaterdebüt 'Weiße Witwe' an der Berliner Volksbühne und thematisiert ihre Erfahrungen als Künstlerin mit Migrationshintergrund.
  • Im Jahr 2666 regiert die Königin Aliah im islamischen Staat Europa, dargestellt von der Rapperin addeN.
  • Musik ist ein zentrales Element der Inszenierung, übertönt jedoch teilweise die Dialoge.
  • Georg Friedrich spielt einen alten weißen Mann, der versucht, die Königin mit Geschichten zu beeinflussen.
  • Das Stück erhielt langen Applaus, obwohl es noch Raum für Nachreifung hat.